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Reisetagebuch

3/23/2004   Kenia / Meru-Nschoro

Der Saint-Kizito-Fall / Homo homini lupus 2

Ein unglaubliches Verbrechen / Meru-Tradition und Geschichte

(Harald) Am Tor der St.Kizito Schule steht ein etwa 10jaehriger Junge, den Sally gut kennt. Er gruesst freundlich, gibt mir die Hand, aber den Frauen nicht. Als ich verwundert nachfrage warum, erklaert man mir, dass eine Beruehrung nicht moeglich sei, da der Junge noch nicht beschnitten sei. Spaeter am Abend droht der 6jaehrige Dan seiner Mutter, dass er davonliefe, falls sie in einem Zimmer mit ihm schlafe- aus demselben Grund. Und groesste Verwunderung ruft hervor, als ich nachfrage, ob die Frauen beschnitten seien. Natuerlich! Hier wird die Klitoris abgeschnitten und man kann es kaum glauben , dass ich unbeschnitten bin. Das rufe Krankheiten hervor und , und- tja, dass gehe doch nicht. Ich entgegne, dass Mann in Europa i.d.R. kerngesund ist und es nur eine Frage ausreichender Hygiene sei.

Die Meru tragen zwar Jeans und Kleider, sprechen Englisch und Kisuaheli, besuchen Schulen und sind Christen, aber die uralten Traditionen und damit verbundenen Tabus sind sehr lebendig. Das man als Christ die Verstuemmelung, zumindest des weiblichen Koerpers, als "Suende" ansehen koennte, ist der Frau des Pastors aber nicht eingaengig.

Die Meru haben, wie fast alle afrikanischen Staemme, eine Voelkerwanderung hinter sich. Mangels einer Schriftsprache (viele Sprachen, wie z.B. Somalisch, wurden erst im 20. Jahrhundert erstmals geschrieben) gibt es aber nur eine muendliche Ueberlieferung. Fuer Historiker und Voelkerkundler erschwerend kommt hinzu, dass es in Subsahara keine Zeitrechnung gab und ergo Zeitraeume, die muendlich ueberliefert wurden, oft lediglich als "vor langer Zeit" bezeichnet wurden.

Die Meru stammen urspruenglich wahrscheinlich aus dem Kuestengebiet um Mombasa und wanderten um 1700, von den einfallenden Arabern verdraengt, entlang der Fluesse landeinwaerts bis ins Gebiet oestlich des Mt. Kenia.

Als wir der St. Kizito Schule den Ruecken kehren, erzaehlt mir Mary, was sich hier am 13. Juli 1991 zugetragen hat.

Die aelteren Knaben hatten einen Streik beschlossen, den die Maedchen aber nicht mittragen wollten. Die Jungs versuchten die Maedchen mit Drohungen zu zwingen, die schliesslich darin gipfelten, dass sie ihnen Gewalt androhten.

In der Nacht fielen ueber hundert Jungs in die Barracken der Maedchen ein und vergewaltigten mehr als 70. In der entstehenden Panik kamen 19 Maedchen ums Leben, oft im Tuerrahmen, durch den alle gleichzeitig zu fliehen versuchten. Obwohl es schon vorher zu Gewaltexzessen in kenianischen Schulen gekommen war, schockierte dieser Vorfall die Nation und rief internationale Pressereaktionen hervor.

Der Hauptlehrer der Schule aeusserte bezeichnenderweise in Interviews, dass die Jungen die Knaben nicht haetten verletzten wollen, sondern NUR vergewaltigen.

Die Schule wurde geschlosssen, einige Jungs kamen vor Gericht und wurden zu Gefaengnisstrafen verurteilt. Die katholische Kirche folgerte, man muesse zukuenftig wieder Jungs und Maedchen trennen.

Die tieferliegenden Ursachen des Verbrechens sind in der Machtverteilung von Mann und Frau in dieser Gesellschaft zu finden. Die Kinder wachsen in einer Umgebung auf, die es den Maennern erlaubt, ungestraft ihre Frauen zu misshandeln, weil sie das Essen nicht puenktlich gekocht haben, sie nicht hoeflich genug begruessen u.ae. Seine Frau zu schlagen, um sie "zur Vernunft" zu bringen, ist ueblich. Ein Widerspruch der Maedchen forderte somit bei den Jungs das Gefuehl von Kontrollverlust heraus und die erlernte Reaktion war Gewalt. Keiner der maennlichen Schueler, auch nicht die, die an den Vergewaltigungen nicht teilnahmen, widersprachen oder meldeten das heraufziehende Unheil. Wahrscheinlich, weil maennliche "Kameradschaft" ihnen als wichtiger erschien. Waehrend weibliche Freundschaft sich im Helfen erweist, aeusserte sie sich unter den Jungs der St. Kizito Schule als Verschwiegenheit und Solidaritaet mit Gewalttaetern.

Als mir Makena, die hiesige 26jaehrige Leiterin des Internetcafes, selber Meru, mit mir darueber spricht, faellt ein Schatten uber ihr Gesicht und ihre Trauer und eigene Ohnmacht wird spuerbar. "So ist das in Afrika mit den Maennern..."

Den Anfaengen wurde nicht verwehrt, dass gesellschaftliche Umfeld tolerierte Gewalt, dass Verstaendnis von Vergewaltigung als Kavaliersdelikt, wie ich es schon in Aethiopien erlebt habe, tat ein Uebriges. Deswegen ist es richtig, bereits geringfuegige Entgleisungen anzuprangern und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen zu foerdern.

geschrieben am 5.4. in Nanyuki


 


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