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Reisetagebuch

3/27/2004   Kenia / Nanyuki

Ein seltsamer Zufall

Prediger und Mystik

(Harald) Um 6.15 laesst man im Hof zwei Autos direkt vor meiner Tuere laufen. Ich gehe nach ein paar Minuten hinaus, weil die Wagen nicht vom Hof fahren und der Dieselgestank in mein Zimmer kriecht.

Einer von zwei laufenden Wagen ist ein Matatu, kein Fahrer zu sehen. Ich mache den Wagen aus. Im zweiten, einem 4x4, sitzt ein Mann am Steuer. Ich frage ihn, ob ihm nicht klar sei, dass er alle Hotelgaeste wecke. Nein, meint er, dass sei ihm nicht klar. Und das wir nicht am Mount Everest sind, sondern am Mount Kenia, bei geschaetzten 15 Grad und er daher sein Auto nicht warmlaufen lassen muesse? Er schuttelt wieder den Kopf und laesst den Wagen laufen, zuckt die Schultern.

Als ich wieder im Zimmer bin, hat er ein Einsehen und faehrt vom Hof. Erst nach ueber 20 Minuten fahren die beiden Autos ab- solange wollten sie den Hof einnebeln, voellig sinnlos. Mir ist dabei schleierhaft, wie die uebrigen Hotelgaeste das hinnehmen koennen, denn ich werde trotz Klopapierstoepseln in den Ohren wach. Irgendeine Leidensfaehigkeit, ein mir fremder Fatalismus ist da am Werk.

Beim Fruehstueck im Hoteli laeuft im Fernsehen Kenian Broadcasting, KBC. Aufmachung und Stil erinnern, wie der Name, an das britische BBC. Es werden schwarze Prediger gezeigt, die auf Freilichtbuehnen wie Popstars auftreten. Die Herren sind zwischen 40 und 60 Jahren alt und verzuecken mit ihren theatralischen Selbstdarstellungen die Massen, huepfen ueber die Buehne. Wie selbstsicher sie sich da winden und verrenken, auf das Sprechpult klopfen! Wuerde man den Ton ausschalten, koennte man glauben, sie singen ein schmerzliches Lied.

Hoehepunkt dieser Shows sind stets die sog. "Heilungen" (Are you ready? Are you ready for healing?) Kennern demagogischer Gesten und Rethorik ist klar, was das aufputschende Gebruelle erreichen will: Ekstase. Und die stellt sich auf Kommando ein. Immer mehr Frauen entern die Buehne und rollen sich auf dem Boden, zuckend, z.T. schreiend, wimmernd. Frauen scheinen fuer solche Hysterie stets besonders praedestiniert, ich fuehle mich an Auftritte der Beatles oder Take That erinnert. Der jeweilige Prediger, es gibt deren viele, treibt jetzt Daemonen aus. "Halleluju!" skandiert er im Chor mit der Menge.

Und ein Stakkato folgt: "Are you ready to meet Jesus, yeah?!" Kommt mir im Stil auch bekannt vor.

Die Herren mit dem exclusiven Draht zum Herrn tragen teure Anzuege, goldene Uhren und fahren mit Chauffeur im Mercedes vor und eine ganze Armada Angestellter hilft ihnen bei ihrem anstrengenden Job, moeglichst viel Geld fuer ihre jeweilige, eigene christliche Sekte einzufahren. Und sie kolportieren natuerlich auch gerne die Geschichten von unglaublichen Heilungen, den Beweisen fuer die Macht des Chefs auf der Buehne. Und, Halleluja, noch ne Rollex, Halleluja, noch ne goldene Krawattennadel, ein BMW vielleicht, ein Haus in Mombasa, Halleluja, halleluja- Amen.

Diese Art der Glaubenspraktik stillt offenbar das tiefe Beduerfnis der Bevoelkerung nach erlebbarer Spiritualitaet. Ein stilles Gebet, eine leise Kirche schafft nicht die Verbundenheit mit leiblichen Erfahrungen. Der Koerper fehlt, der spuerbare Bezug. Neben den monotoistischen Religionen werden parallel auch, wie seit tausenden von Jahren wahrscheinlich, Personen gebraucht, die den Schamanen, den Heiler, den Seher ersetzen, wie es ihn bei allen Nomadenstaemmen in Kenia noch gibt. Der schafft den Zusammenhalt von Umwelt, Koerper, Schicksal oder Zukunft, erklaert das Wetter und jedes Unglueck und weiss Abhilfe. Das kann (und will) der Pastor in der Kirche nicht.

Uberall laufen hier christliche Lieder. Im Netcafe singt Barry Manilow "God is working all the time", im Restaurant gospelt es lautstark "God is good for you". Das erinnert an die endlos abgespielten Suren des Koran in Aegypten und im Sudan. Glaube ist hier Alltag, integriert, lebendig, glaubhaft. Das dies wiederum von den Gerissenen instrumentalisiert wird, ist schade, aber nur die andere Seite der gleichen Muenze.

Mein Reisefuehrer empfielt als leise Unterkunft ein Hotel ausserhalb des Stadtkerns. Ich fahre etwa 2 km Richtung Westen. Dort liegt das Nanyuki Guest. Fuer das gleiche Geld gibt es hier mehr Sonne, mehr Ruhe, ein groesseres Zimmer und ein einwandfreies Badezimmer.

Ich stelle mein gepaeck ab und fahre mit dem Rad zum Netcafe. In drei Schichten arbeite ich mich im Tagebuch Richtung Aktualitaet.

Am Abend gehe ich Tanzen. Der Laden ist voller englischer Soldaten. Unter etwa 150 Maennern finden sich auch ein halbes Dutzend Soldatinnen, die genauso die Becher heben, wie ihre Kameraden. Zwischen all den Tarnuniformen gehen die schwarzen Animiermaedchen fast unter. Meist Kikuyus, manche Meru, bieten sie den ausgelassenen Soldaten, die heute vor allem am Tresen kaempfen, eine Fleischbeschau.

Aber meine anfaengliche Skepsis ueber das grossangelegte Saufgelage legt sich bald. Die Jungs schuetten sich zwar zu, aber sie sind richtig gut drauf, feiern. Es wird gelacht, gealbert und man sieht, wie sehr sich alle verbunden fuehlen, eine innige Kameradschaft. Im Uberschwang der Gefuehle wird da umarmt, gekuesst, zusammen gesungen und getanzt und ich mittendrin wie ein Fremdkoerper, weil ich fast weiss gekleidet bin, der einzige weitere Musungu. Man unterhaelt sich mit mir, spendiert mir ein Smirnoff-Mixgetraenk, tanzt mit mir. Es wird ein schoener Abend, auch wenn hier und da einer die Hosen herunterzieht und seinen rosa Hintern zeigt, oder eine der Frauen die Uniformbluse hochhebt, mancher in die Ecken kippt.

Dann geschieht mir etwas Unglaubliches, fast Mystisches. Ich sitze auf einer mit zerrissenem Kunstleder ueberzogenen Bank. Aus irgendeinem Grund, es gibt eigentlich keinen, stehe ich auf, bleibe aber sofort stehen, weil ich nirgendwo hin will und mit einem Donnern stuerzt einer der beindicken, hoelzernen Stuetzpfeiler genau auf die Stelle, an der ich gerade sass und mein Kopf war. Dieser Baum haette mich zwei Sekunden vorher erschlagen, ohne Frage waere mein Schaedel eingeschlagen worden. An Boden und Decke nicht befestigt, sondern lediglich dazwischengeklemmt, verlor er seinen Halt, als zuviele Menschen die Bodenbretter belasteten. Was waere das fuer ein Tod gewesen? In einer Disko in Kenia von einem Baumstamm erschlagen. Ich kann diesen Zufall nicht fassen, vor allem, weil ich mir nicht erklaeren kann, warum ich eigentlich aufgestanden bin.

geschrieben am 6.4. in Nanyuki


 


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