4/2/2004 Kenia / Nanyuki
Ein Fluechtling von vielen
Ein Gespraech mit Osman, dem Nachtwaechter
(Harald) 1.4. Tara hat ein Zeugnis bekommen, denn die Vierjaehrige geht schon zur Schule. Stolze Eltern legen mir die Beurteilung auf den Tisch: Sehr gut. Das Maedchen wechselt spielend zwischen ihrer Muttersprache Schwyzerdeutsch, Englisch und Deutsch hin und her. Ich habe mir schon oft gewuenscht, mehrsprachig aufgewachsen zu sein. Vor dem Haus sitzen wir auf der grossen, teils ueberdachten Terrasse, wenige Meter neben uns flattern und zwitschern zahlreiche gelb-schwarze Webervoegel und jede Menge anderes Gefluegel am Kompostloch, indem die Reste von Ananas, Bananen, Mangos usw. sogleich verwertet werden. Wie jetzt jeden Tag, regnet es am Nachmittag, teilweise wie aus Kuebeln und verwandelt die 1000 Meter von der Teerstrasse bis zum Haus in eine Schlammschlacht. Der fette Lehm wird rutschig wie Schmierseife, selbst der Allradwagen rutscht mehr, als das er faehrt. 2.4. Ossman, der Nachtwaechter ist ein somalischer Buergerkriegsfluechtling aus dem Wajir-Distrikt in Nordkenia, etwa 500 km von hier. Er erzaehlt, wie chaotisch es in seiner Heimat, vor allem aber in Somalia selbst zugeht. Es gibt zwar nur Somalis in Somalia, nicht dutzende Staemme, wie in Kenia oder Aethiopien, alle sprechen dieselbe Sprache, Arabisch, alle sind Moslems, sie haben Kultur, Geschichte und Terretorium gemeinsam, aber trotzdem herrscht kein Friede. Das Land ist seit Jahren in drei Clangebiete aufgeteilt, eine Art Grossfamilienbereiche. Diese Clans, wie die Dir, Daarood, Issaq, Howiye u.a., werden von Chefs beherrscht, die man auch als Warlords bezeichnen kann. Ihnen ist das Wohl des Staates schnuppe, es geht ihnen um Macht, Wohlstand fuer ihren Clan und sich selbst. Jeder will die Hauptstadt beherrschen. Will man durchs Land reisen, so gibt es ueberall innerhalb der Staatsgrenzen Waffenstillstandslinien, Kontrollstellen, die nach Aussage dieses Nachtwaechters fuer Angehoerige eines fremden Clans unpassierbar sind, oder mit vielen Gefahren verbunden. Wuerde er ins Gebiet eines verfeindeten Clans reisen, man wuerde ihn vielleicht erschiessen. Wir in Deutschland fragen uns, wie es sein kann, dass sich die Somalier gegenseitig zerfleischen, sich sogar gegen den von aussen verordneten Frieden gewehrt haben. Ein Viertel der somalischen Bevoelkerung sind Bauern und lebt im Sueden. Sie bauen Mais, Bohnen, Bananen, Sorghum an. Alle anderen Somalier sind Nomaden, Hirten. Diese Lebensart ist Jahrtausende alt und fuer die Landschaft Halbwuesten und Savannen die einzig richtige. Die gesellschaftliche Ordnung dieser Wanderhirten besteht aus der Familie, der Sippe, dem Clan. Ein Somalier wird unterwegs geboren, irgendwo, niemand weiss genau wo. Das ist auch nicht von Belang, denn die Familien wohnen nie in einer Stadt oder einem Dorf. Sie definieren sich also nicht ueber einen Ort, einen Landbesitz. Ihre Welt ist die Savanne, ein zwischen den Clans abgesprochener, riesiger Bewegungsraum. Ein Somalier fragt nie: wo kommst du her, was bist du von Beruf, wie alt bist du?- wie wir das tun. Sein Beruf ist Hirte, sein Alter kennt er nicht genau und wird, wenn ueberhaupt, in Regenzeiten gezaehlt. Seinen Geburtsort kennt er auch selten. Die Frage lautet: Welcher Sippe, welchem Klan gehoerst du an? Dann wird der Hirte sagen: Ich heisse Achmed, Familie des Mohammed Mahmud, Sippe des Ali Said, Unterklan der Majertein, Stamm der Daarood. Jetzt wird klar, ob die beiden sich Begegnenden Feinde oder Freunde sind. Ob sie sich moegen oder brauchen, ist unwichtig. Leben die Klans im Frieden, oder sind sie verfeindet- das sind die Determinanten. Bricht eine Duerre herein (und deren gab es in den letzten Jahrzehnten wegen der Klimaveraenderungen immer mehr, immer schlimmere in Afrika), so geraten die Koordinaten der abgesteckten Terretorien durcheinander. Durch Existenzdruck muessen Wasserstellen erobert, Doerfer um Nahrung aufgesucht, die Herden in fremde Weidegebiete getrieben werden. Das fuehrt zu Krieg. Das Vieh ist alles fuer die Nomaden: Ziegen, Schafe sterben zuerst, wenn es kein Wasser gibt. Danach die Rinder, die Milch geben und deren Blut getrunken wird. Dann sterben die Kinder, danach die Frauen, zuletzt die Kamele und Maenner. Kamele koennen hunderte von km ohne Wasser laufen, zwei, drei Wochen lang. Sie werden als Brautgeld verwendet und im Falle eines Totschlags als Versoehnungsausgleich bezahlt, wobei der Preis hoch ist. 50-100 Kamele kostet ein Mord, Maenner sind dabei doppelt so teuer, wie Frauen. Die einzige Gesetzgebung der somalischen Hirten sind die Tradition und die Schir, die Versammlung der Aeltesten und erwachsenen Maenner. Jeder redet, schreit, streitet, ein Chaos. Die Kundschafter, oft die Hirtenjungen, tragen Nachrichten ueber Wasserstellen und Bewegungen feindlicher Klans herein. Erfahrung, Regenerwartungen, seherische Faehigkeiten spielen hinein. Dann entscheidet die Schir, in welche Richtung man weiterzieht. Aehnliche Strukturen haben die Tuaregs der Sahara (Mali, Algerien, Libyen, Tschad, Niger) und die Nomaden der Samburu wie Pokot, Borana, Rendille und Massai Kenias. Es wird klar, warum diese Nomaden sich nicht staatlicher Gewalt unterwerfen wollen und schwer zu regieren sind, warum sie sich z.B. in Somalia staendig bekriegen, warum sie nicht um Landesgrenzen scheren, ja scheren koennen, wie die Herden der Wildtiere auch. Dieser Buergerkrieg wird heute nicht mehr mit Speeren, Holzschilden, Messern, sondern mit hochmodernen Waffen ausgetragen und die werden auch, z.B. in doppelten Boeden von Viehtransportern, nach Kenia geliefert. Die mit den Somalis verwandten Borana sind oft mit diesen Schnellfeuerwaffen ausgeruestet und koennen so das Vieh der Samburu und Rendille stehlen, die diesen Waffen nichts entgegensetzen koennen. Es gibt Beweise, dass die Pokot die Waffen sogar aus politischen Gruenden von der kenianischen Armee oder/und Politikern verkauft bekommen, um die anderen Hirtenvoelker auszurotten. Ossman, der Nachtwaechter, kommt bei Anbruch der Dunkelheit und geht mit dem ersten Tageslicht nach Hause. Um die ganze Nacht in der Dunkelheit am Tor wach bleiben zu koennen, kaut der der 24jaehrige Mira, was ihn aufputscht. Sein Bruder Hassan wacht auf dem Nachbargrundstueck. Ossman will im Dezember eine 17jaehrige Somalin aus Nanyuki heiraten. Das kostet ihn, mangels Kamelen, ein Brautgeld von 50000 kenianischen Schillingen (ca.550 Euro), zzgl. Kosten fuer Brautkleider und Hochzeit. Er verdient umgerechnet etwa 50 Euro pro Monat. Mit der Hochzeit verschuldet er sich auf Jahre hinaus. Diese Maenner sind nur zwei von Hunderttausenden, Millionen, die vor Kriegen und Stammesfehden in Afrika fliehen und ihre Heimat verloren haben. Eine ganze Voelkerwanderung ist da im Gange, bei der man leicht den Ueberblick verlieren kann. Wieso sind so viele Turkanas hier und warum mischen sich Rendille und Samburu? Was machen Somalis in Westaethiopien und Dinka in Addis Abeba? Und die Nubier und Nuer des Sudan ziehen umher, die Zeitungen berichten von Massai, die nach Nairobi gehen, weil sie kein Stammesgebiet mehr haben. Es ist eine lange Liste, die man in Ruanda, Burundi, dem Kongo, Uganda usw. fortsetzen kann. Buergerkriege oder deren Folgen in Westsahara, Sierra Leone, Liberia, Nigeria, Kongo und Angola haben uns seinerzeit davon abgehalten, Afrika Richtung Kapstadt entlang der Westkueste zu durchfahren. Und wir in Deutschland haben Frieden, seit fast 60 Jahren. Ja, fast ganz Europa hatte Frieden, bis in Jugoslawien der Krieg ausbrach und uns wieder vor Augen fuehrte, dass auch wir Europaeer zu unvorstellbaren Grausamkeiten in der Lage sind. Hier gibt es staendig Krieg, dass ist Alltag in Afrika. Unser heimischer Krieg wird mit Autoverkehr, durch Kriminelle und Drogen gefuehrt. geschrieben am 7.4. in Nanyuki
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