4/11/2004 Kenia / Nanyuki
Auf dem Markt
Mit Stefan um ein, zwei Erfahrungen reicher
(Harald) In der Nacht hebt wieder das unbeschreibliche Geknarze des Baumschliefers an. Das karnickelgrosse Nagetier macht einen fuer seine Groesse unbechreiblichen Krach. Ich habe solche Laute noch nie gehoert, geradezu gespenstisch. Fuer Menschen frueherer Zeiten und Geisterglaeubige, die keinerlei rationale Erklaerung fuer die Geraeusche einer knarrenden Kellertuere und das nachfolgende Knurren in der Nacht hatten, muss da in den Baeumen ringsum ein grosses Raubtier oder Daemon gesessen haben. Ich versuche mit dem Nachtwaechter Ossman in einer niedrigen Baumkrone auf dem Grundstueck den kleinen Kerl zu entdecken. Aber die dichte Krone, der gutgetarnte, kleine, braune Koerper machen das unmoeglich. Stattdessen fliegt mit schwerem Fluegelschlag ein Ibis auf, der im Dunkeln ueberall an die Aeste der Baeume stoesst, die auf seinem Kurs liegen. Der Knirps da oben aber gibt keinen Mucks mehr von sich. Frueher hielt man die Klipp-, Busch und Baumschliefer, die den Murmeltieren aehnlich sehen, fuer nahe Verwandte der Elefanten. Heute weiss man dank DNS-Analysen, dass sie eher mit den Unpaarhufern, wie z.B. den Pferden verwandt sind. Ossman setzt sich mit seinem dicken Stock wieder in sein Wachhaeuschen und kaut Mida, dessen Amphetamin, dass wie Speed wirkt, ihn wachhaelt. Ich fahre mit Stefan auf den Markt. Kaum sind wir ausgestiegen, stellt sich eine alte Bettlerin ein, die, in vom Schmutz dunkelgrau gewordenen Lumpen, uns fordernd die Haende entgegenstreckt. Ihre Augen verraten ihre Trunksucht, sie schwankt und ist aggressiv. Ich gebe ihr Geld, um unbehelligt auf den Markt gehen zu koennen. Aber da habe ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn sofort umzingeln uns junge Maenner und Knaben, die in den Aermeln oder im Ausschnitt kleine Plastikflaschen mit Fluessigkleber stecken haben, an denen sie fast ununterbrochen riechen. Das Loesemittel steigt ihnen buchstaeblich zu Kopf, veraetzt ihren Geruchssinn voellig und toetet binnen weniger Jahre so viele Hirnzellen, dass sie am Ende sterben werden- durch Gehirnblutungen, Atemstillstand. Da Hirnzellen nicht nachwachsen sind die Schaeden schon nach kurzer Zeit irreparabel. Ich unterdruecke staendig meinen Zorn und den Impuls, ihnen diesen Selbstmord auf Raten aus den Haenden zu winden. Aber was dann? Sie brauchen ein Zuhause, eine Aufgabe, Hoffnnung, Liebe ihrer Mitmenschen und genau all das kann ich jetzt ja nicht geben. Jede Nachgiebigkeit wuerde jetzt nur dazu fuehren, dass wir sie ueberhaupt nicht mehr loswerden. Der aelteste der Jungs versucht sich als Guide anzubiedern. Er ist offensichtlich voellig betrunken, aber Stefan spricht freundlich mit ihm, worauf er nicht mehr locker laesst. Als er mich wiederholt anfasst, sage ich ihm zweimal, er solle damit aufhoeren. Das schert ihn natuerlich wenig, denn er will ja Naehe aufbauen, Verbindlichkeit, die am Ende in einem Verpflichtungsgefuehl enden soll. Schliesslich stosse ich ihn mit beiden Haenden zurueck. Wie erwartet, laesst er sich auch davon nicht irritieren und haelt sich einfach an Stefan. Ich moechte den bunten Markt fotografieren, aber sofort hebt ein Geschrei an, ein Mann droht mir scheinbar wuetend, eine Frau kommt mit einem Regenschirm drohend auf mich zu. Ich frage, wo das Problem sei, dies sei ein oeffentlicher Platz fuer alle und ich koenne ja wohl schlecht ca. 200 Leute einzeln um Erlaubnis fragen. Die Leute sind Christen, bei denen es kein Abbildverbot gibt, wie bei Muslimen. Der wuetende Mann klaert mich auf: Ich muesse allen Geld fuer das Foto geben. Na klar Mann! Ich laufe jetzt ueber den Markt und verteile an alle etwa 100 Euro, damit ich ein Foto machen darf… Hier geht es nicht um religiose Gebote, sondern um schnoeden Mannom. Dann nicht! Aber die Auslagen fotografiere ich dennoch. Wir haben von Jane einen Einkaufzettel bekommen, u.a. moechte sie Kochbananen haben. Weil Stefan dauernd mit dem etwa 18-jaehrigen spricht, ja sprechen muss, weil der in einem fort plappert (this are Bananas!), kann er sich auf den Einkauf nicht konzentrieren. Er kauft fertig verpackte Tomaten, statt sie sich anzusehen. Meine Einwaende hoert er nicht. Dann kaufen wir Mais und die grossen, dicken gruenen Kochbananen, dass Stueck fuer einen Schilling, etwa 1 Cent EU. Ich sage Stefan, das der Junge am Ende Geld fordern wird, wenn er ihn etwas fragt, worauf Stefan sagt, er werde ihm kein Geld geben, was ich dem Jungen wiederum sage. Aber der ist ein erfahrener Bettler und hat laengst erkannt, dass Stefan am Ende einknickt und ihm doch Geld gibt. Ein afrikanischer Markt ist fuer die Landbevoelkerung nicht einfach ein Verkaufplatz. Man nimmt weite Wege, oft stundenlange Fussmaersche auf sich, schwer beladen mit dem Wenigen, was man anzubieten hat. Das sind oft nur ein paar Limonen, oder Korianderbueschel, wenige Kohlkoepfe oder eben drei Bananenstauden. Die kleinsten Bananen sind die besten. Nur gross wie ein Daumen, sind sie unglaublich suess, ein Aroma, dass mir jetzt gerade beim Schreiben das Wasser im Mund zusammenlaufen laesst. Der woechentliche Markt ist wichtigster Treffpunkt. Hier werden Neuigkeiten ausgetauscht, Tratsch und Geruechte verbreitet. Man sieht sich wieder, erneuert Bekanntschaften, vertieft Freundschaften. Man hat Zeit, den es gibt keine Hektik. Den ganzen Tag sitzt man zusammen, moeglichst im Schatten von Baeumen, Schirmen oder groben Holzgestellen, die mit Plastikplanen uebrzogen sind. Erst wenn der Tag zur Neige geht, wenn moeglichst alles verkauft ist, macht man sich in Gruppen auf den Heimweg, wo froehlich weitergesprochen wird, so wird die Zeit nicht lang und man spuert die Anstrengung nicht. Es sind eigentlich nur Frauen, die hier sitzen, manche wohlbeleibt, in bunten Kleidern und Kitteln. Wenn einem ein Preis zu hoch erscheint, gibt es fast unbemerkbar, schnelle Fingerzeige oder Zurufe in der lokalen Sprache, hier meist Kikuju oder Kimeru, so dass man sich am naechsten Stand mit demselben Perisangebot konfrontiert sieht. Die gleiche Nachrichtenfunktion haben auch die Guides: statt einem zu helfen, das guenstigste Angebot zu finden, informieren sie manchmal die Marktfrauen ueber das Angebot ihrer Konkurrenz; schliesslich sind wir bald weg, aber sie muessen noch Jahre zusammen auskommen. Die alte Bettlerin hat die Auseinandersetzung ums Fotografieren mitbekommen und verlangt stur Geld dafuer. Als sie nichts bekommt, wird sie boese und stellt sich am Ende sperrend vors Auto, damit wir nicht wegfahren koennen. Der Junge ist mit Stefans Spende nicht zufrieden und lehnt sich tief ins Fenster, worauf sich Stefan zu mir lehnt und auch noch Kekse aus dem Handschuhfach holt. Ich haette laengst das Fenster hochgeschraubt, aber mein Gastgeber ist ein netter Kerl und diskutiert noch eine Weile, faehrt schliesslich langsam los, die Bettlerin vor der Motorhaube herschiebend. Zuhause stellen sich die Tomaten als grossenteils verfault oder zu gruen heraus. Und statt, wie bezahlt, zehn Bananen, hat die Marktfrau dem offensichtlich zu lieben und abgelenkten Stefan nur sechs eingepackt. Jane kennt die Sitten ja bestens, aber einen guten Kerl misstrauisch zu machen, hat sie bisher noch nicht geschafft. Die Kochbananen schmecken gut, etwa wie Suesskartoffeln. Mit suedafrikanischem Wein lassen wir es uns schmecken. geschrieben am 18.4. in Nairobi
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