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Reisetagebuch

4/12/2004   Kenia / Nanyuki

Im Herz der Finsterniss

Licht und Schatten

(Harald) Wieder ein Morgen am Fusse des Mount Kenia, die Sonne scheint durch Wolkenfetzen, die kuehle, feuchte Luft traegt den Duft von Blueten, Gras und Erde. Freundlich begruesst mich die schwarze Ziege, die sich mittlerweile von mir genuesslich hinter den Hoernern kratzen laesst, dort, wo sie selbst nie drankommt.

Wenn ich einen der hoelzernen Regiestuehle auf die Terrasse stelle, kommen sogleich auch die beiden Huehner angelaufen, in der Hoffnung, ein paar Kruemel vom Fruehstuecktoast abzubekommen. Der Ibis stolziert hinter dem Kompostloch und zwischen den Klapplamellenscheiben des Wintergartens ertoent Stings "Thats not a shape of my heart". Ich habe eine Tasse Milchkaffee neben mir auf dem Terrassenboden stehen und eins von Stefans Buechern auf den Knien: "Durch das Herz der Finsterniss", eine literaturwissenschaftliche Abhandlung ueber die Wurzeln des europaeischen Rassismus. Das Paradies um mich herum und die Hoelle auf meinem Schoss so nah beieinander, wie Brueder, die sich hassen, weil sie sich so aehnlich sind. Mir fallen Saetze ein wie: Wir toeten was wir lieben. Wir sind so ambivalente Wesen.

Mein Blick auf den Himmel ueber mir zeigt mir das nie gesehenes Wunder eines kreisrunden Regenbogens um die Sonne herum. Ich habe zwar schon eine Mondkorona gesehen, diesen mehrfarbigen Kranz, den das Licht eines Vollmondes in duenne Wolken malt, aber bei Tage hat dasselbe Phaenomen etwas Froehliches, Beruehrendes.

In seinem Buch bezieht sich Sven Lindqvist auf eine alte Novelle des Exilpolen Joseph Conrad, die er 1896 verfasst hat: "Das Herz der Finsterniss". Als Charles Darwin das Buch las, vermerkte er eine Randnotiz: "Schlagt die Bestien alle tot." Ein Satz, der Lindqvist nicht mehr losliess. Er ging der Geschichte des "modernen" Rassismus nach, ein Abstieg in die Niederungen der Zivilisation. "Civis", lat. fuer Stadtmensch (folglich City), sagt nichts ueber einen kulturell "hoeheren" Entwicklungsgrad aus, es sei denn, man setzte voraus, dass allein das Leben in Staedten eine Hoeherentwicklung sei. Hoeher? Wohin nach oben eigentlich? Ich glaube nicht im geringsten an eine Weiter- oder Hoeherentwicklung des Menschen, der Menschheit, halte diese Erwartung sogar fuer hinderlich, wenn nicht gefahrlich. Denn wenn wir Stadtmenschen die Krone der Zivilisation verkoerpern, dann sind die Nomaden, die Hirten, Jaeger und Sammler, Naturvoelker ja per Definition unzivilisiert, also unterentwickelt. Sie sind arm, weil sie nichts verdienen, pro Kopf der Bevoelkerung. Aber sind sie nicht reich, auch ohne Schulbildung, Steinhaeuser, Autos, Silikonbrueste, Talkshows, Las Vegas und Cruise Misles? Oft viel reicher als wir? Vielleicht lachen sie mehr, sind unbekuemmerter, freier?

Karen Blixen, die daenische Schriftstellerin, die durch ihre Autobiografie und deren Verfilmung "Out of Africa" weltberuehmt wurde, stand damals dem oertlichen Kikuyu-Haeuptling gegenueber und bat um Erlaubnis eine Schule fuer die Kinder des Stammes errichten zu duerfen. Der Hauptling fragte zurueck: "Die Englaender koennen Lesen und Schreiben. Und was hat es ihnen genuetzt?"

Als die 1896 im Gebiet der heutigen Kongostaaten kolonial wuetenden Belgier seinen Stamm besiegt hatten, sagte Koenig Somabulano: "Ihr koennt uns ausrotten. Aber die Kinder der Sterne koennen niemals Hunde sein." Haben wir seitdem wirklich etwas gelernt, verstanden? Findet hier in Kenia doch in diesen Tagen immer noch eine Verdraengung der Nomaden durch die Civis-Menschen statt und mit welcher, denn der alten Rechtfertigung: "Ihr muesst der Zivilisation weichen." Kein Platz fuer diese schoenen, lebensklugen Menschen.

Jane, Stefan und Tara fahren am Nachmittag fuer ein paar Tage in den Meru-Nationalpark, der an den Osthaengen des Mount Kenia liegt. Wir verabschieden uns herzlich voneinander, wir waren eine gute WG.

Ich will morgen abreisen.

geschrieben am 19.4. in Nairobi


 

 


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