4/14/2004 Kenia / Karatina
Mau-Mau
Ueber Naro Moru nach Nyeri und Karatina/ der Aufstand gegen die Kolonialmacht
(Harald) Aus dem Kamin, den ich gestern abend befeuert habe, strahlt mir morgens noch Waerme entgegen. Es ist jetzt alles derart durchfeuchtet, dass die Holzscheite nicht brennen wollten und die Waesche zwei Tage zum Trocknen braucht. Der Zufahrtsweg ist eine Schlammstrecke, auf der das Fahrrad sofort blockieren wuerde, weil sich Matsch und Lateritsteine derart zwischen Reifen und Schutzblech verdichten, dass ich das Rad vor Tagen nur noch tragen konnte. Selbst LKWs rutschen wie auf Eis ueber den Weg und nach 20 Metern zu Fuss haben sich die Sandalen zu Plateauschuhen gemausert, deren Sohlen eine dicke Erdschicht zieren. Ueberall pfeifft, traellert und knarzt es- das sind keine Voegel, sondern maennliche Froesche und Kroeten, die ihre Hochzeitsavancen machen. Ist halt eine andere Tierwelt hier- ich kenne sonst nur Quaken von dieser Gattung. Weil ich letzte Arbeiten im Netcafe erledige, komme ich erst Mittags in den Sattel und genau in dem Moment beginnt es zu nieseln. Der Himmel ist trueb und verheisst keinen trockenen Tag. Kurz hinter Nanyuki ueberquere ich den Aequator, diese gedachte Linie, die die Erde in eine Nord- und eine Suedhalbkugel teilt. Der Regen verschafft mir die Taufe dazu. Es sind 20 km bis Naro Moru, der naechsten groesseren Ortschaft und die sind schnell zurueckgelegt. Es faengt nun geradezu an zu schuetten und ich fluechte in einen Imbiss. Hier dreucke ich mich herum, lese eines der Buecher, die ich aus Stefans Bestand mitgenommen habe und in Nairobi an einen Verwandten zurueckgeben werde. Erst um 16.30 Uhr laesst der Regen soweit nach, dass ich weiterfahren kann. Ich erreiche den Abzweig nach Nyeri, einer Stadt, die als Herz des Kikujulandes gilt. Dieser Stamm ist mit ca. 20 % Bevoelkerungsanteil Kenias groesste Ethnie und hat sich der Entwicklung der Region angepasst. Es gibt nur noch sehr wenige traditionell lebende Angehoerige dieses Stammes. Sie gehoeren der Bantufamilie an und der Mount Kenia, den sie Kirinjaga nennen- Berg des Lichts, ist ihnen heilig, wohnt dort nach ihrem Glauben doch ihr Gott, weshalb sie auch die Eingaenge ihrer Haeuser vorzugsweise zum Berg hin ausrichten. Die Urmutter der Kikuju hiess Mumbi- dass ist der Zweitname von Jane und Stefans Tochter Tara. Die Kikuju haben, wie alle anderen Staemme, eine lange Voelkerwanderung hinter sich. Vermutlich aus dem Gebiet des heutigen Suedsomalia kommend, vermischten sie sich mit Kamba, Massai, Thagicu u.a. Von den Massai uebernahmen sie einen Teil deren Sprachschatzes, Taenze, Kleidung und Schmuck. Wie die Massai haben sie ein basisdemokratisches Gesellschaftssystem, sowie Altersklassen, Aeltestenraete und Kriegerkasten, eine extensive Viehhaltung und das Verbot Fisch zu verzehren. Durch die Vermischung mit anderen Staemmen ist es fast unmoeglich, einen Kikuju vom Anlitz her zu erkennen, wie z.B. einen Somali oder Massai. Die Assimilierung verschiedener Stammeskulturen fuehrte offenbar auch zu grosser Flexibilitaet, denn die Kikuju haben sich dem modernen Leben erstaunlich gut angepasst. Sie nutzten Bildungschancen und nehmen heute eine Vormachtstellung in Politik, Beamtentum, Handel, Handwerk und Unternehmen ein. In Nairobi stellen sie 40 % der Bewohner. Der letzte Praesident Kenias, Moi, selbst vom Stamm der Kalenjin, draengte ihren Einfluss zugunsten seines Stammes zwar zurueck, durch Grundbesitz und eigene Unternehmen ist ihr Einfluss aber ungebrochen. Dafuer werden sie von den anderen Staemmen respektiert, aber nicht gemocht. Die Kikuju waren mit den Luo vom Viktoriasee der erste Stamm, der sich gegen die weisse Vorherrschaft auflehnte. Sie schufen 1952 die Mau-Mau-Bewegung, eine Untergrundguerilla, die gegen die englischen Kolonialherren kaempfte. Die englischen Herren versuchten die Unabhaengigkeit Kenias hinauszuzoegern und spalteten damit gemaessigte und radikale schwarze Politiker. Die Reformbemuehungen der nationalen Bewegung KAU (Kenya African Union) unter Jomo Kenyatta konzentrierten sich auf das Wahlrecht fuer die Schwarzen, Rechte des Landerwerbs, Verbesserung der Bildungssituation u.a. Und wie so oft, waren die gemaessigten Unterstuetzer der weissen Politik die ersten Opfer der Anschlaege der Mau-Mau. Dann wurde am 7.10.1952 der Asunahmezustand verhaengt und etwa 100000 Soldaten, Polizisten und schwarze Milizen versuchten die etwa 20000 Rebellen zu erwischen, die sich jahrelang in den Urwaeldern um den Mount Kenia und die Aberdare Berge versteckten. Die Hoffnung der Mau-Mau, dass sich die anderen Staemme der Bewegung anschloessen, erfuellte sich nicht. Die Massai, Samburu, Kamba usw. folgten ihren Aufrufen nicht. 830000 Kikuju wurden in Internierungsdoerfer verfrachtet, geheime Einheiten aus gefangenen Kikuju, die mit den Briten kollaborierten und Ortskundigen, gebildet. Als im Oktober 1956 der gefuerchteste der Mau-Mau-Generaele gefangen und hingerichtet wurde, brach der Widerstand zusammen. Insgesamt kostete der Aufstand offiziellen Angaben zufolge etwa 100 Weissen das Leben. Hingegen fielen etwa 11500 Rebellen. Der Weg zur Unabhaengigkeit war aber bereitet und am 12.12.1963 wurde Jomo Kenyatta erster Praesident der Republik Kenia. Zum Gedenken an die gefallenen Rebellen der Mau-Mau und die Unabhaengigkeit wurde in Nyeri ein Denkmal errichtet. Weil ich nicht 10 km nach Nyeri abbiegen will, fahre ich trotz hereinbrechender Dunkelheit weiter. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blenden mich, es geht bergauf auf einer loechrigen Strasse und nach drei Wochen Pause sind auch die Oberschenkel nicht mehr ganz auf der Hoehe. Jedenfalls wird es eine ziemliche Anstrengung gegen 21 Uhr, nach 70 km, Karatina, eine dunkle, schmutzige Stadt, zu erreichen. Dort setze ich mich erstmal auf die Holzbank in einem Geschaeft und essen Kuchen, bevor ich im Ibis-Hotel eine laute Unterkunft finde. Eine heisse Dusche, ein paar Seiten Lesen und die Augen fallen zu. geschrieben am 20.4. in Nairobi
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