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Reisetagebuch

3/19/2004   Kenia / Kainuk

Renatas Reisetagebuch / 13

Dreizehnter Abschnitt

(Renata) Der Allerwerteste schmerzt, die Handgelenke sind verstaucht, Nackenmuskulatur und Ruecken verspannt. Das Radfahren macht heute keinen Spass mehr. Wir entscheiden, in die naechste Ortschaft zu fahren und uns dort den Rest des Tages auszuruhen. Mittags erreichen wir Kainuk, wieder ein kleines Staedchen, in dem sich alles um die durchfahrenden Busse dreht, die von Lodwar nach Nairobi fahren.

In einem Hotel (so heissen hier die Restaurants) nehmen wir eine Mahlzeit zu uns. Draussen am Eingang steht eine Gruppe von ca. 12 Kindern, die uns beim Essen zugucken. Wir bestellen fuer jeden ein Mandasi, die Fruehstueckspezialitaet in Kenia. Wie Fische im Wasser, zupfen uns die Kinder das Gebaeck aus den Haenden, so hungrig sind sie.

Das Leben der Strassenkinder hier in Afrika ist sehr hart. Wenn sie einmal auf der Strasse landen, gibt es meist kein Zurueck mehr. Sie leben im Schmutz, schlafen in ihren Pappkartons und holen sich zu essen, wo sie etwas finden.

Sie kommen aus verschiedenen Gegenden und alle haben ihre eigene Geschichte. Einige haben ihre Eltern in einem Krieg (z.B Eritrea-Aethiopien) verloren, andere haben keine Erinnerung, dass sie je Eltern hatten. Viele sind von ihren Stiefeltern weggelaufen, andere setzt man regelrecht vor die Tuer, wenn es zu Hause keinen Platz und nichts mehr zu Essen gibt.

Aber sie lachen immerzu.

Ein kleiner, vielleicht 3-jaehriger Bub mit riesigen Augen und nach vorne geblaehtem Hungerbauch, der mit einem Fetzen bedeckt ist, der an ein Nachthemd erinnert, setzt sich gleich im Eingang auf den klebrigen Boden und mit dreckigen Fingern schaufelt er gierig in seinen Mund, was wir ihm gegeben haben. Das was uebrig bleibt, bringt er auf die Strasse und gibt den Anderen davon ab.

Dann, stumm und Abstand haltend, folgt er uns in die Lodge, deren Besitzerin ihn kennt.

"Das ist Survivor, das heisst Ueberlebender", sagt sie.

"Er hat niemanden, der sich um ihn kuemmert".

Seine grossen, feuchten Augen gucken uns beim Auspacken zu. Er sagt kein Wort.

"Survivor ist doch kein Name, was waere mit Seven", schlage ich vor. "Eine Zahl, die, wenn man daran glaubt, Glueck bringen kann. Und ich glaube daran, dass man dem gerade 3-jaehrigen Obdachlosen Seven helfen kann. Wo so viele Menschen leben, wird sich doch auch ein Platz fuer einen kleinen Jungen finden, wenigstens etwas zum Essen."

So verbreiten wir nachher auf der Strasse die Geschichte ueber Seven, seinen Namen und das Glueck, dass er bringen soll, wenn man ihm hilft.

Wir kleiden ihn neu an und als es dunkel wird, gehen wir zurueck in die Lodge. Seven darf nicht bei uns bleiben, er muss da draussen, irgendwo in einem der Pappkartons, mit den anderen Strassenkindern schlafen.

Am naechsten Morgen kommt er sehr frueh zurueck und wartet ganz still bis wir aufwachen. Als wir aufstehen, setzt ihn Ralph auf das grosse Bett, das wir gestern abend auf den Hof gestellt hatten, um eine kuehle Nacht zu geniessen. Fuer den kurzen Moment unseres Aufenthalts in Kainuk darf Survivor im Mittelpunkt stehen. Was nachher passiert, werden wir nie erfahren. Wir koennen nur hoffen, dass wir doch etwas Positives bei den Einwohnern erreicht haben und sich der Eine oder Andere findet, der Seven hilft und ihm vielleicht auch ein bisschen Waerme gibt, wonach er sich sehr sehnt.

Der Abschied ist ein Augenblick, der mir unvergesslich bleiben wird. Wir verlassen den Ort auf der Teerstrasse, rechts und links die Stein- und Holzhaeuschen, hinter uns haben sich ca. 40 Dorfbewohner auf der Strasse versammelt. Allen voran steht, mitten auf der Fahrbahn, der kleine "Seven" in seinem neuen, orangefarbenen Shirt. Wir steuern das Tor zum Nationalpark vor uns an und blicken zurueck. Die Menschen rufen: "Seven, Seven!" Und- ich kann die Erinnerung kaum aushalten- Seven trennt sich von der Gruppe und geht uns langsam hinterher. Nur jetzt nicht stehen bleiben, denke ich, sonst bleibst du hier.

Auf einer kleinen Holzbruecke halten wir an. Ich muss tief Luft holen. Ralph und ich schauen uns an und als Ralph mich fragt: "Soll ich dich druecken?", habe ich das Gefuehl, dass er das auch selber braucht.

Noch lange verschwimmt die Landschaft um mich herum.


 


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