4/22/2004 Kenia / Nairobi
Kariokor
Besuch eines Marktes
(Harald und Renata) Um 5.15 Uhr weckt einer der Angestellten oder Nachbarn der Zahra Lodge mit dem morgendlichen Ruf "Allahu Akbar", denn diese Unterkunft beinhaltet auch eine Moschee, die man auf den ersten Blick garnicht erkennt, denn es handelt sich lediglich um einen halboffenen, mit einem Holzzaun umgebenen Raum im ersten Stock. Nachdem ich mich herzlichst fuer das puenktliche Wecken bedankt habe, versuchen wir noch eine Muetze Schlaf zu nehmen. Aber alsbald haben sich vor dem Zimmer, dessen Tuere auf den offenen Hof im zweiten Stock hinaus fuehrt, mehrere Hotelgaeste zu einem angeregten Plausch zusammengefunden. Dabei ist ihnen die zu dieser Zeit voellig uebertriebene Lautstaerke entweder nicht bewusst oder schnurz. Was in aller Welt ist nur seit der Tuerkei mit den Leuten los? Ueberall dieses Geschrei, alles muss droehnen, scheppern, die Lautsprecher ueberschlagen sich. In den Restaurants, im Netcafe, im Bus, im Kino- ueberall platzt einem foermlich das Trommelfell. Es ist, als ob die Menschen den Laerm braeuchten, diese allgegenwaertige Krachkulisse. Ich dachte immer, dass ein Ruhebeduerfnis jedem Menschen, jeder Kultur innewohnt, aber ich muss mich eines Besseren belehren lassen. Erklaeren konnte mir das noch niemand. Betaeubt der Laerm, uebertoent er, lenkt er ab, schafft er eine Illusion? Jedenfalls hilft es wenig, vor die Tuere zu treten und um Ruhe zu bitten. Man ist hoeflich, entschuldigt sich, es ist ein paar Minuten leiser, dann kommen andere und es geht in der ueblichen Lautstaerke weiter. Afrika macht demuetig, geduldig, resignierend und am Ende steht wahrscheinlich eine Art Gleichgueltigkeit, Duldsamkeit, die laehmt. Vielleicht ist es das, was Afrika passiert ist? Es gibt fuer alle Gaeste auf drei Etagen nur ein Waschbecken und das haengt draussen im Freien, so dass man beim Waschen stets Zuschauer aus den nahen Nachbargebaeuden hat. Wie waescht sich ein Musungu, wie putzt er sich die Zaehne? - das scheint eine interessante Frage zu sein. Aber man schaut verstohlen, nicht so dreist und unverhohlen wie in Aethiopien. Und es gibt nur eine Dusche. So wird die Morgentoilette zum Roulette, Stau am Becken, Schlangestehen am Spiegel, bewaffnet mit Zahnbuerste, Rasiercreme und Gilette-Dreifachklinge im Hosenbund (mangels Ablage), weiter vorne wird kraeftig ins Becken gerotzt und der Hals geraeuschvoll leergeraeumt- wehe, die Zahnbuerste faellt einem in dieses Becken! Mittlerweile sind wir aber kaum noch krank, was soll uns auch noch krank machen, nach dem Viren- und Bakterienbombardement in Aegypten und Aethiopien? Pah, kleine Fische hier! Unser Imunsystem ist top, unschlagbar fit (hoffentlich). Fruehstueck im Malindi Dishes. Der Kellner, ein aelterer Herr mit einigen grauen Haaren bedient uns ruhig, freundlich, bemueht. Er freut sich uebers Trinkgeld und verschafft uns eine etwas persoenliche Atmosphaere in diesem Selbstbedienungsladen. Hier lesen wir die "Nation", eine der kritischen und beliebten Tageszeitungen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Gegenueber, im Netcafe des Abbey-Hotels, verbringen wir taeglich Stunden. Im Restaurant gibt es ein leckeres Haehnchen. Als ich spaeter einen Blick in die offene Kueche des freundlichen Kochs werfe, faellt ihm gerade etwas Gemuese auf den Boden, schnell hebt er es auf und wirft es in den Topf zurueck, waere auch zu schade drum gewesen, dass verstehen wir ja. Und so loest sich auch das seit Tagen quaelende Raetsel, wieso man auf kleine schwarze Steinchen beisst, wenn man Reis bestellt (spaeter serviert man uns im Malindi Reis mit einer toten Kakerlake, die Renata erst entdeckt, als sie fast zu Ende gegessen hat). Wir besuchen den Kariokor Market, eines der aeltesten Viertel der Stadt, wobei hier nichts aelter als 100 Jahre ist, denn davor gab es Nairobi nicht. Der Name ist eine Verballhornung des englischen "Carrier Corps", denn hier waren im Ersten Weltkrieg die Traegerkolonnen des britischen Heeres angesiedelt. Der Markt wird vom brodelnden Verkehr umfahren und besteht aus hunderten winziger Staende, einem dunklen Gewirr von krummen Holzstangen und Planen, dazwischen liegen auf Planen oder einfach auf dem Erdboden alte Schuhe, zerschlissene Kleidung, verbeultes Aluminiumkochgeschirr- die einen haben es verkauft, weil sie sonst nichts mehr von Wert hatten, um etwas zu essen zu kaufen, die anderen haben kein Geld, um sich etwas Neues leisten zu koennen. Wir werden ununterbrochen von Maennern belagert, die uns freundlich und unermuedlich zu ihrem Stand fuehren wollen- "just have a look! You know how much?" (Nur gucken! Wissen sie wieviel?). Das nervt natuerlich bis zur Aufgabe, weil man staendig etwas gefragt wird: woher man komme, wie man sich fuehle, ob man helfen koenne usw. Am Ende will man ja nur in ein Gespraech verwickeln und der Glueckliche sein, der dem Musungu etwas verkauft, denn der kennt die Preise nicht und zahlt mehr, als ein Einheimischer. Das man eher vertreibt, als ein Geschaeft zu machen, scheint niemand zu merken. Man muss staendig vor die eigenen Fuesse schauen, denn ueberall liegen Waren im Weg, sind kleine Rinnsale zu ueberqueren oder Stolpersteine zu uebersteigen und es schiebt und draengt und schreit und palavert, immer zischt jemand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, worauf wir stur nicht reagieren, denn wir bestehen auf einer Ansprache, uns erscheint ein "kssksss" nicht freundlich, so locken wir Katzen oder Hunde. Trotzdem- hier ist das voellig ueblich und niemand, ausser uns, haelt das fuer unangemessen. Bei allem Verstaendnis, aller Toleranz und Anpassung, bleiben wir doch Deutsche, Europaeer, mit einem Background aus Erziehung und Kultur, den wir nicht ablegen koennen und wollen. Es ist ein Geben und Nehmen, auch die Gastgebenden muessen mit der Zeit unsere Kultur verstehen und wir gehen dann gemeinsam aufeinander zu. Das geht nicht immer reibunslos, aber auch das verstehen beide Seiten im Ernstfall und am Ende eines Konfliktes bemuehen sich dann beide Seiten um Erklaerung und Humor und Versoehnung. Zwischen all dem oft immergleichen Touristentinnef aus Holzelefanten und Massaiketten finden wir zwei Halsketten fuer kleines Geld, unser Beitrag zur Marktentwicklung. Auf der anderen Strassenseite hat ein Haendler einen riesigen Bestand von gelben und blauen Plastikkanistern aufgebaut, meterhoch tuermen sich die Berge der zum Wassertransport vorgesehenen Behaelter in allen Groessen und Formen. Weiter Richtung Stadt ueberqueren wir eine Bruecke, unter der sich ein brauner Bach durch die Abfallhaenge durchkaempft. In dem Wasser suchen Knaben irgendetwas und mich ekelt alleine der Gedanke, auch nur die Fuesse in diesen Dreck zu stellen. Fuer heute ists genug- wir sind am Abend froh, die Tuere hinter uns schliessen zu koennen. geschrieben am 29.4. in Nairobi
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