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Reisetagebuch

4/23/2004   Kenia / Nairobi

Lebenswert / In God we trust

Leben und Sterben in NR

(Harald und Renata) Als wir gestern nachmittag vom Markt in die Stadt zurueckkamen, amuesierte mich eine der Busaufschriften. Auf derm Heck stand da geschrieben: "In God we trust" (wir vertrauen auf Gott). Angesichts der moerderischen Fahrweise der Matatu- und Busfahrer, mutet das wie Zynismus an. Die Unfallzahlen in Kenia sind mit denen in Aethiopien vergleichbar: 55 Tote auf 10.000 Fahrzeuge (z.B. USA 2!). Die vielen Unfallopfer belegen die dringend benoetigten Betten fuer Kranke, der volkswirtschaftliche Schaden ist viel zu hoch fuer dieses arme Land.

Die Ursachen fuer die vielen Unfaelle sind vielfaeltig. Da sind die vielen unbefestigten Strassen, auf denen Bremsen und Ausweichen bei hoeherer Geschwindigkeit ein Drahtseilakt ist. Und endlich auf einer Teerstrasse, gibt der Fahrer umso lustvoller Gas. Doch die Teerstrassen sind dank korrupter Unternehmer und Politiker derart billig-schlecht gemacht, dass bereits nach der ersten Regenzeit die ersten Loecher in der Teerdecke entstehen. Denen versuchen die Fahrer seitlich auszuweichen, was zu einem unvorhersehbaren Schlingerkurs fuehrt, oder zu ploetzlichen Bremsmanoevern. Auch die vielen Bodenwellen, in den Ortschaften gebaut, um die Fahrer zum Bremsen zu zwingen, sind fuer den Hintermann ja nicht ersichtlich und oft bremst der Vordermann erst im letzten Moment.

Warnschilder werden gestohlen und enden z.B. als Grillrost. In Aethiopien haben wir gesehen, dass die meisten Brueckengelaender aus dem Beton gerissen waren, um das Metall zu verscherbeln. Der naechste Wagen fiel dann ungebremst in die Schlucht...

Einerseits haben die Menschen eine geradezu panische Angst vor allem Fahrenden und springen sogar erschrocken zur Seite, wenn wir als Radfahrer anrollen. Andererseits sind auf dem Land alle Fussgaenger froh, matsch- oder staubfrei auf der Strasse laufen zu koennen. In den Staedten sind die Buergersteige mit den Staenden der Strassenhaendler zugestellt, sie sind von tiefen Kanalloechern und Wassergraeben durchfurcht, staendig gibt es hohe Stufen, Pfuetzen. Die Buergersteige sind ein Ergebnis des privaten Hausbaus, nicht staedtischer Planung. Jeder legt seinen Steig so an, wie es ihm richtig erscheint. Das Ergebnis ist ein Hindernissparcour, dem die meisten Fussgaenger auf die Strasse ausweichen und hier sind sie im "Unrecht" und den Fahrern im Weg. Vor allem die Berufsfahrer, die auf Provisionsbasis arbeiten, pochen auf ihr "Recht"- dies ist IHRE Strasse- man kennt das ja z.B. von deutschen Taxifahrern. Natuerlich kann man nicht ungestraft einen Menschen ueberfahren, aber das Gefuehl im Recht zu sein, hilft schon ungemein, den inneren Schweinehund mit ans Gaspedal zu lassen.

Die zulaessige Zahl der Fahrgaeste in den Matatus wurde erst in diesem Jahr auf 14 festgelegt. Die Busse mussten einheitlich weiss lackiert und mit einem gelben Laengstreifen versehen werden , auf dem die zulaessige Passagierzahl steht. Vorher hingen die Fahrgaeste aus Fenstern und Tueren heraus, oder standen auf den Stossstangen. Jeder Sitz muss jetzt Sicherheitsgurte haben. (Einige Autoausstatter waren rechtzeitig von Politikern aufgekauft worden, als die Aktion startete).

Aber viele Fahrgaeste legen die Gurte nicht an, weil diese im Dreck liegen, sich nicht enger stellen lassen, oder schlicht aus Nachlaessigkeit- es wird kaum kontrolliert.

Die Hoechstgeschwindigkeit fuer die Busse liegt bei 80 km/h, aber es gibt so gut wie keine Geschwindigkeitskontrollen und fast alle Fahrer rasen weiterhin mit 110 oder 110 km/h. Zu einem Verfahren, wie lange in der Schweiz ueblich, den Polizisten zu gestatten, die Geschwindigkeit zu schaetzen, um ein Busgeld zu kassieren, kann man sich nicht entschliessen- es gaebe wahrscheinlich auch zuviel Missbrauch.

Aber all das beantwortet nicht die Frage, wieso die Fahrer auch ihr eigenes Leben riskieren, wenn sie in Kurven oder vor Huegelkaemmen ueberholen, warum sie in dritter Reihe und auf Standstreifen fahren, bei Regen bergab vollbeladen rasen und damit ihr Leben auf den Fingernaegeln tragen.

Der Lebenswert ist in Afrika nicht der Gleiche, wie in Deutschland. Der Tod hat hier nicht den gleichen Schrecken, wie bei uns, er ist integrierter, selbstverstaendlicher, gegenwaertiger. Unser geordnet-behuetetes Leben mit Kranken-, Lebens-, Renten-, Insassen-, Pflege-, Unfall-, Arbeitslosen- und Sachversicherungen, einem Sozialsystem, staatlich bezahlten Schulen und Kindergaerten, einem funktionierendem Polizei- und Justizapparat und all den anderen Sicherheitsleinen, haben uns dem Tod entfernt, ihn unwirklich gemacht, so dass man, denkt man an sein unweigerliches Ende, garnicht glauben kann, dass der Tod eines Tages eintritt. Wie oft habe ich schon gelesen, gehoert, dass einer nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit sagte: Ich konnte es garnicht fassen! Wieso ausgerechnet ich? Diese Frage wuerde ein Aethiopier nie stellen. Das Leid, der Tod, gehoeren zum Leben, so sehr, dass die Meglichekeiten zu deren Vermeidung nicht ernsthaft genug erwogen werden. Ursachen fuer Unglueck, fuer Krankheit, Unfall und Tod sucht man auch in Kenia meist im Ausssen. Man hat selbst etwas falsch gemacht, sich jemandes Zorn zugezogen, der einen dann verflucht, mit einem Zauber belegt hat. Oder es war goettlicher Wille, unabwendbar, man hat nicht gebetet, an Gott gezweifelt usw.

Falls jemand da den Kopf schuettelt: Die Monotoisten sind nicht anders. Wieviele Christen glauben an Horoskope? Wir derzaehlen den Kindern, der Heilige Nikolaus (dessen rotes Winterkostuem mit Pudelmuetze und Stiefeln eine Erfindung von Coca-Cola ist- der "Wihnachtsmann" war ein Bischof, wie ihn die Niederlaender noch darstellen) kaeme an Weihnachten, statt am 6.12. des Jahres. Und Ostern kaeme der Osterhase? Und feiern den heidnischen Karneval? Und geben uns Amulette, sprich Gluecksbringer mit, damit wir wohlbehalten unser Reiseziel erreichen? Die Liste laesst sich mit Freitag dem 13. (diese Zimmernummer findet sich in Hotels meist nicht), Schornsteigfegern, die Glueck bringen, schwarzen Katzen, die den Weg nicht kreuzen sollten fortsetzen. Man klopft auf Holz, um weiteres Glueck zu beschwoeren, wuenscht sich etwas, wenn eine Wimper oder eine Sternschnuppe faellt etc.

Also kein Grund, ueber den afrikanischen Aberglauben amuesiert zu sein. Wir neigen alle dazu, alles erklaeren und verstehen zu wollen, um unsere Aengste vor dem Unwaegbaren zu verdraengen.

Die auch den Kenianern eigene Schicksalsergebenheit fuehrt im Verkehr zu einem Fatalismus, der die Wahrheit verdraengt, dass man durchaus mehr zum Erhalt des eigenen und anvertrauten Lebens tun kann.

Vor ein paar Tagen krachte es lautstark vor dem Hotel. Ein mitteldrosser Bus war naechtens mit unglaublicher Geschwindigkeit und Wucht ueber eine breite Avenue gefahren und konnte auf regennasser Fahrbahn einen Zusammenprall mit einem Matatu nicht mehr vermeiden. Den unvermeidlichen Auflauf loeste ein Polizist (war der kleine Dicke in Zivil eigentlich einer?) mit einer schwarzen, einen Meter langen Peitsche auf. Statt die Umstehenden aufzufordern, sich zu zerstreuen, schlug er mehrfach auf Kinder und Erwachsene ein und niemand protestierte. Eine Peitsch- man muss sich dass mal vorstellen! Ich war der einzige, der stur stehenblieb, gespannt ob er es wagen wuerde und er ging an mir hautnah vorbei, ohne mich zu behelligen. Rassismus pur.

Die Menschen sind bereit, Gewalt zu tolerieren, Ungerechtigkeit hinzunehmen. Nicht, dass es ihnen nicht auffiele, aber Schmerz hat, wie Krankheit und Tod, nicht die Bedrohlichkeit, wie in Deutschland. Wenn mir ein Wagen von hinten fast ans Rad faehrt, um mich von der Strasse zu schubsen, trete ich oft einfach auf Kotfluegel oder Motorhaube. Niemand ist bisher ausgestiegen oder hat sich beschwert. Polizisten schauen zu, wenn hier jemand eine Einbahnstrasse gegen Fahrtrichtung befaehrt- sie wissen, dass die Stadtplaner Nonsens gebaut haben, weil ein Wechsel auf die andere Strassenseite oft kilometerlange Umwege erfordert. Da z.B. die Autobahn mangels genuegender Bruecken nicht ueberquert werden kann, fahren viele Motorrad- und Radfahrer auf der falschen Strassenseite.

Jetzt, in der Regenzeit, ist das Gedraenge besonders gross, weil jeder den tiefen Pfuetzen ausweichen muss. Ich bin mit dem Fahrrad durch Lachen gefahren, die auf dutzende Meter eine Tiefe von 30,40 cm hatten, beim Treten sammelten sich Plastiktueten auf meinen Fusspitzen.

Wie die Blinden, die keinen Guide haben, es managen, ohne Verletzungen den zahlreichen Hindernissen, auch auf Kopfhoehe, auszuweichen, ist mir ein Raetsel. Ich jedenfalls habe mich schon viele Male gestossen, weil Markisen, Schilder, Elektroinstallationen auf den Gehweg ragen. Und mit der Zeit stelle ich fest, dass ich mich den rauheren Umstaenden und Umgang angepasst habe. Das geht auch garnicht anders.

geschrieben am 3.5. in Nairobi


 

 


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