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Reisetagebuch

4/26/2004   Kenia / Nairobi

Sprich nicht mit den Schmuddelkindern

Auf den Strassen

(Harald und Renata) Liebgewordenes Ritual: Fruehstueck im Malindi-Dishes. Wir haben uns Pfannkuchen vorbestellt. Es regnet draussen, nicht nur nachmittags. Nicht nur Wolkenbrueche, sondern auch deutsche Dauerregen gibt es, Niesel und Gewitterschauer. Entsprechend fleckig sieht unsere Kleidung aus.

In all der Naesse, dem Abfall und Schlamm schlafen die Strassenkinder, Knaben, Maedchen, junge Muetter. Alle Schnueffeln. Das erbettelte Geld wird zum Kauf von Fluessigkleber verwendet und in kleine Plastikflaschen umgefuellt, die die Kinder wie Nuckelflaschen im Mund halten. Ja, es sieht wie ein troestendes Nuckeln aus, wie sie da den Geruch heraussaugen. Ihre traurigen, rotgetruebten Augen verraten ihre Hoffnungslosigkeit.

Wir schenken ihnen meine alte Hose, die sie sofort gemeinsam nach vergessenem Geld durchsuchen. Ansonsten kaufen wir fast taeglich etwas zu Essen, schenken aber kein Geld. Natuerlich sind uns die Kinder auch laestig, weil wir nie unangesprochen durch die Phalanx aus etwa 20 Bettlern kommen. Aber andererseits schmeckt uns auch das Essen erstmal nicht, wenn wir wissen, das die da draussen Hunger haben.

Sie sind nie boese zu uns, obwohl sie ein Recht dazu haetten, denn was tun wir schon fuer sie? Was tut eigentlich diese Gesellschaft, dieser Staat fuer sie? Nie sehen wir jemanden eine Decke bringen, die feuchten Naechte sind ja kuehl. Das uebriggebliebene Essen im Malindi wird in 100-Liter-Faesser geworfen und abends vor die Tuere gezogen. Aus dem, den ganzen Tag gefaultem, Inhalt ziehen sich die Hungrigsten etwas Essbares heraus. Wuerde man doch nur die Essensreste sofort, noch sauber, nach Draussen geben. Aber die Bettler vor der Tuere wuerde ja die Gaeste vertreiben, anstatt diese stolz zu machen, wenn sie etwas zu Geben haben.

Als Renata einen Jungen an ihren Tisch einlaedt, kommt unser stets serviler, lieber Kellner und sagt ihr, das saehe man hier nicht gerne. Darauf gibt sie ihm die passende Antwort: Geh an deine Arbeit, das ist meine Sache. Ich zahle, an meinem Tisch sitzt, mit wem ich sprechen will.

200 Meter weiter, auf der anderen Seite der Kenyatta-Avenue, zahlen die Gaeste im Hilton 200 Dollar pro Nacht und die meisten Gaeste sind Schwarze. Sie fahren Mercedes und BMW, tragen teure Anzuege und sind feine Leute, gebildet, von distinguierter Lebensart. Wie lange definieren wir eigentlich noch einen guten Menschen ueber diese Werte? Wieso ist Ethik kein Schulfach? Warum ist Latein wichtiger, als zu lernen, wie man miteinander umgeht und was einen "Guten Menschen" ausmacht? Und warum erklaert uns kein Geschichtslehrer die wichtigste Lehre, die Geschichte zu bieten hat: das wir uns nicht aendern, transformieren, vergoettlichen, wenn wir modern und zivilisiert sind, sondern immer die gleichen Wesen bleiben. Solange es Menschen gab und gibt, wird es all das geben, was ueber die Jahrtausende aus uns selbst heraus Leid ueber uns gebracht hat. Wir koennen dem nicht durch Reichtum und Sauberkeit entfliehen, sondern muessen einsehen, dass genau dieses Streben das naechste Leid ueber uns bringt. Und die Armen werden nicht allzulange mehr warten, es wird enger, raeumlich, zeitlich. Verehren wir Menschen doch besser wegen ihres vorbildlichen Sozialverhaltens, anstatt sie als Helden zu betrachten, weil sie gerissen und erfolgreich sind. Es ist schoen, erfolgreich zu sein, aber nicht genug. Wir brauchen keine Massen von Alibi-Muetter-Theresa-Ueberhelden, die auf so einem hohen Berg der Mitmenschlichkeit sitzen, dass wir sie nie erreichen koennen (und daher garnicht erst damit anfagen, ihnen nachzueifern), sondern eine Integration dieser Haltung in unser taegliches Leben.

"Ich sah, wie die Armen gezwungen wurden, ihr Leben roh zu essen. Ihnen blieb keine Zeit, ihr Leben zu gestalten, da sie staendig an der aeussersten Bastion des Ueberlebens kaempfen mussten. Ich sah diesen Tempel des Irrsinns, der diese Stadt war, vielleicht sogar die Welt, und er glich allem, was ich um mich sah."

Henning Mankell, "Der Chronist der Winde"

geschrieben am 3.5. in Nairobi


 

 

 

 

 

 


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