4/27/2004 Kenia / Nakuru
Angst schmutzig zu werden?
Thats life (Brave Heart)
(Harald und Renata) Es sind die ueblichen Erledigungen, die in den grossen Staedten auf unserer Reise anfallen, die uns beschaeftigen: Botschaft, Bank, Visaamt, Reparaturen an Kleidung und Rad, neue Kleidung kaufen, CDs brennen, Arbeit im Netcafe. Nichts Erzaehlenswertes. Spannend ist die Stadt selbst- aber es ergeht Renata genauso wie mir: wir sind fasziniert von den schoeneren der vielen haesslichen Hochhaeuser, die zwischen den 70er und 80er Jahren entstanden. Und von den schoenen Laeden und deren exclusiven Warenangeboten. Wir geniessen einen Kinobesuch und waere unser Budget nicht so strapaziert, koennten wir auch die guten Restaurants besuchen. Aber wir waeren lieber in der Stille, draussen auf dem Land, im Zelt. Seltsamerweise gibt es weder McDonalds, noch Pizza Hut oder eine der anderen grossen Fast-Food-Ketten. Das Angebot der lokalen Burgerbuden schmeckt meist nicht sonderlich gut und ist unverhaeltnismaessig teuer, nichtsdestotrotz sind diese Lokale gut besucht. Vor jedem Restaurant steht mindestens ein Waechter einer privaten Sicherheitsgesellschaft. In mehr oder weniger kompletten Uniformen, bewaffnet mit brachialen Polizeischlagstoecken oder Baseballschlaegern, teilweise mit Sicherheitshelmen und mit Lederpeitschen ausgestattet. Ich frage mich, welchen bewaffneten Ueberfall diese Maenner eigentlich aufhalten koennten, denn Schusswaffen haben sie keine. Peitsche versus Revolver? Die vornehmliche Aufgabe scheint die Vertreibung der fliegenden Haendler und Bettler zu sein, die hier, vor den teueren Etablissements, die Gutbetuchten abpassen wollen. Liebstes Spielzeug der Kenianer dieser Tage ist das Handy. Davon scheint es nicht genug geben zu koennen, denn schier hunderte von Haendlern bieten das Neueste auf dem Handymarkt an und ueberall bimmelt, piept und musiziert es. Das geht in dem ganzen Laerm fast unter, weshalb die Handys auf volle Lautstaerke gestellt sind- so bekommt auch jeder mit, dass man im Besitz eines Luxusartikels ist und wichtig ist, weil man angerufen wird. Hier im Netcafe vergehen keine 5 Minuten, ohne das eines der Dinger traellert und der Angerufene lautstark eine Konversation fuehrt. Wir haben eine solche Angeberphase ja auch durchgemacht, wo man fuer 10 DM eine Plastikkopie kaufen konnte, damit man beim Autofahren wenigstens so tun konnte als ob. Hier wird diese Uebergangszeit etwas laenger dauern. Auffallend und witzig ist die Angewohnheit der Nairobier, an den Bushaltestellen endlose Warteschlangen zu bilden. Man sagt den Englaendern ja nach, dass, wenn zwei an einer Haltestelle stehen, sie sofort eine Reihe bilden. Und das haben die Ex-Kolonialherren wohl vermacht, denn die geordneten Reihen umziehen ganze Haeuserblocks, winden sich um oeffentliche Telefonhaeuschen, hunderte von Menschen, die in die Vorstaedte muessen. Den Zwangsaufenthalt der Massen nutzen Strassenkuenstler und Prediger. Letztere schreien sich die Lunge aus dem Hals, es wird geschimpft, gedroht, alles in Kisuaheli, wir verstehen ausser "Jesus" und "Halleluja" nichts. Aber Tonfall und Eifer erinnern fatal an die Predigten in den aegyptischen Moscheen. Mit der unanfechtbaren Bibel in der Hand kann sich dann ein jeder oeffentlich zum Belehrer kueren und die Leute mal so richtig ausschmimpfen. Es faellt auf, dass in der Stadt wenig Kirchen existieren, der "Markt" wird von den hunderten Laienpredigern abgedeckt, die Sonntagvormittags ueberall in der Stadt zu hoeren sind. In Kinos und Hotelhinterzimmern, in Lagerhallen predigen sie, Megaphone sind aus offenen Fenstern auf die Strasse gerichtet, eine Kakaphonie von religioesem Eifer, sie uebertoenen sich gegenseitig. Von der Choreografie einer Keyboardorgel begleitet, wird da stundenlang interpretiert. Die grossen Kirchen scheinen dem gewuenschten Stil mit ihren eher stillen Andachten nicht gerecht werden zu koennen. Hier gehts zur Sache, eine laute Welt, eng, gegensaetzlich, hart, ungerecht, erfordert andere Toene. Man muss schon insistieren, um durchzudringen. Die starken Gefuehle wollen ausgedrueckt werden. Eine Fahrt mit den grossen, weiss-tuerkisfarbenen Bussen macht bescheiden, denn man sitzt mit den Knien am Vordersitz, die Motoren sind laut und die schwarzen Dieselabgaswolken ziehen auch ins Innere und sind so gesundheitsschaedlich, wie sie aussehen. Abends ist der Naseninhalt so schwarz, als habe man im Kohlenkeller geschuftet. Die Motoren sitzen neben dem Fahrer und sind nur von einer duennen Stahlplatte abgedeckt, so dass ich mich frage, wie vor allem der Fahrer die moerderische Hitze aushaelt. Die Affinitaet zum Britischen aeussert sich auch in den Schoenheitsidealen. Das eine moeglichst helle Haut als chic gilt, kennen wir ja seit der Tuerkei und Syrien schon. Aber hier versuchen die Frauen zusaetzlich ihr schwarzes Kraushaar moeglichst eoropaeisch aussehen zu lassen. Das Faerben der Haare scheint vielen zu teuer zu sein, weshalb ein geschaetztes Viertel der Damen Peruecken traegt, die mangels guten Materials leicht als solche zu erkennen sind. Andere lassen ihre Pracht glattziehen, viele drehen sich feine Zoepfe, manchmal blond gefaerbt, die in langer Arbeit geflochten werden muessen- Hauptsache keine Krauslocken. Die Maenner sorgen durch extrem kurze Haare fuer einen glatten Eindruck. Die schoene bunte traditionelle Kleidung der frauen, wie sie in anderen schwarzafrikanischen Staaten ueblich ist, sucht man hier fast vergeblich. Traegt eine Frau mal ein buntes, grosses Kopftuch, passend zum glaenzend praechtigen Kleid, faellt das sofort auf. Auf riesigen Plakatwaenden findet sich Werbung wie: "Afraid to get dirty?" (Angst schmutzig zu werden?) Das ist schon paradox, mittem in Schlamm und Abfall an der Strasse und angesichts der Tatsache, dass die meisten Nairobier dem Dreck in den Slums garnicht ausweichen koennen. Und im Radio protestieren Kinder: "No, Im not hungry!"(Nein, ich bin nicht hungrig!") Das scheint fuer Kenianer genauso bedrohlich zu sein, wie fuer die Muetter der deutschen Nachkriegsgeneration. Auch ich wurde in den 60ern zum Zunehmen in die Kur geschickt, von der Krankenkasse bezahlt, weil ich zu mager schien. Hier ist es ein Reisgericht, dass den besorgten Muetter hilft, ihre darbenden Kinder zum Essen zu bewegen, obwohl sie keinen Hunger haben: "Aaaah, Mum, still not ready?" (Essen noch nicht fertig Mutti?"). Am Nachmittag setzen Renata und ich uns in einen Matatu Richtung Nakuru, 160 km suedwestlich von Nairobi. Wir wollen morgen den dortigen Nationalpark besuchen. Zunaechst haelt der Rushhourverkehr den Bus auf, dann gehts mit 110 km/h schnell vorwaerts. 80 km vor Nakuru sehe ich die ersten freilebenden Zebras meines Lebens, die einfach zwischen den Kuehen weiden. Und Antilopenherden grasen zwischen den sattgruenen Bueschen, vor der Kulisse der Aberdare-Bergkette, die rechts von uns liegt, teils hinter einem grauen Regenvorhang verborgen. Die Strasse wird zur Ruettelpiste, Schiebetuere und -fenster klappern, die ganze Kiste klingt, als ob jemand eine Werkstatt aufraeumt. Tiefe Loecher in der Fahrbahn zwingen den Fahrer zur Slalomfahrt und riskante Ueberholmanoever regen ausser uns niemanden im Bus auf, ein angedeutetes amuesiertes Laecheln ob unserer Zimperlichkeit ist die einzige Reaktion auf unser "Uaaah!", wenn wir wieder mal um Haaresbreite einem Frontalzusammenstoss knapp entgangen sind. In der "Daily Nation" steht heute: "13 Tote bei sich ueberschlagendem Matatu"- bei nur 15 Insassen. Wir Uberlebenden kommen im Dunkeln in Nakuru an. Renata hat sich mit Ralph hier ja schon mehrere Tage ausgeruht und kennt die Stadt schon. Das Hotelzimmer ist einfach und sauber, aber kaum sind wir zu Bett gegangen, droehnt nebenan eine Freiluftdisko. Selbst Papier in den Ohren, meine Standardnachtausruestung, hilft da nicht mehr. Ich bitte die muede, gelangweilte Dame an der Rezeption, uns ein anderes Zimmer zu geben, denn man haette uns, im Wissen um den kommenden Laerm, ja nicht ausgerechnet den lautesten Winkel des Hauses andienen muessen. Die dickliche Dame schickt ihren Nachtwaechter, der eine Massai-Holzkeule in der Hand traegt, zur Besichtigung, um zu kontrollieren, ob wir schon das Bett benutzt haben. Das haette sie mich auch fragen koennen, aber auf Ehrlichkeit zu vertrauen, ist hier eher nicht ueblich. Ich schlage vor, dass wir benutzte Bettwaesche und Handtuch ins neue Zimmer mitnehmen. "Und wer macht das Bett neu?" Die Frau scheint uns nicht zuzutrauen, ein Bett machen zu koennen. Jedenfalls folgt das uebliche Zermuerbungsverfahren: Erstmal scheinbar nicht zu verstehen, dann einfach nicht mehr antworten, erstmal andere Gaeste bedienen, moeglichst lange palavern. Mein Blutdruck steigt nach 10 Minuten langsam aber sicher an. Als sie sich einer privaten Unterhaltung zuwendet, reicht es mir. Ich sage ihr, dass ich jetzt lange genug hier stehe. Sie sagt, ich haette doch gesagt, das Zimmer gefiele mir. Das stimmt, aber die Frau weiss genau, dass sich das nicht auf den Laerm bezog, sie will die Sache in die Laenge ziehen. Was haben wir gelernt, wenn man sich durchsetzen will? Drei, vier kraeftige Schlaege mit der flachen Hand auf die Theke und ein Donnerwetter wecken die Frau aus ihrer Gleichgueltigkeit und helfen sogleich weiter. Nachdem der Aussenwaerter und zwei Gaeste herbeigeeilt kommen, geht alles ploetzlich ganz einfach. Die beiden Waechter nehmen uns sogar das Bettenmachen ab und der aeltere von beiden lacht laut und meint, ich sei "brave", ein Begriff, den man am ehesten mit "durchsetzungsfaehig" uebersetzen kann. In der Nacht muss ich noch zweimal Gaeste, die bei offenen Zimmertueren Laerm machen, um Ruhe bitten, bevor es fruehmorgens um 6 Uhr, nach 4 Stunden Schlaf, wieder weiterkracht. geschrieben am 4.5. in Nairobi
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