4/28/2004 Kenia / Nairobi
Ort der Leichen
Im Jurassic-Park
(Harald und Renata) Unser einziges Ziel in dieser Stadt ist der Nationalpark. Nakuru selbst ist eher unscheinbar, obwohl mit etwa 170000 Einwohnern Kenias viertgroesste Stadt und gleichzeitig Verwaltungssitz der Rift-Valley-Provinz. Erst 1904, beim Bau der Bahnlinie nach Uganda gegruendet, ist sie vor allem vom Landbau gepraegt. Hier und in Kitale wird Pyrethrum produziert, ein natuerliches Insektizid, dass aus Blueten einer Margaritenart extrahiert wird. Kenia ist weltgroesster Lieferant dieses Mittels, dass mir aus meiner Zeit als Inhaber eines Geschaeftes fuer baubilogische Produkte wohlbekannt ist. Es ist natuerlich, aber nicht unbedenklich. Nakuru war Anfang und Ende der 90er Jahre Schauplatz ethnischer Konflikte, als sich tausende Kikujus, die man von ihrem Land vertrieben hatte, in der Stadt niederliessen und dort keine Infrastruktur, vor allem genug sauberes Wasser vorhanden war, um die Massen aufzunehmen. Wir gehen zu einem der Taxistaende. Hier stehen auch die Wuerstchenverkaeufer mit ihren kleinen Handwaegelchen, in denen hinter Glas, die Wuerste warmgehalten werden. Um auf sich aufmerksam zu machen, klackern die Verkaeufer mit einem Geldstueck zwischen Zeige- und Mittelfinger auf das Glas. Wir haben Glueck und finden einen alten, erfahrenen Fahrer, der uns fuer einen akzeptablen Stundenlohn in den Park faehrt, der direkt am Stadtrand liegt. Schon auf dem Parkplatz am Eingang heisst die Tierwelt uns willkommen. Beim Kartenkauf habe ich fuer einen Moment die Autotuere offengelassen und schon springt eine Meerkatze, ein kleiner Affe, ins Auto, um etwas Essbares zu stibitzen. Renata rennt auf die Tuere zu und blitzschnell springt der Affe heraus, aengstlich und sauer die Augenbrauen hochziehend, eine Drohgeste. Gleich nachher laesst sich die kleine Familie aber in Ruhe fotografieren. Der Nakurusee gehoert zur Seenkette des Rift-Valleys, einer tektonischen Spalte, die sich vom See Genezareth und dem Toten Meer in Israel, ueber den Viktoriasee in Uganda bis hinunter nach Mosambique zieht. Die Erdoberflaeche hat im Laufe der Jahrmillionen ihre Form dramatisch veraendert. Da das Erdinnere aus fluessigem Magma besteht, ist die darauf schwimmende Erdkruste nicht stabil. Durch die Fliehkraft, die bei der Erdumdrehung wirkt, entsteht die sog. Kontinentaldrift. D.h. die Kontinente, wie wir sie heute auf der Landkarte kennen, bildeten einst eine einzige Landmasse und driften seitdem auseinander. Und eine der heute noch aktiven Spaltungen ist das Rift-Tal. In einigen Jahrmillionen werden Aethiopien, Somalia, Kenia, Tansania usw. nicht mehr zum Festland gehoeren, sondern eine oder mehrere Inseln bilden, wie bereits Madagaskar, das frueher Teil der Festlandmasse war. Diese Spaltung fuehrt zu vulkanischer Aktivitaet, der Mount Kenia und der Kilimandscharo sind uralte, erloschene Riesenvulkane. Die gigantische Erdspalte hat sich z.T. mit Wasser gefuellt- das sind die Seen, an deren Ufern wir seit Israel und spaeter wieder in Aethiopien entlanggefahren sind. Dazu gehoert auch der Turkana- und eben auch der Nakurusee. Renata hat von diesem Park geschwaermt und entsprechend gespannt bin ich. Das Taxi durchfaehrt das doppelflueglige Tor, das wie in Marsabit zwei Nashornsilhouetten ziert. Durch einen lichten Wald riesiger Akazien schlaengelt sich eine Piste, dann oeffnet sich eine Ebene vor uns- der Lake Nakuru. Und seine Ufer sind mit einem rosafarbenen Schaum ueberzogen, der sich bei Annaeherung als eine unvorstellbare Masse Flamingos herausstellt. So etwas habe ich noch nie gesehen. Hier lebt die weltgroesste Population dieser wunderschoenen Voegel, es muessen Hunderttausende sein, vielleicht ueber eine Millionen, etwa ein Drittel des weltweiten Bestandes. Das Taxi faehrt bis auf 50 Meter ans flache Seeufer heran, wir steigen aus und mir sitzt ein Kloss im Hals, so ueberwaeltigt bin ich, fassungslos von der Schoenheit der Szene. Eine leichte Brise weht uns ins Gesicht, hinter uns stehen Zebras, Marabus und grosse Wasserboecke, wir sind mitten unter den Tieren. Renata und ich schauen uns an, wir fuehlen das gleiche. Ein Stueck Garten Eden- immer wieder faellt mir in Kenia dieser Begriff ein, wenn ich die Tiere sehe. Ein Meeresrauschen erfuellt die Luft, das sind die Zwergflamingos, die mit ihren Schnaebeln das Wasser nach Algen durchpfluegen. Die groessere Flamingoart, ein paar Zehntausend moegen es sein, lebt von winzigen Krebsen, die sie aus dem Wasser seihen- das erzeugt das Rauschen. Wir gehen auf die Tiere zu, aber ihre Fluchtdistanz liegt bei etwa 15 Metern, dann werden sie unruhig. Ich wuerde gerne das Schauspiel sehen, wenn diese Masse auffliegt, aber will die Tiere nicht stoeren, nur um dieses Erlebnis zu haben. Vor dem gruenen Hang eines Huegels auf der anderen Seite des Sees sehen wir kleine Flugverbaende lautlos vorbeiziehen, dazwischen Gruppen von weissen Flugsauriern- jedenfalls sehen die fliegenden Pelikane so aus. Die Szene erinnert stark an Jurassic-Park und wie die beiden Hauptdarsteller im Film steht uns foermlich der Mund offen, als wir die ersten Spitzmaulnashoerner sehen, eine der seltensten Tierarten der Welt. Nur 20 Meter vom Taxi entfernt liegt da ein muedes Tier am Seeufer, spaeter sehen wir eine ganze Familie. Und Wasserbueffel, 10 Meter neben dem Auto. Ein alter Bulle schaut uns an, wir steigen nur hinter dem Wagen aus, bloss nicht vom Wagen entfernen! Und dann senkt das Tier ruckartig den Kopf- das heisst: es reicht. Wer jetzt nicht weicht, wird angegriffen und diese bis zu 700 kg schweren Tiere sind wirklich wehrhaft. Ein grosser Bulle hat eine Koerperlaenge von ueber drei Metern, sein Rist erreicht 170 cm Hoehe. Sie stehen oft bis ueber die Schultern tief im Wasser, weiden sogar unter der Oberflaeche, was ich in Marsabit gesehen habe. Und da sind Warzenschweine, scheu flitzen sie mit steil aufgerichtetem Schwanz davon. Und Breitmaulnashoerner grasen neben der Piste. Die Bullen bis 3 Tonnen schwer, selbst die Jungen wiegen bei der Geburt schon 50 kg. Alle Nashornarten sind vom Aussterben bedroht, weil sie wegen des Horns gewildert werden. Chinesen und andere Ostasiaten glauben, das Hornpulver sei ein Potenzmittel (Viagra ist sicher wirksamer) und im Jemen sind die Hoerner als Dolchgriffe beliebt. Wir fahren auf einen der steilen Huegelkaemme hoch. Von hier oben hat man einen weiten Blick ueber die Ebene des Parks. Links sehen wir die Stadt, unter uns den stillen See und zu unseren Fuessen flitzen Agamen umher, die sich mit Bananen fuettern lassen. Ueber die Grasflaeche zieht eine Horde Paviane, zwischen den Akazien an der Strasse vermeine ich einen schleichenden Leoparden auszumachen. Winzige Finkenvoegel mit blauer Brust umschwirren uns, im Gras streiten sich gruen-schillernde Pillendreher um Affenkot. Diese Kaefer formen Dung zu Kugeln und rollen diese, kopfunter, mit den Hinterbeinen schiebend, an einen sicheren Ort, wo sie die Kugeln vergraben und ihre Eier hineinlegen. Die ausschluepfenden Larven fressen das gemuetliche Zuhause auf und aus den Engerlingen werden dann Puppen und daraus wiederum neue Kaefer. Ein Touristenpaerchen stellt sich ein, er Oesterreicher, sie Italienerin, beide Tauchlehrer, die auf Sansibar leben und bald auf die Malediven umziehen. Oh, what a life! Hinter der Stadt liegt der Kamm eines alten Kraters namens "Menegai". Hier fand 1854 eine riesige Schlacht zwischen Massaiclans statt. Der aggressive Laikipia-Clan ("Die Habsuechtigen") hatte seine Cousins so lange ueberfallen, bis diese sich zusammenschlossen und unter der Fuehrung des Il-Purko-Clans die Laikipia vernichtend schlugen. Hunderte Laikipia-Krieger wurden ueber den Bergkamm getrieben und stuerzten zu Tode, weshalb die Massai den Ort "Menegai" nennen- "Ort der Leichen". Die Laikipia wurden im Laufe der zweiten Haelfte des 19. Jh. fast voellig ausgerottet und der Clan existierte danach nicht mehr. Hier in der Naehe hat man auch ein in den Stein geschlagenes Mbau-Spiel gefunden, dass bereits in der Steinzeit gespielt wurde und heute noch in Afrika beliebt und verbreitet ist. Wir koennen uns nur schwer von diesem Ort loesen, schweren Herzens fahren wir bergab, umrunden den See. Zwischen den Akazien lugt eine Giraffe hervor, wir fahren an Pavianen vorbei, an Gazellen. Nach fuenf Stunden sind wir wieder in der Stadt und kaufen ein Ticket fuer die Rueckfahrt. Nach drei Stunden sind wir wieder in Nairobi- ein unvergesslicher Tag! geschrieben am 4.5. in Nairobi
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