5/15/2004 Tansania / Arusha
Karibu und Wischnu
Eine wichtige Minoritaet
(Harald) Unsere Unterkunft, das Rahaleo Guest House, liegt in einer Nebenstrasse, im kleineren von zwei Stadtteilen von Arusha. 10 Zimmer, jeweils mit Holzbett und Moskitonetz, einem Stuhl und einem vergitterten Fenster versehen. Vergittert ist hier, wie in Kenia auch, fast alles. In jedem Kleinstladen hat man ein Stahlgitter zwischen sich und dem Verkaeufer, in den Bars und Diskotheken sitzen die Buffetiers ebenfalls hinter Gittern, auch, damit die eigenen Angestellten nichts stehlen. Jeder Laden, der es sich irgendwie leisten kann, hat einen Wachmann vor der Tuere, die Banken sowieso mehrere, Tag und Nacht. In den Krankenhaeusern und Arztpraxen steht nichts herum, alles, Medikamente und Hilfsmittel, sind verschlossen. Das Problem ist also nicht, wie man mit Blick auf Suedafrika meinen koennte, ein eher rassisches, sondern ein soziales, denn weisse Tansanier sind sehr selten. Die krassen Unterschiede von Arm und Reich sind die Ursache der Kriminalitaet. Dazu kommt eine afrikanische Komponente der Problemloesung: Komplexe Planungen, gerechte Beschluesse, Schutz von Minderheiten, klare Zielverfolgung- damit tun sich die Menschen, die Regierungen hier schwer. Dann ersetzen spontane Beschluesse, egozentrische Verhaltensweisen eine gerechte Politik, man geht irgendwie hin, irgendwie macht man und dann setzt man sich durch, im eigenen Interesse, zum Vorteil des Stammes, des Clans, bevorzugt Verwandte, Freunde, nicht die Geeignetsten bekommen den Posten, sondern die Naechsten, Korruption ist auch Versorgung der Angehoerigen. Ein Grossteil der Bevoelkerung lebte urspruenglich als Nomaden und die haben eine alte Kultur des Nehmens und Nehmens, sprich Viehdiebstahl und Landnahme. Der Staerkere nimmt sich, der Schwaechere akzeptiert das oder revanchiert sich. Es ist nicht schlecht zu stehlen, sondern sich erwischen zu lassen. Ein Diebstahl wird erst einer, wenn man gefasst wurde. Das ist sehr vereinfacht, nicht zu verallgemeinern, aber diese indifferente Haltung aeussert sich eben einerseits in einer ausufernden Kriminalitaet, in Gittern und Wachleuten, andererseits in einer grossen Wut gegenueber denjenigen, die den inneren Schweinehund nicht bekaempfen, sondern stehlen und rauben, um dann zu hunderten vom Mob oder der Polizei schlichtweg gelyncht zu werden. Da wird auch schon mal jemand bei lebendigem Leibe verbrannt, in aller Oeffentlichkeit, am hellichten Tage. Ich erinnere mich an einen Dorfpolizisten in Aethiopien, der mir die lokalen Diebesgroessen gleich an der Busstation vorstellte: "This is thief!" zeigte er auf einen ernst blickenden Knaben. "And this is thief!" stellte er mir den naechsten vor. "And this is veeeeery biiiig thief!" sagte er laut, mit hochgezogenen Augenbrauen, auf einen freundlich grinsenden Mann zeigend, der mit der Kategorisierung garnicht ungluecklich schien. Bartholomaeus, der freundliche Nachtwaechter des Hotels, ist auch ein Prediger, der Sonntags in einer der kleinen Saele lauthals den rechten Weg anmahnt. Stets ein laechelndes "Karibu sana" (herzlich willkommen) auf den Lippen, stets ein "Sorry", wenn etwas nicht einwandfrei laeuft. Oliver und ich gehen am Nachmittag spazieren, es gilt Spannung abzubauen, denn E-Mails sind nicht nur Segen, sondern auch Fluch. Stets fast ueberall erreichbar, bleiben wir in intensivem Kontakt mit der Heimat und mit den Problemen, denen wir eigentlich gerne mal entwichen waeren. Oliver muss eine schwere Entscheidung treffen, ein Bummel durch die Aussenbezirke der Grosstadt Arusha kommt gerade recht. Hier ist alles gruen, Bananenstauden, Jacarandabaeume, Riesenfeigen, Eukalyptus zwischen Wellblechhuetten, grosse Wiesen auf denen Jungs Fussball spielen (Musungu! Abari? How are you?), eine Bahnlinie, neben der Ziegen im Abfall nach Fressbarem suchen, Enten schnattern, Huehner gackern. Kinder laufen zusammen, wir machen Fotos, zeigen den Knirpsen auf dem Mini-Monitor der Kamera die Ergebnisse, eine Freude den Spass zu sehen, den sie haben, wenn sie sich oder ihren Freund erkennen. Wer von ihnen hat ueberhaupt schon mal mehr als ein Passbild oder eine Familienaufnahme von sich gesehen? Auf dem Rueckweg kommen wir an einem Hindu-Tempel vorbei, indem ein Gottesdienst stattfindet. Wir fragen, duerfen eintreten. Der Raum ist weiss gestrichen, mit roten Bordueren verziert, in Nischen sind Statuen der wichtigsten Goetter der Hindus untergebracht. Oliver war ein halbes Jahr in Indien, ist erst vor wenigen Wochen von dort gekommen, alles ist noch frisch in Erinnerung, es ist fuer ihn fast wie ein Stueck Nachhausekommens. Ganz vorne sitzen die Frauen mit einem locker ueber das Haar geworfenen Tuch auf einem bunten Teppich, dahinter die Knaben und Maenner. Es wird gesungen, kleine Schellen und Trommlen werden gespielt, ein Vorsaenger intoniert einen Refrain. Hier wird Wischnu verehrt, einer der drei maechtigsten Goetter der Hindus. Bilder der anderen Goetter haengen an den Waenden. Die Atmosphaere ist eher locker und froehlich, man zieht an Glocken, um dem Gott sein Hiersein anzuzeigen. Nach dem Gottesdienst lassen wir uns von der Ehefrau des Priesters alles erklaeren und man laedt uns zum naechsten Gottesdienst ein. Als wir gehen wollen, mahnt man uns, ein Taxi zu nehmen, weil es zu gefaehrlich sei, im Dunkeln durch die Gassen zu gehen. Wir haben kein Geld fuer Taxifahrten und so kommt es, dass uns ein Inder mit seiner Familie in die Stadt mit seinem Wagen mitnimmt, nicht ohne uns nach Hause einzuladen, zum Essen. Indisches Essen! Ich will gerade begeistert ja sagen, als Oliver schlichtweg deutlich ablehnt. Ich bin sprachlos, seine etwas unreflektierte "Fuehrungskraft" ist gewoehnungsbeduerftig. Wir lachen spaeter darueber, er entschuldigt sich, er ist noch indiengeschaedigt, hunderte Male eingeladen und auf automatisches Ablehnen eingerichtet. Indien scheint ein interessantes Reiseland zu sein. Die Inder stellen, wie in Kenia, so auch in Tansania, eine Art Fuehrungselite, haben die groessten, besten Geschaefte inne, politisch grossen Einfluss, sind gebildet, in ihren Traditionen verwurzelt, ihre Muttersprache ist Indisch geblieben, die Frauen tragen Saris und die Ehefrauen den roten Stirnpunkt, die Sikks die gekreuzt gewickelten Turbane. Kein Inder haengt sich je in Kenia oder Tansania an mich, sie gehen mit mir selbstverstaendlicher um, auf gleicher Augenhoehe. Ihre Waren sind gut, ihre Preise hoch. Gleichwohl ist ein Essen im "Big Bite", einem der besten Lokale in Arusha ein Muss fuer Oliver und mich, ein Tandoorigericht, ein Curry beschliessen unseren Tag. geschrieben am 24.5. in Arusha
|