5/18/2004 Tansania / Engaruka
Kleine Helden
Fahrt nach Westen in die weiten Grasebenen
(Harald) Es kommt, wie es wohl kommen musste: der Mann taucht nicht auf, dass Geld ist verloren und Oliver um eine Erfahrung reicher. Aber wir hatten ja urspruenglich eh vor, die Tour alleine zu organisieren und deshalb gehen wir zur Busstation, nahe der sich uns sogleich ein junger Kerl wie zufaellig zu uns gesellt: "Hi! Dschambo! Where you from?" Und wohin wir wollen usw. Ich warne Oliver, der sich gleich, um FReundlichkeit bemueht wie immer, auf ein Gespraech einlaesst: Der will nur eine Kommission, dass wird nur teurer fuer uns. Aber Oliver ist halt ein optimistischer, freundlicher Mensch und so verlangt man von uns, folgerichtig geradezu, am Bus auch einen ueberhoehten Preis. Dumm nur, das die tatsaechlichen Buspreise im Bus angeschlagen sind! Der Guide und ein Busbegleiter stellen sich wechselweise vor das Plakat, damit wir es nicht lesen koennen. Aber es hilft nichts, auch Oliver ist angespitzt und besteht auf dem richtigen Preis. Der Bus ist noch leer und faehrt immer erst ab, wenn der letzte Platz belegt ist; es gibt keine Abfahrtplaene. Die Zeit nutze ich, mir ausgiebig den Busbahnhof anzusehen. Diese Knotenpunkte sind staedtische Herzen, durch die das Blut der Busse und Fahrgaeste gepumpt wird, schnell, quirlig, laut, stossweise. Mangels eines Eisenbahnnetzes, mangels Geld fuer Flugverbindungen, mangels schiffbarar Fluesse, sind die Strassen die wichtigsten Adern, durch die das belebende Blut fliesst. Die meisten Tansanier koennen sich natuerlich kein Auto leisten, auch nicht die letzte Schrottkiste, wie wir so manche schon gesehen haben; z.B. ein Auto, das nur noch ein Chassis war, ohne Karaosserie, der Fahrer sitzt im Freien auf einer Plattform mit Motor und Raedern- zum Schiessen! Die Busse, die "Dalla-Dallas", die "Hyace", die Minibusse, sind das wichtigste Transportmittel Tansanias. Um die Bussstation zieht sich ein Cordon von Kleinhaendlerstaenden, die Seife am Stueck in langen, duennen Barren verkaufen, Obst, Suessigkeiten- ein ganzes Sammelsuriuum an Kurzwaren, wie kleine Transistorradios, Haendy-Huellen, Taschenlampen, Klappmesser, Batterien usw. Ueberall werde ich angesprochen, wie ein Magnet ziehe ich Blicke und Bemuehungen um ein Geschaeft an: "Musungu!" Nur schauen soll ich, ganz billig ist es immer, die Qualitaet bestens ("Rollex! Very good!), der Geschmack suess ("Sweet Mangos"). Freundlich bleiben, auch wenns nervt, die Leute verdienen ihren Lebensunterhalt hier und ein Musungu ist reich, kann sich ja erlauben nicht zu arbeiten und stattdessen durch die Welt zu reisen und das Geld kommt immer von der Bank, soviel er will, ganz von selbst, es waechst vielleicht irgendwo in Deutschland, vermehrt sich von selbst (auf der Boerse? Auf dem Sparkonto?). Arme Musungus gibt es nicht- jedenfalls nicht aus tansanischer Sicht. Ich habe groessten Respekt vor diesen Jungs, die sich nicht zukiffen, Mera kauen, Alkohol trinken, nicht aufgeben, 12 und mehr Stunden unermuedlich hier auf und ab gehen, ihre Waren anbieten, sich nicht frustrieren lassen vom Desinteresse der Reisenden. Statt einer Lehre, statt einer festen Arbeit, haben sie nur ein Styroporbrett, auf dem ihr ganzes Eigentum aufgepappt ist, und das halten sie uns Reisenden vor die Busfenster, wieder und wieder. Mancher hat vielleicht irgendwann die Nase voll, ist enttaeuscht, die Hoffnungslosigkeit, die fehlende Perspektive uebermannt ihn und dann wird er suechtig oder ein Dieb und deshalb kann ich ihm nicht zutiefst boese sein, denn mir tun diese jungen, tatendurstigen Maenner leid, die soviel leisten koennet, fuer sich, die Familie, den Staat und denen man kaum eine Chance bietet. Jungunternehmer, kleine Helden. Werbung sieht hier wie Kirmesmalerei aus, denn fuer grafische Drucke und Entwuerfe hat hier ein Einzelhaendler kein Geld. Mancher dieser Werbemaler ist sehr gut, mancher schafft comichafte Entwuerfe, die mir manches Schmunzeln abringen. Mittags faehrt der Bus endlich ab- zwei Stunden spaeter, als angekuendigt. Wenn ich an die Zeitgenossen denke, die sich ueber fuenf Minuten Wartezeit aufregen, schwebe ich zwischen Lachen und Kopfschuetteln. Unser Bus mit ca. 25 Fahrgaesten ist vollbeladen, kaum ist Platz fuer die Fuesse, das Dach bepackt mit allerlei Mitbringseln aus der grossen Stadt, ganze Stauden gruener Kochbananen, Saecke voller Kartoffeln, Mais, Plastikwannen und -koerbe. Wir machen wenig halt. Alles ist jetzt zur Regenzeit gruen, zwischen den hellgrunen Akazienbaeumen steht eine 20-koepfige Giraffenherde, wandelnde Tuerme, Wesen von einem anderen Stern, unwirklich diese Geschoepfe, ehrfurchtgebietend ihre Groesse, die die Baumkronen ueberragt: Fast sechs Meter sind die Bullen hoch. Weiter. Zwischendurch ein Marktplatz, alles ist rot, pink, ein wenig blau und gelb: Massailand. Jeder Mann traegt hier die "klassischen" Karomuster, duenne Synthetikstoffe, dicke Wolldecken, in grossen Ohrloechern haengen schwere Metallringe. Ein unvergessliches Bild. Wir biegen gegen 4 Uhr von der Teerstrasse ab, rumpeln ueber eine Sand-Geroell-Lehmpiste, direkt hinein ins pralle Leben der Grasebenen. Impalla-Antilopen grasen. Der Kassierer-Busbegleiter hat offensichtlich zuviel Mera gekaut. Eine verspeigelte Sonnenbrille sol ihm ein colles Aussehen verschaffen, er haengt weit draussen aus der Bustuere heraus, als ob er sein Schicksal herausfordern wolle, schreit lauthals, haut mit voller Wucht auf die Seitenkarosse des Busses, direkt neben Olivers Sitz. Als wir in einem kleinen Massaidorf halten und die Kinder zusammenlaufen, um uns Musungus anzuschauen, anzufassen, schlaegt er um sich, tritt die Kinder mit voller Wucht, ich muss mich beherrschen, ihm nicht eine Ohrfeige zu verpassen. Keiner der Erwachsenen Massai schreitend aber ein, Kinder sind Allgemeingut, Erziehung liegt hier in jedermanns Hand. Ich stelle mir gerade vor, in Deutschland wuerde ein Busfahrer meine Kinder treten, nur weil es ihm nicht passt, dass sie zahlreich herumstehen und lachen... Am Abend erreichen wir die Endstation Engaruka. Ueberhaupt ein Wunder, dass ein Bus bis hierher durchfaehrt. Hier ist irgendwie Ende der Welt. Ein kleines Massaidorf, ein Marktplatz, in den Geschaeften gibt es kaum etwas zu kaufen und man verlangt exorbitante Preise, ohne Scham das Zig-fache. Nur gut, dass wir Spaghetti und anderes schon mitgebracht haben. Der Campingplatz ist zu teuer, wenn auch sattgruen-schoen, voller Blumen. 10 Dollar fuers Zeltaufstellen sind ein Witz. Die Jungs, die hier arbeiten, fuehren uns zum Haus der Eltern, dort schlagen wir das Zelt auf, kochen auf Olivers Gaskocher, schwatzen mit den Jungs, bis uns die Augen zufallen. Morgen wandern wir tief ins Massailand, am Rande des Ngorongo- und Serengeti-Nationalparks entlang. Keine Parkgebuehren, kein Guide. geschrieben am 25.5. in Arusha
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