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Reisetagebuch

5/19/2004   Tansania / irgendwo im Nirgendwo

Zebras um unser Zelt

Erste Etappe der Trekkingtour zu einem aktiven Vulkan

(Harald) In aller Fruehe weckt uns das klaegliche Wiehern eines Eselhengstes. Als wir das Zelt oeffnen, spielen vor dem Eingang schon die Kinder, gekleidet in Sweatshirts und Stoffhosen. Die Jungs, die im Camp arbeiten, sind ebenfalls westlich gekleidet, waehrend ihre Eltern noch traditionell in rote Decken gehuellt sind, die Beine und Arme nackt. Spaeter am Tag, wenn es waermer wird, tragen die Maenner nur noch duenne Stoffbahnen um Schultern und Huefte, die Frauen verhuellen hier im Ort noch ihre Brueste, aber oft auch nur, wenn Musungus auftauchen. Unsere eigene Scham uebertraegt sich auf sie und ihr Wissen um unsere Einstellung der Nacktheit gegenueber, die oft durch kirchliche Missionen tief in die weiten Grasebenen getragen wurde, tut ein Uebriges.

Wir sind im Massailand, dass sich von der Aberdares in Kenia, von der Gegend suedlich von Nairobi, bis weit hinein nach Tansania zieht. Die Massai waren einst ein sehr kriegerischer Stamm, trotz ihrer eher geringen Zahl bei fast allen Staemmen Ostafrikas gefuerchtet und daher der wohl beruehmteste Stamm von allen. Wer kennt schon die zahlenmaessig viel bedeutenderen Staemme der Kikuju, Kamba, Luo, Meru?

Die Massai gehoeren den Niloten an, einer Volksgruppe, die aus der Gegend des Nils im Suedsudan ueber den Lake Turkana bis hierher vorgedrungen sind. Ihnen folgten die Samburus und zuletzt die Turkanas und alle sprechen eine aehnliche Sprache. Neben dem Sudan war auch Somalia ein Emigrationsland, aus dem die Rendille, die Borana, die Somali u.a. stammen, die sich daher wiederum gut untereinander verstaendigen koennen.

Die Massai waren einst ausschliesslich Nomaden, Hirtenvoelker, die voellig von ihrem Vieh abhingen- Rinder, Ziegen, Schafe, waehrend die Somalis statt Kuehen Kamele besassen.

Heute sind viele Massai "sesshaft", betreiben also Ackerbau, wenn auch die Viehzucht nebenbei fortgesetzt wird, denn nach wie vor stellt Vieh den Reichtum der Massai dar. Und sie wohnen nicht mehr in provisorischen Huetten, einfachen, kleinen Rundhuetten, die aus Aesten, Zweigen und Kuhdung gemischt mit lehmiger Erde gefertigt werden. Jetzt sind die meisten Haeuser hier in Engaruka rechteckig, haben ein Wellblechdach, es gibt Holzbaenke und -schemel. Das Klo ist immer noch ein winziger Verschlag aus Aesten, teils ausgefacht um einen besseren Sichtschutz zu ergeben. Im Boden ist ein einfaches Loch, handballgross, in dessen Tiefen in der Jauche millionen von Fliegenmaden wimmeln- ein unerschoepflicher Quell der Plagegeister. Als die Massai noch umherzogen, dem Vieh folgten, dass wiederum dem Regen folgte, der sich gemaess den Jahres-Regenzeiten einstellte, gab es solche Plagen weniger, weil die Gruben austrockneten und viele Geschaefte draussen in der Plaine erledigt wurden und an einem Tag trockneten. Den Rest erledigen die Mistkaefer, die sich bis golfballgrosse Dungkugeln drehen und daher auch Pillendreher genannt werden. Diese Kugeln werden kopfueber, mit den Hinterbeinen weggerollt, vergraben. Der Kaefer legt seine Eier in die Kugel und die Brut frisst sich erstmal durch den Dung.

Nichts bleibt uebrig, alles hat seinen Platz, seinen Sinn, dient irgendwem zur Nahrung, ein ewiger Kreislauf. Unsere Zivilisationsmaterialien machen da eine Ausnahme. Die Plastiktuete ist fuer Afrika eine Geissel. Wir kennen seit Kroatien und Bulgarien, Syrien diese Grasebenen, Buschlandschaften, die voller im Wind flatternder weisser, schwarzer Tueten sind, Stacheldrahtzaeune, Baumkronen fangen die umherfliegenden Dinger auf, die jahrelang nicht verwittern und niemandem als Nahrung dienen, sich aber pfundweise in den Maegen von Ziegen und Kuehen finden. Und als Nebeneffekt werden die ueberfluessig gewordenen, handgefertigten Sisalkoerbe und Lederbeutel nicht mehr hergestellt und diese Tradition geht verloren.

Das gleiche gilt fuer die Synthetikstoffe, die natuerlich billiger und haltbarer sind und daher von den Nomaden gekauft werden, sich aber ebenfalls nicht zersetzen und deren Fetzen man dann in der Landschaft findet. Der Schmuck, der frueher ausschliesslich aus Steinen, Holz, Knochen, Leder, Federn, manchmal aus Elfenbein und Perlmutt bestand, ist heute vornehmlich kleinen Plastikperlen gewichen, die man in den Staedten fuer kleines Geld kaufen kann.

Wir fruehstuecken vor dem Zelt, die halbe Familie gesellt sich zu uns, man ist freundlich, die Aelteren sind eher reserviert, dass gefaellt mir. Mir ist die Anbiederung an den Tourismus eher unangenehm. Aber wir sind ja schliesslich auch nichts anderes und der Individualtourismus ist stets der Vorbote der Massen. Das vielgelobte "Urspruengliche" und "Unverfaelschte" wird immer beeinflusst von Reisenden. Eingedenk dieser Tatsache halte ich mich auch stets mit gutgemeinten Ratschlaegen zurueck.

Wir wollen noch Lebensmittel kaufen, aber in Engaruka gibt es fast nichts. Eine kleine Dose Tomatenmark, ein paar Zwiebeln und Tomaten. Wir brauchen vor allem Wasserbehaelter und versuchen zwei Drei-Liter-Oelkanister zu kaufen, aber die Massaifrauen auf dem Dorfplatz, die im Schatten einer uralten, riesigen Feige sitzen, verlangen fuer alles einen unverschaemten Preis. Dann eben nicht!

Einer der Jungs vom Campingplatz besorgt uns zwei gelbe Kanister, das Wasser schmeckt nach Pflanzenoel, aber das ist ja nicht schaedlich.

Erst gegen Mittag marschieren wir los. Mein Rucksack, dessen Naehte wieder und wieder aufreissen, und genauso oft genaeht wurden, zieht sich gewaltig in meine Schultern- fuer solche Gewichte ist er nicht gemacht. Aber Zelt, Plane, Schlafmatte und -sack, Kleidung, Kameras, Lebensmittel etc. wollen transportiert sein.

Die Sonne scheint, ein kuehler Wind weht, Oliver schreitet voran, ich hinterher, jeder einen Kanister am langen Arm. Zunaechst folgen wir einem Trampelpfad, der dann in einen breiten Viehweg uebergeht, auf dem wir immer wieder Menschen begegnen. Fuer Oliver ist jede Begegnung mit den tradionell gekleideten Menschen eine Besonderheit, er bemueht sich um Hoeflichkeit, schuettelt Haende, unterhaelt sich, obwohl die meisten nicht mal Kisuaheli sprechen, geschweige denn Englisch. Aber der gute Wille ist Zeichen der Freundlichkeit und selten unangebracht, fehlendes Verstaendnis wird durch viele "Yes" und Floskeln ersetzt, Kopfnicken, Lachen, so signalisiert man sich gegenseitig sein Wohlwollen.

Uns umgibt eine Vulkanlandschaft, wie ich noch keine zuvor gesehen habe. Wir sind im Rift Valley, dem ostafrikanischen Grabenbruch. Seit Millionen von Jahren reisst hier Afrika auseinander, gemaess der Kontinentaldrift-Theorie. Auf dem fluessigen Erdinneren schwimmen die Kontinentalplatten, Erdschollen, samt Gebirgen, Ebenen und allem was da kreucht und fleucht, die riesige Floesse. Die Erdrotation erzeugt Fliehkraft, die die einstmals komplett zusammenhaengende Landmasse, den Urkontinent Pangraea, auseinanderreisst. Eine der Bruchstellen, die dabei auftreten, ist das Rift-Valley. Von Israel bis Mosambique/ Madagaskar driftet der Kontinent auseinander. Dabei tritt ueber Vulkane Magma an die Erdoberflaeche und unser Ziel ist einer der wenigen, noch heute aktiven Vulkane in Afrika, der Lengai-Krater am Lake Natron.

Zwei Morani, Massaikrieger begleiten uns, ich habe sie schon weitem durch das Gras laufen gesehen. Sobald sie glauben, wir wuerden sie sehen, gehen sie gemessenen Schrittes, stolz, im rechten Winkel auf uns zu, begleiten uns ein paar Kilometer. Oliver laesst sich von mir neben einem der beiden fotografieren, der andere mag nicht, beide fragen nach Geld fuer die Fotos, aber Oliver lehnt ab. Ich habe mir im Laufe der Zeit eine Fotoettikette zu eigen gemacht. Bei diesen fluechtigen Begegnungen lasse ich die Kamera im Rucksack und geniesse eher die Anwesenheit, das braucht keine Worte, nur Gesellschaft. Das Nebeneinanderhergehen ist Ausdruck von Akzeptanz, man gewaehrt sich gegenseitig Schutz und stillt ein wenig seine Neugierde auf das Andere im Anderen.

Nach und nach werden die sog. Bomas, die kleinen Doerfer, weniger, der Graswuchs ueppiger. Wir sind in einer Graslandschaft, das locker von weniger Bueschen und ein paar Akazien durchsetzt ist. Das Gras waechst in grossen Buescheln, ist hart und etwa kniehoch, dazwischen sind fussbreite Trampelpfade zu erkennen, die das Vieh ausgetreten hat. Wir durchkreuzen immer wieder Wadis (arabisch fuer Trockenfluss), deren runde Kiesel ihr Alter verraten. Kurz nach einem Regen rinnt das Wasser von den zahlreichen Huegeln herab und schiesst zu Tal. Hier in den Ebenen versickern die meisten Wadis einfach nach und nach im Gras.

Mehrere Pausen geben uns Zeit die Landschaft in Ruhe zu geniessen. Nur 200, 300 Meter neben uns laufen Giraffen, dann sehen wir Zebraherden, Impalas. Immer wieder ruft Oliver aus: "Schau mal, sieh mal da, guck!" Es sind Schmetterlinge, Tierherden oder Blickwinkel, die unseren Blick fesseln. Riesenvulkane haben sich mit dutzenden von kleineren Ausbruchkegeln umgeben, die sich ueber deren Haenge verteilen. Wenn die Magmakammer unter einem Vulkankegel zusammenbricht, entsteht eine sog. Caldera. Der vormals regelmaessige Kraterrand zerfranzt, der Berg bricht ein. Anderen Vulkanen hat der Innendruck der Lava eine Flanke ausgerissen und das Magma hat sich ueber diese Seite ergossen und weit verteilt. Alle Formen und Groessen dieser Naturwunder umgeben uns. In den erloschenen Kratern ist es gruen, voller Akazienbuesche, ueber die Voegel fliegen.

Als die Sonne tiefer steht, suchen wir inmitten der Ebene, auf einem kleinen Plateau, einen Zeltplatz. Oliver kocht auf seiner Gasflasche Spaghetti, die Tomatensosse, erzaehlt er, habe er beim letzten Mal, zur Belustigung seiner Kumpane, beim Oeffnen der Buechse, ueberall verteilt. Sprichts und -Zack! spritzt die Sosse im Zelt herum, auf Schlafmatte und Innenzelt. Na herzlichen Gleuckwunsch! Mit einer seiner Socken wischt Oliver, mangels Papiertuechern, den roten Saft auf.

Die Ruhe um uns ist herrlich und wir schlafen bald ein.

Mitten in der nacht wache ich auf. Die Erde droehnt, als ob ein Zug anrolle. Da das Zelt ja keine Fenster hat, verharre ich atemlos- es sind zahlreiche Hufe, die da naeher kommen. Nur schwere, schnelllaufende Tiere koennen es sein. Da wir keine Gnus gesehen haben, aber immer wieder Zebraherden, muessen es die gestreiften Pferdeverwandten sein, die uns nach und nach umrunden. Und dann hoert das Gedroehn der Hufe auf, die Tiere verharren, am Rande des kleinen Plateaus, vielleicht auch im naechtlichen Anblick unseres Zeltes, das da unerwartet auf ihrem altgewohnten Wanderweg steht. Riecht nach Mensch, aber nicht nach den gefuerchteten Massai, riecht nach Spaghetti und Tomatensosse... Sieht aber wie ein kleiner Huegel aus. Ich wecke Oliver. Wir hoeren die Tiere so nah um uns, dass wir sie schnaufen, schnueffeln hoeren. Als ich fuer eine Blitzlichtaufnahme nur kurz am Reissverschluss ziehe, bricht die Herde in Angst vor dem unbekannten Geraeusch aus und prescht donnernd davon.

Bald sind wir wieder eingeschlafen. Und wieder werde ich wach- Hyaenen! Sie sind um uns, heulen: "Huuuuua! Huua!" (heisst:"Siehst du das? Was ist das..."). Ich wecke Oliver. "Ja", sagt er und schlaeft wieder ein. Ich lausche weiter. Grosse Fluegel rauschen wieder und wieder uebers Zelt- was fuer ein Riesenvogel ist da an unserem Zelt interessiert? Wieder und wieder wird das Zelt greifbar nahe ueberflogen, es sind zwei, vielleicht Riesentrappen oder Marabus, keinesfalls Eulen, die hoert man nicht. Wieder die Hyaenen. Schnauben in der Ferne. Ich schlafe ein.

geschrieben am 26.5. in Nairobi


 

 

 

 

 

 

 

 

 


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