5/20/2004 Tansania / am Fuss des Lengai
Boma non noma
zweites Camp
(Harald) Erster Blick aus dem Zelt: der Keramasi-Vulkan. Der Gipfel des 2500ers ist wolkenumwoben, genau wie der seines Nachbarn, des Lengai. Rund um uns gelb-gruenes Gras, eine wunderbar weiche Unterlage fuer die Nacht. Auf den graphitfarbenen Sandflecken ums Zelt finde ich zahlreiche Spuren. Die Zebras waren bis auf etwa drei Meter ans Zelt gekommen! Die Hyaenenspuren zeigen den Respekt, den die Raeuber vor Menschen haben, denn naeher als 15, 20 Meter haben sie sich nicht herangetraut. Der Groesse der Abdruecke nach, handelt es sich um die groessere der ostafrikanischen Spezies, die Tuepfelhyaenen (neben den Streifenhyaenen), etwa gross wie ein Bernhadiner. Die Weibchen erreichen bis zu 180 cm Koerperlaenge (ohne Schwanz) und 65 kg Gewicht, Kopfhoehe etwa 90 cm. Ein einzelnes erwachsenes Tier toetet einen Menschen mit Leichtigkeit, denn das Gebiss der Hundeartigen ist gewaltig. Um auch die dicksten, haertesten Beinknochen ihrer Opfer knacken zu koennen, in deren Innerem das kostbare Mark verborgen ist, hat die Natur eine Beisskraft wachsen lassen, die der einer Grosskatze gleichkommt. Hinzu kommt, dass Hyaenen, wie alle Hundeartigen (Wildhunde, Schakale, Erdwoelfe und Loeffelhunde) in Rudeln von dutzenden Tieren (Clans bis zu 100!) jagen und dabei eine unschlagbare Taktik entwickelt haben. Sie hetzen grosse Tiere, wie Gnus und Zebras, einfach stundenlang, greifen wieder und wieder an, ziehen sich zurueck. Wer muede ist, faellt zurueck und ein frisches Tier ersetzt den Platz. Nach einer solchen Hatz stellt sich z.B. das Gnu irgendwann dem Gegner und verbraucht dabei die letzten Kraefte. Zu Tode erschoepft lassen die Opfer dann am Ende alles widerstandslos ueber sich ergehen. Waehrend die Grosskatzen ihre Opfer meistens ersticken, indem sie die Kehle zubeissen, oder die Nase mit Pranken oder Maul zuhalten, toeten die Hyaenen kleinere Tiere mit einem Nackenbiss, der augenblicklich zum Tod fuehrt, oder sie reissen Weichteile wie Bauchdecke und Flanken auf. Das Opfer steht manchmal noch, waehrend es bereits gefressen wird, voellig unter Schock, spuert keinerlei Schmerz mehr und faellt irgendwann um. Hyaenen wurden lange fuer reine Aasfresser gehalten, bis man sogar filmte, wie sie Geparden und Leoparden deren Beute streitig machten und sogar Loewen angriffen und toeteten! Ich habe selbst Aufnahmen gesehen, die eine Gruppe Hyaenen beim Angriff auf zwei Loewinnen zeigt, deren eine sie am Ende fressen. Loewen und Hyaenen sind Nahrungskonkurenten und erbitterte Feinde, die sich gegenseitig auch die Jungen toeten. Was die Loewen an Zahl und Staerke aufbringen (Loewen sind die einzigen Grosskatzen weltweit, die im Rudel leben), machen die Hyaenen mit einer noch groesseren Anzahl und der Tatsache wett, dass sie ihre Jungen in tiefen Erdhoehlen aufziehen, unerreichbar fuer die Loewen. Oliver bereitet im Windschatten des Vorzeltes einen Milchtee, die Milch haben wir als Pulver dabei, sowie Kakaopulver. Hinter uns liegt eine Massai-Boma, ein kleines Dorf, aber niemand ist zu sehen. Wir brauchen Wasser und ausserdem lockt das Geschrei einer grossen Pavianherde ueber dem Dorf. Ich moechte unter den Tieren sein, es zieht mich magisch dorthin. Eine Gruppe Impalas aest nahe der Boma. Wir nehmen unsere Oelkanister und gehen zum Dorf. Es ist tatsaechlich verlassen, wahrscheinlich erst vor wenigen Tagen, denn die Hufspuren in den Umzaeunungen fuer das Vieh sind noch unberuehrt. Eine einmalige Gelegenheit, ein Massaidorf unbehelligt zu durchstoebern. Im Prinzip sehen die Huetten aller Staemme, die ich seit dem Suedsudan gesehen habe, aehnlich aus. Die Massai schlafen, wie die Kikuju, auf Bettgestellen aus einem duennen Astgeflecht, waehrend z.B. die Rendille auf Kuhhaeuten auf dem Boden schlafen. Die Feuerstelle ist im Innern, kein Rauchabzug im Rundfirst erleichtert das Atmen. Vorteil dabei ist, dass jegliches Insekt durch den Rauch vertrieben wird. Jetzt huschen hier Agamen durchs Geaest der Huetten. Der Zweck der kleineren Huetten ist z.T. unklar. Es gibt geflochtene Huehnerstaelle und Vorratsverschlaege. Woher die Bewohner ihr Trinkwasser bezogen, ist nicht ersichtlich. Die Paviane sind leider weitergezogen. Der frische Wind, das wogende Gras, die Tiere: Leute, dass ist der Himmel! Das ist das Paradies, das verheissene Land, der Grund, warum Menschen um die halbe Erde fliegen und tausende Dollars ausgeben, nur um hier ein paar Stunden umherzufahren. Aber nichts kann eine Wanderung ersetzen, kein 4x4 gibt einem dieses Freiheitsgefuehl geben, ohne Barriere mitten unter den Tieren zu sein, jederzeit seinen Weg frei waehlen zu koennen, einfach durchs Gras, bergauf, durch die Wadis, in der Landschaft die roten, langen Silhoetten der Massai, Rast im Schatten eines bluehenden Busches, Agamenmaennchen jagen sich im Revierkampf ueber die Lavafelsen, imponieren sich mit Kopfnicken und ihre Koepfe leuchten erregt in Orange und Blau. Handgrosse Schmetterlinge kaempfen gegen die Windboen, es duftet nach Kraut, ich zerreibe die frischen Spitzen, atme diesen Duft ein, der wie Medizin ist. Wie schon so oft wuenschte ich, ich koennte diese Momente mit euch teilen, ihr waeret hier und saeeset mit uns unter dieser Akazie, aus der beim Annaehern ein adlergrosses Eulenpaar lautlos auffliegt. Naechste Rast nahe einer Massaiboma am Fusse des Keramasi. Die Umfriedung beherrbergt mehrere Huetten, ein Mann Mitte Vierzig wohnt hier mit seinen vier Frauen. Als wir nach Wasser und Essen fragen, laesst der Mann uns Joghurt bringen, wir sitzen im Schatten eines Baumes auf dem Boden, waehrend der Mann sich einen Schemel bringen laesst- eine grobe Unhoeflichkeit, die ihn vor seinen Frauen und seinem Besuch, einem anderen Mann gleichen Alters, wohl hervorheben soll. Als ich ihm 200 TSH fuer das Joghurt gebe, lehnt er etwas abschaetzig ab. Meine Frage nach Essen, Maisbrei oder Ugale, verneint er, wir sollen das Joghurt trinken und gehen. Am Nachmittag Rast in der Naehe einer anderen Boma. Die Frauen versuchen uns alten Schmuck zu verkaufen, aber wir kaufen nur Joghurt, der hier besonders gut zubereitet ist. Wir sitzen unter einem grossen Baum, Anlaufpunkt in einer baumarmen Wiesenflaeche, Schattenspender, Windschattenspender fuer den Gaskocher. Wir schichten Basaltsteine beidseits des Stammes auf, Oliver graebt fuer den Kocher ein Loch in der braunen Erde. Kinder aus dem Dorf kommen die paar Hundert Meter gelaufen. Gemaess meiner Fotoetikette rate ich Oliver den Kindern erstmal ein paar Fotos auf dem Display zu zeigen: seht mal, so sehen Massaifotos aus und solche Bilder koennen wir euch von euch selbest zeigen. Die Freiwilligkeit, die Neugierde der Kinder schafft eine schoene Atmosphaere, ansonsten wuerde die Kamera uns trennen: Auf der einen Seite die Gaffer, auf der anderen die Objekte. Statt einer Bruecke, waere die Kamera eine Mauer, wie das leider so oft bei Touristen zu beobachten ist, die keinerlei Gefuehl fuer den Augenblick aufbringen und meinen, jeden erlebten Moment bannen und verewigen zu koennen, ihn garnicht geniessen koennen, weil sie nur auf Objektsuche sind und so den Erinnerungsmoment verpassen, das intensive Erlebnis. Manchmal ist es einfach besser, die Kamera in der Tasche zu lassen, statt wie ein Voyeur vor den Leuten auf und ab zu laufen. Die Kinder sind neugierig, Oliver ist nach den ersten Fotos umringt. Aufregung, Staunen, jetzt will jeder wieder und wieder fotografiert werden. Wir bestaetigen den Kindern unsere eigene Freude und ihre Schoenheit, damit dieser letzte unsichere Blick aus ihren Augen verschwindet, vieleicht doch irgendwie betrogen worden zu sein, nur Kuriosum zu sein, beguckt, aber nicht gemocht. Das Resultat sind einmalige Bilder, herzhaftes Lachen. Ein Maedchen traegt eine Holzrolle im Ohrlaeppchen, um dieses zu erweitern, die meisten anderen sind mit Silberschmuck um Stirn und Hals geschmueckt. Sie fragen nach Butter, die sie z.T. essen. z.T. auf ihren Beinschmuck reiben, damit die Haut geschmeidig bleibt. Ein einzelner Massai kommt, die Kinder eilen auf ihn zu, nehmen ihren Kopfschmuck ab, reichen ihm respektvoll mit gesengten Koepfen ihre Haende. Der Mann hat die gelassene, lockere Haltung des Machtgewohnten. Oliver eilt auf ihn zu: "Morani?" "Nein", rufe ich ihm zu, das ist kein Krieger, sondern ein Aeltester. Er traegt kein langes Haupthaar, ist nicht bemalt und geschmueckt, treagt keine Waffen, wie Speer, Keule und Sima- das beidseitig scharfe Schwert. Nach ein wenig Konversation mit ein paar Brocken Englisch und Kisuaheli zeigt er uns den Weg und wir marschieren weiter hinunter in die Grasebene, umrunden einen kleineren Vulkankegel, zu dessen Fuessen eine groessere Impalaherde vor uns auf und ablaeuft, unentschlossen, wie ernst sie uns nehmen soll. Dann tauchen fuenf Strausse auf, zwei Haehne, drei Hennen. Die groessten Voegel der Welt sind so stark, dass Oliver schon mal auf einem geritten ist. Die Sonne verschwindet auch heute schnell, denn wir sind im Schatten des Lengai angelangt, eines steilen Kegels, von dessen Flanken in breiten Stroemen weisses Natron herabfliesst, wie Schnee- und Gletschermassen sieht das aus. Wir schlagen das Zelt auf, die letzten Spaghetti werden gekocht. Aus Olivers Plastiktuete, die am Rucksack hing, sind durch ein Loch Zwiebeln und Tomaten herausgefallen und so gibt es nur noch Butter zu den Nudeln. Die Nacht, die Stille, der Wind, ein Vogel, tiefer Schlaf. geschrieben am 27.5. in Nairobi
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