5/30/2004 Kenia / Kitale
Aufbruch mit Hindernissen
Fahrt Richtung Nordosten, zur ugandischen Grenze
(Harald und Renata) Wir sind zum Fruehstueck um 10 Uhr in einem kleinen Restaurant neben dem Abbey-Hotel verabredet, indem wir Stammkunden im Netcafe sind. Oliver kommt eine halbe Stunde spaeter, Mike erst um 12 Uhr. Er hatte Schwierigkeiten, sein Motorrad sicher unterzubringen. Im Netcafe checken wir noch einmal die letzten Mails, dann gehen wir zusammen durch die ueberfuellten Strassen, voller draengender, hastender Menschen, begleitet von Aufmerksamkeit heischenden Zischlauten: "Musungu! Dschmabo!" Da klackert der Wuerstchenverkaeufer mit Muenzen auf das Glas seiner rollenden Theke, die Fahrkartenverkaeufer halten die Schilder hoch, auf denen die Liniennummern stehen und schreien ihre Fahrziele heraus, Busse hupen, um anzuzeigen, dass es bald, irgendwann losgeht, Anbieter von frischen Fruechten, Kleidung, Nuessen, geroesteten Maiskolben offerieren lauthals Preise und Angebot und ueber allem liegen Russwolken aus unnoetig laufenden Motoren. Renata und ich sind uns einig: Nur raus hier! An einem der vielen, hektischen Matatu-Haltestellen besteigen wir einen der weissen Minbusse, aber wir muessen anderthalb Stunden warten, bis der bis auf den letzten Platz gefuellt ist. Strassenkinder in fast schwarz-schmutziger, voellig zerrissener Kleidung betteln uns an, die kleinen Plastikflaschen mit Fluessigkleber im Aermel oder unter dem Jackenausschnitt, an denen sie wieder und wieder, wie an Nuckelflaeschchen, riechen. Manche stecken sich die Flaschen einfach in den Mund, halten sie mit den Zaehnen. Niemand stoert sich an dieser offensichtlichen Niederlage der Zivilisation. Das sind die Verlierer, es sind Kinder, elternlos, so oder so, ob nun die Eltern gestorben sind, oder es zu Hause unertraeglich wurde. "Musungu! Give me food! Buy me chips! Something small, some coins..." Unter diesen Verlorenen sind Muetter mit Babys auf dem Ruecken, mit roten, trueben Augen, schwankendem Gang. Da wir kaum ein Strassenkind gesehen haben, dass nicht schnueffeln wuerde, handelt es sich auch um ein Erziehungsproblem, eine Irrung der Gruppensolidaritaet und ein Einschreiten der Stadtverwaltung, der Passanten, wuerde sicher das eine oder andere Kind davon abhalten, es den anderen gleich zu tun. Und wer bestraft diejenigen, die Kindern Kleber verkaufen? Gegen 13 Uhr geht es endlich los, durch den dichten Verkehr Richtung der Kleinstadt Kikuyu, dann erreichen wir im Regen den ersten See des Rift-Valleys, den Lake Naivasha, dann, vorbei an den Aberdare-Bergen, den Lake Elementaita, dann den Lake Nakuru, alle voller rosa Flamingoschaum. Es regnet es nicht mehr, aber der Himmel ist bedeckt. Auch hier hunderte von Strassenverkaeufern und einige Strassenprediger, die die wartenden Menschen mit lautem Vortrag auf Bibellinie bringen wollen. Eine kleine Taenzergruppe gibt eine Einlage dazu, ein Schnueffeljunge gesellt sich dazu, wird vom Prediger vertrieben. Tja, mit der Umsetzung hat mancher ein Problem, reden ist einfacher. Wir steigen in einen anderen Matatu um, warten ueber eine Stunde, dann geht die Fahrt weiter nach Eldoret. Der Viktoriasee liegt nur 100 km linker Hand. Auch diese Strasse ist eine Marterstrecke fuer Auto und Insassen, die Heckscheibe hinter uns zersplittert mehr und mehr. Um 22 Uhr erreichen wir Eldoret, muede, geraedert. Wir trinken einen Schai, essen Mandasis. Als Renata mit dem Fahrer des Matatus am Bus steht, versuchen in ihrem Ruecken Diebe die Scheiben des Busses aufzuschieben und das Gepaeck zu stehlen. Als Renata aufschreit, rennen sie in der Dunkelheit davon. Ein Dieb ist zwar nirgendwo beliebt, aber hier ein Beruf, dem Tausende nachgehen, Bibel hin oder her. Vielleicht besteht ja ein geradezu logischer Zusammenhang zwischen den vielen Versuchten und den vielen Mahnern. Wir muessen erneut umsteigen, diesmal in einen Grossbus, Aufschrift: "Express". Aber das Gefaehrt macht seinem Namen keine Ehre und haelt an jedem Baum, um Leute aus- und einsteigen zu lassen. So brauchen wir fuer die 70 km bis Kitale 2 Stunden. An Schlaf ist bei der droehnenden Musik nicht zu denken. Immer wieder erstaunt uns, wieso seit der Tuerkei die Menschen stets alles in ohrenbetaeubender Lautstaerke brauchen- Laermjunkies. In Kitale suchen wir die Kahuruko-Lodge auf, ein Eck-Hotel mit einer Bar im Erdgeschoss. Renata und ich finden im Hof ein Zimmerchen mit Moskitonetz und lauter Live-Musik aus einer nahegelegenen Bar. Wir vier gehen in das Amani-Hotel, ein moslemisches Restaurant, in dem es keinen Alkohol gibt und Rauchen verboten ist, was fuer Mike, den Raucher unter uns, bedeutet, vor die Tuere gehen zu muessen, Renata ergreift die Gelegenheit, gleich eine mitzuschmauchen. Ein Transporter faehrt in den Hof unserer Lodge, verkeilt sich in der Einfahrt, es geht nicht vor und nicht zurueck. Fahrer und Wagen sind aus dem nur 50 km entfernten Uganda, wie das Kennzeichen verraet. Uganda, Kenia und Tansania bilden den Ostafrikanischen Staatenbund und in Kenia beginnen alle Autokennzeichen mit "K", in Tansania mit "T" und in Uganda mit "U". Im Zimmer wappen wir uns, wie meistens, mit Toilettpapierkuegelchen in den Ohren gegen die laute Musik. geschrieben am 11.6. in Nairobi
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