6/1/2004 Kenia/ 4 km vor Kapsangar
Bachbad und Bromelien
2. Wandertag
(Harald und Renata) Es war kalt in der Nacht und Renata, auf dem duennen Zeltboden, hat sich zusammengerollt wie eine Schnecke, selbst der Kopf ist verschwunden. Erste Morgengeraeusche sind Eselwiehern, Hundebellen, Kinderlachen. "Guten Morgen! Gut geschlafen?" Mike und Oliver begruessen mich, wir alle hatten eine gute Nacht. Es wird Tee bereitet, Nicholas setzt sich zu uns, mit seinem strahlenden Lachen. Ich mag den Jungen, seinen offenen Blick. Wir brechen erst spaet auf, dies soll nun wirklich ein Vergnuegen werden, kein Leistungstrekking. Nicholas wollte uns eigentlich nur den Weg aus dem Dorf heraus zeigen, uns auf den richtigen Weg bringen. Aber als wir den steilen Anstieg auf einem Trampelpfad hinter dem Dorf hinter uns haben, laeuft er immer noch mit. Die Sonne treibt bald den Schweiss, erst unter die Schulterriemen, dann auf den Ruecken unter dem Rucksack. Renata hat wenig Muehe mitzuhalten und auch ich bin heute fit. Oben stossen wir wieder auf die Bergstrasse, ein roter, holpriger Weg voller zerbrochener, weisser Kieselbrocken und gleissenden Glimmersplittern. Aus diesem weichen, leichten Mineral entstanden die ersten Spiegel der Menschheit, weil sich der Stein wie Blaetterteig in duenne Scheiben auftrennt und eine dunkel, glatte Flaeche entsteht, die gold- bis silberfarben spiegelt. Mike ist binnen kurzer Zeit voellig erschoepft. Ob seine Raucherlunge, oder das Gewicht des Rucksacks schuld sind- jedenfalls geht es bald nicht mehr weiter, trotz langer Pausen. Ich nehme Mike einen Teil des Gepaecks ab, trage jetzt noch einen kleinen Rucksack auf der Brust, wie Oliver. Renata findet das erste, zeigefingergrosse Chamaeleon, dass in seinem gespreizten, unbeholfenem Watschelgang ueber den Weg "hastet", bemueht die gefaehrliche Freiflaeche hinter sich zu bringen. Am Mittag wird klar, dass wir das Tagesziel, das Dorf Kapsangar, heute so nicht erreichen koennen. In Kapsait, einem Dorf, essen wir. Wir stellen uns Tisch und Stuehle in die Sonne- Kriegsrat. Die Loesung des Gepaeckproblems sitzt neben uns: Nicholas wird kurzerhand als Traeger fuer Mikes grossen Rucksack fuer die naechsten Tage engagiert. Neben dem Hotel steht ein Schild: Die Firma Fila sponsert hier ein Trainigscamp der kenianischen Marathonlaeuferjugend. In ueber 2500 m Hoehe wird hier die naechste Weltelite an Dauerlaeufern herangezogen. Es geht weiter bergauf, durch Fichtenforste, die Baeume tragen immer mehr Flechten auf den Staemmen, von den Aesten haengen sie wie gruener Trauerflor herab. Und Lianen spannen sich von den Aesten der Laubbaeume bis zum Boden. Dann eine deutlich sichtbare Grenze: Hier Marakwet-, dort Pokot-Stammesgebiet. Eine solch klare Grenze haben wir noch nie gesehen. Obwohl eng verwandt, bekriegen sich die beiden Kalendschin-Staemme seit vielen Jahren heftig und es gab immer wieder dutzende Tote. Meist ist es Viehdiebstahl, der die Unruhen ausloest. Die Pokot, die wir dann treffen, sind genauso freundlich wie die Marakwet. Aber Nicholas, selbst zwar kein Marakwet, aber in deren Gebiet lebend, fuehlt sich zunehmend unbehaglich. Wir verlassen den Wald, laufen schraeg an einem Hang entlang, geniessen die Sonne und die wunderschoene Aussicht, die heute gute 50, 60 km reicht. Die teils bewaldeten Huegel ringsum sind mit europaeischen Kuehen und Ziegen besprenkelt, hier und dort ein Gehoeft. Am Himmel kreisen braune Falken und Habichte, Schwalben singen ihr froehliches Dauerlied, vor unseren Fuessen springen aus dem flachen Gras Unmengen an Heuschrecken auf, Schmetterlinge flattern um uns. Immer wieder bleiben wir stehen, geniessen das Bild, die Stimmung, sagen uns, wie schoen das alles ist. Wir sind gut vorangekommen und machen Rast links des Weges an einem klaren Gebirgsbach, der sich in einem kleinen Tal zwischen einem hohen, steilen Grashuegel und einem Fichtenhain durchs Gras schlaengelt. Hier wachsen grosse Bromelien, eine Blumenart, die nur in groesserer Hoehe in feuchter Kuehle waechst. Ihre Bluetenstauden sind gut einen Meter lang, ihre groessten Verwandten in den Simienbergen in Aethiopien, am Mt. Kenia und am Kilimandscharo werden mehrere Meter hoch und beindick. Ich entschliesse mich zu einem Bad in den kniehohen Wasser, eiskalt, erfrischend. Warm sollen wir hier an diesem schoenen Platz eigentlich nicht bleiben, schlaegt Mike vor. So suchen wir einen Lagerplatz um unser kleines "Camp" aufzubauen. Nicholas hat nichts dabei, um zu schlafen, koennte aber in Olivers Zelt bleiben. Aber er zieht es vor nach Kapsangar vorzulaufen und dort auf uns bis morgen frueh zu warten. Am ersten Platz, direkt neben dem Bach, wimmelt es vor bissigen Ameisen. Die einen Zentimeter langen Krieger verbeissen sich derart in die Haut, das man beim Abreissen ihren Kopf abtrennt, der dann immer noch festhaelt. Zeltplatzwahl- stets ein diskussionsfaehiges Thema: Hier ists eben, hier ist es abschuessig, hier stechen Halme, liegen Aeste. Eine falsche Wahl beschert eine schlechte Nacht. Dann sammeln Mike und Oliver Feuerholz, Renata macht Feuer. Das Holz ist feucht, brennt muehsam, qualmt. Trotzdem ist es eine herrlich romantische Zeremonie, wir scharen uns mit zunehmender Dunkelheit und Kuehle um die Feuerstelle, es wird gekocht. Renata und Mike verstehen sich sehr gut, rauchen und tauschen sich aus. Oliver und ich sind fast Freunde geworden, halbe Bergkameraden. Mike ist ein schier unerschoepflicher Quell von Witzen, dem auch manch ironischer Spruch entspringt. Nach und nach trollen wir uns in die Zelte. geschrieben am 15.6. in Nairobi
|