6/2/2004 Kenia / kurz hinter Chepkotet
Du hasst Afrikaner!?
In 3200 m Hoehe
(Harald und Renata) Es war noch kaelter als in der Vornacht. Zwei Paar Struempfe, zwei Hosen, drei Hemden uebereinander und trotzdem drang die Feuchte durch die Zeltwaende und den Schlafsack. Neben mir liegt wieder ein dunkelblauer Schlafsackkringel, aus dem ein Brummen verkuendet: Noch ein halbes Stuendchen. Die Sonne geht spaet hinter dem Grashuegel auf. Oliver und Mike baden im Bach und als Renata sich dort frischmacht, teilt sie das Ufer mit zwei durstigen Kuehen. Eine kleine Bruecke aus Staemmen und Steinen soll die Ueberquerung erleichtern, aber Renata bricht ein. Nochmal gutgegangen! Nur ein paar Schrammen. Mike ist erholt, Olivers Fuesse haben in den Badelatschen arg gelitten, muessen mit Plastern versorgt werden. Wir wollten um 9 Uhr aufbrechen, aber keiner kann sich entschliessen, den gemuetlichen Tagesanfang zu verkuerzen. So steht dann Nicholas ploetzlich vor uns, der uns offensichtlich entgegen gehen wollte. Oliver, Nicholas und ich setzen uns in die ersten Sonnenstrahlen am Grashang. Wir schreiben Tagebuch, Renata spuelt das Geschirr vom Abend, Mike bereitet Kaffee. Vorbeilaufende Menschen gruessen froehlich, Aeltere fragen neugierig nach dem Woher und Wohin. Nicholas wirkt etwas geloester, hat wohl gute Unterkunft im Dorf gefunden. Es geht weiter bergauf, wir ereichen nach einer Stunde Kapsangar, ein kleines Pokotdorf. Die Leute sind europaeisch gekleidet, unterhalten sich stets kurz mit Nicholas: Was wollen die Musungus hier? Nicholas uebersetzt, dass manche argwoehnen, wir und Nicholas wollten vielleicht spionieren. Uns ist nicht klar, um was es dabei gehen koennte. Um den Konflikt mit den Marakwet? Trotzdem fuehlen wir uns willkommen. Die Leute sind nicht spuerbar misstrauisch, nicht aufdringlich, die meisten sprechen kein Englisch, nicht einmal Kisuaheli. Schulunterricht hat hier in der tiefsten Provinz nur bei den Juengsten Spuren hinterlassen. Vor Kapsangar ein Zeltcamp der Polizei in Armeeuniform. Etwa 40 Beamte bewachen hier rund um die Uhr die Pokot, kontrollieren den Verkehr, der hier aus schaetzungsweise 5-10 Autos pro Tag besteht. Ein Fruehstueck mit Tschapatis und Tee dauert anderthalb Stunden. Warum solch einfach Dinge so lange brauchen, ist raetselhaft. Die Jungs aus der Kueche kommen immer wieder nach vorne vor das Hotel, neugierig, fallen fast in Renatas Blusenausschnitt. Ich gehe in die Kueche um kurz zu erklaeren, wie das deutsche Musungumaenner sehen. Heftiges Nicken, ja, ist klar. Die Jungs wissen, dass ich ihre Frauen ja auch nicht anstarre, aber sie denken, bei den Fremden sei das vielleicht anders. Kein Grund zur Aufregung, muss nur geklaert werden. Und ein letztes Mal geht es bergauf. Der Weg schlaengelt sich durch eine ehemalige Dschungellandschaft, die durch Rodung groesstenteils entwaldet wurde. Dazwischen Gehoefte, sogar an den steilen Haengen. Es ist ausgesprochen gruen, braune Felder, Mais, Suesskartoffeln, Bohnen und Tomaten wachsen hier. Linker Hand passieren wir den hoechsten Gipfel der Gegend, den 3350 m hohen Kaleleikelat, der uns nur wenig ueberragt. Dahinter geht es auf einer Hochebene durch gruene Wiesen, auf denen braune und schwarz-weisse Kuehe grasen. Wildtiere gibt es hier keine, denn ueberall gibt es Zaeune, Gehoefte. Die schoenen, sorgfaeltig gemachten Rundhuetten passen perfekt in die Landschaft. Unser mitgebrachtes Flaschenwasser ist zur Neige gegangen, wir trinken jetzt Bachwasser, ohne Desinfektionstabletten zu benutzen. Immer wieder kleine Pausen, die Aussicht geniessen, ein Plausch mit Schulkindern. Gebettelt wird wenig und unaufdringlich. Die Kleinsten haben z.T. panische Angst vor uns. Waehrend man uns in der Kindheit den "Schwarzen Mann", den "Mohren" als Drohgestalt vorgefuehrt hat, ist hier der Hellhaeutige mit den seltsamen Gesichtszuegen der Kinderschreck. Das die Hautfarbe Schwarz, die wir mit Dunkelheit, Angst, Magie, Asche, Kohle und Schmutz u.ae. in Verbindung bringen, uns befremdet, scheint uns selbstverstaendlich. Aber hier sind wir die Fremden und mancher Winzling hat noch nie einen Weissen gesehen, und die 6-8 Jaehrigen sind durch spasshafte Drohgebaerden sofort schreiend in die Flucht zu schlagen. Dann bleiben sie gleich stehen und wir lachen und sie mit uns und die aengstliche Laehmung weicht der Wahrnehmung: die machen Spass, lachen wie wir ueber die eigene Aengstlichkeit! Oliver und ich albern herum und alles gluckst vor Vergnuegen. Und diese Fremden sprechen unsere Sprache, wnigstens ein "Wie gehts, gut, und dir?" klappt. Nicholas erklaert zusaetzlich staendig unser Hiersein. Das naechste Dorf ist seltsamerweise nicht Chepkotet, wie die Karte sagt. Man weisst voraus: 2 km noch. Oliver geht in ein Restaurant, die Wirtin, nicht mundfaul, behauptet mehr als sie fragt, ob er Afrikaner hasse. Der umgaengliche Mann ist sicher der Letzte, dem man dies aus Gesicht oder Gehabe ableiten koennte. Ich denke, dass hier zum Ausdruck kommt, dass die Menschen hier wissen, wie wir die "Eingeborenen" sehen: Arm, zurueckgeblieben, unterentwickelt, ungebildet, bedauernswert, Menschen, von denen wir nichts lernen koennen, sondern, die von uns lernen sollten, muessen, unsere kulturellen, materiellen Gueter uebernehmen sollten, dann ginge es ihnen besser... Ich glaube das schon lange nicht mehr, sondern beschaeftige mich eher mit der Frage, was wir von ihnen lernen koennen. Wir lassen das Dorf hinter uns, nach 3,4 km ist klar: Hier gibt es kein Dorf mehr. Zwei schuechterne Maedchen in einem Gehoeft klaeren uns auf: Chepkotet ist nur ein Abhang hinter uns, der Reisefuehrer mangelhaft. Was jetzt? Zurueck? Wir sind noch hoeher, schon letzte Nacht gab es Eis auf den Halmen, diese Nacht wird eiskalt werden! Wir brauchen eine Huette oder Decken, Renata wuerde eine solche Nacht nicht durchstehen. Ich mache Oliver und Mike, die sich weniger Sorgen machen, die Lage mehrfach klar. Hinter uns liegt eine Schule auf einem Huegel, leer, offen. Der Wind pfeifft durch die loechrigen Ast-Lehmwaende, hier ist es auch nicht besser, Windschutz alleine reicht nicht! Renata schlaegt vor, bis zum naechsten Dorf in der Dunkelheit weiterzulaufen. Aber wir sind muede und das Wandern in der Dunkelheit nicht unproblematisch. Die Sonne geht unter, es wird rasch kalt, der Wind zerrt uns die letzte Waerme aus der Kleidung. Oliver, unser heimlicher Anfuehrer, laeuft immer noch in seiner duennen, indischen Flatterhose und T-Shirt herum, waehrend wir schon frieren und uns im Windschutz einer Hangkante ausruhen. Nicholas geht in einen grossen Gehoeft-Compound, bittet um Unterkunft, die auch sofort gewaehrt wird. Als wir in der kleinen Rundhuette Schutz suchen, die tagsueber als Restaurant genutzt wird, wird es schneidend kalt und selbst Oliver gibt seine Idee auf, draussen schlafen zu koennen. Die Besitzerin laedt uns ein, in einer groesseren Gaestehuette, tiefer im Gelaende, Quartier zu beziehen. Dort erwartet sie uns mit einem Mann, der im dichten Qualm einer Feuerstelle im Boden stochert. Wir koennen vor Rauch kaum die Augen aufhalten, husten, aber die Leute sind einfach wie imun gegen den Rauch. Oliver sagt, das selbst im hintersten Indien und Burma die Leute wissen, wie man Rauch abfuehrt und ich erinnere mich an die Indianer, deren Leder-Tipis auch Rauchklappen haben. Wozu diese Lungenqual gut sein soll, ist unklar, wenigstens bleibt das Strohdach so weitgehend insektenfrei. Muecken gibt es in dieser Hoehe eh nicht. Wir kochen im Feuer, Oliver-Hans-im-Glueck kippt der Topf wie am Vorabend um, die Spaghetti werden etwas trockener ausfallen. Gerade die gemeinsam erlebten Unannehmlichkeiten, bewaeltigten Schwierigkeiten schweissen uns zusammen. Mike hat sich dank Marscherleichterung gut gehalten, Renata war eher voraus als hinterher. Wir haben unser Tempo gefunden. In der Huette haelt die Glut uns Fuenf warm, Renata und ich schlafen im Innenzelt, Mike am Eingang, Nicholas in einem Nebenraum. Erst gegen Morgen kriecht die Kaelte herein. geschrieben am 15.6. in Nairobi
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