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Reisetagebuch

6/19/2004   Kenia / Nairobi

Die young

Schicksale in Kibera

(Harald) Hier oben auf dem Nairobi-Hill, ueber den Wolkenkratzern von Nairobi-Downtown, schlaeft man gut, beschuetzt. In der Nacht bellen ein paar Hunde, fiepen Eulen, ansonsten Ruhe.

Aber die Upper-Hill-Campsite ist ein Musungu-Ghetto, weil hier ausschliesslich weisse Fernreisende unterkommen. Waere nicht das Personal, der Campingplatz koennte genauso gut am Rhein liegen, Klima, Vegetation, Kuechenangebot - alles auf europaeische Ansprueche ausgerichtet. Ich unterhalte mich zwar mit den Leuten, aber wirklich gerne bin ich nicht hier. Ich fuehle mich unter den Kenianern wohler.

Mike, der mit uns die Trekkingtour in die Cheranganis gemacht hat, ist am Vorabend mit einer jungen kenianischen Lady nach Lamu abgereist. Ein nettes belgisches Ehepaar hat den gleichen Kurs eingeschlagen, nachdem sie sich einen Gelaendewagen gekauft haben. Sie wollen mich ebenso in Nordkenia besuchen, wie das junge israelische Paerchen.

Im Nebenzelt wohnt eine junge Israelin, die mich fragt, ob ich mit ihr zu einem Parkgelaende auf dem Nairobi-Hill spaziere. Aus unserem Spaziergang wird eine mehrstuendige Wanderung, weil sie nicht weiss, wo sich der Garten befindet und Einheimische uns von Pontius nach Pilatus schicken.

Das Maedchen war Oberleutnant der Armee, ihr Vater ist General. Sie sagt, sie wuerde fuer kein Geld der Welt mehr zurueck in die Armee. Nachdem sie sich wieder mit einem Haschisch-Keks "gestaerkt" hat, wird die Unterhaltung schwieriger, weil sie sich nicht konzentrieren kann, Fragen stellt, aber sofort vergisst, was sie schon gefragt hat und eine Stunde spaeter von allem nichts mehr weiss. Ihre wiederholten Aufforderungen, mich ebenfalls zu bedienen, lehne ich ab. Ich erinnere mich gut, wie verbreitet in Israel Drogen unter den jungen Leuten und auch in der Armee sind.

Im Park gibt es Meerkatzen, die mir Bananenstuecke vorsichtig aus der Hand nehmen. Trotzdem muss man acht geben, dass sie nicht ganze Taschen blitzschnell an sich reissen und mit auf die Baeume nehmen. Von der Bissigkeit der Tiere, vor der gewarnt wird, kann keine Rede sein, sie sind ruhig, ihre Reaktionen verstaendlich. Provoziert man sie nicht, gibt es ueberhaupt kein Problem. Als sich Vater, Mutter und Kindchen unter dem Bauch der Mutter satt gefressen haben, verschwinden sie im Gestruepp der baumhohen Bambusbuesche. Der Riesenbambus, den ich erstmals in Suedafrika 1998 gesehen habe, ist das hoechste Gras der Erde und erreicht 8-10 Meter Hoehe, wobei die hoelzernen Halme pro Tag mehr als 10 cm wachsen koennen - Weltrekord!

Wir kommen auch am Haus des Erzbischofs vorbei, der Wachmann wundert sich ueber mein Interesse am Gelaende- man kann ja nie wissen. In Nairobi wohnt auch einer der 165 weltweit taetigen Kardinaele der katholischen Kirche.

Ich habe das Gefuehl, die junge Dame neben mir wartet auf ein Angebot, sie nach Norden mitzunehmen, aber danach ist mir nun nicht- eine staendig bekiffte Begleitung wuerde mich eher belasten. Und, obwohl ich das Thema Politik vermeide, kommt sie von selber darauf zu sprechen, dass sie gemerkt habe, dass einige Leute Israelis nicht moegen. Als ich ihr diplomatisch versuche, ein paar Gruende zu erlaeutern, begegnet mir die gleiche Unfaehigkeit zuzuhoeren, anderer Meinung gelten zu lassen, wie ich das schon so oft erlebt habe. Ihr Bekannter hatte auf dem Campingplatz z.B. einfach aus Mikes Einkaufstueten Kaffeepulver genommen ohne zu fragen und eine geliehene Schere ins Gras fallen gelassen, anstatt sie zurueckzugeben, benutztes Geschirr wurde nicht gespuelt.

Fatal im Konflikt in Israel ist eben, dass auch die Gegenseite eine fast autistische Haltung zeigt, unfaehig, die Probleme der Gegenseite anzuerkennen. So stehen sich zwei Parteien gegenueber, beide eher zu stolz, beide rechthaberisch, beide unnachgiebig. Das wird noch lange so weitergehen.

Ich erklaere dem Maedchen sehr deutlich, dass man in Europa, vor allem in Deutschland, sehr gut versteht, warum es einen israelischen Staat geben muss und weiss, wie schlimm die Kriege gegen die gesamte arabische Nachbarschaft waren und das die Situation mit den Palaestinensern alles andere als leicht zu klaeren ist. Aber ohne Vertrauensvorschuss, richtige Gesten, ohne Anerkenntnis und den ehrlichen Willen zur Gerechtigkeit wird sich nichts aendern und auch Europa wird weiter politische Rechnungen mitzahlen.

Ich genehmige mir noch einen Diskobesuch im Florida und es wird ein herrlicher Abend mit Spitzenmusik, erst um 4.30 Uhr morgens krabble ich in mein Zelt.

Die Wachmaenner vor der Diskothek wundern sich ueber mein Schwert, das aus dem Rucksack ragt und natuerlich abgegeben werden muss. Warum hat ein Musungu so ein Ding dabei? Meine Erklaerung ist kurz und ihnen einleuchtend: ich erscheine wehrhaft und bin es auch und man wird in Kapstadt Bilanz ziehen, ob es etwas genuetzt hat.

Aus Deutschland ist man Angst, alleine nachts ueber die Strasse zu gehen, nicht gewohnt, hier muss man sich stets gegenwaertig machen, das fast jede Nacht ein Mord geschieht und mehrere Ueberfaelle stattfinden.

Am schlimmsten ist die Situation in den Armenvierteln, z.B. in Kibera oder Mathare Valley. Hier sind 40 % aller jungen Maenner arbeitslos, es gibt nur fuer wenige Strom, kaum sauberes Wasser, keine Strassen. Die Gassen sind derart eng, dass man von oben nur Wellblechdaecher sieht und keine Wege. Die Behausungen sind zugig, bei Regen steten viele Huetten unter Wasser. Fuer Schulbildung fehlt das Geld, ohne Bildung kein Job, ohne Job wenig Hoffnung. Die Slums sind die Brutstaetten der Kriminalitaet.

Ein paar Beispiele fuer Schicksale junger Maenner aus Nairobi, die jung gestorben sind:

Karo Kala war erst 18, als er seinem Tod 500 Meter von seinem Heim begegnete. Die Polizei teilte der Presse mit, dass er Mitglied einer 5-koepfigen Gang war, die eine eher vornehme Gegend in Nairobi terrorisierte. Sein eigener Onkel, Said Mohammed, lobte die Polizei dafuer, dass sie den Jungen erschossen hatte: "Wir vergiessen keine Traene seinetwegen, wir wissen das er ein Krimineller war und er war am Ende seiner Strasse angekommen."

Die Polizei nannte ihn einer der meistgesuchten Verbrecher des Stadtteils. Seine Gang platzte tagsueber in die Klassenraeume einer Grundschule, sie zielten mit Schusswaffen auf die Lehrer und verlangten Mobiltelefone und Wertsachen. Das kam so oft vor, dass die Lehrer um Versetzung baten.

Am Todestag wartete er auf einem Dach mit seiner Gang auf das Erscheinen eines Mitarbeiters einer Hilfsorganisation, um ihn auszurauben. Die Anwohner verstaendigten die Polizei und Karo schoss sechsmal, bevor die Polizei ihn toedlich traf.

Philip Wanjohi ist ebenfalls 18 Jahre alt, als er erschossen wird. Er war professioneller Fussballsspieler. Ein Polizist namens Maina schiesst ihm nahe seiner Oberschule in den Kopf, nimmt ihm Schuhe und Uhr ab. Als die Mutter den Vorfall klaeren lassen will, wimmelt sie der leitende Polizeibeamte ab, ihr Sohn sei nur "irgendein Gangster".

Die Frau nennt der Zeitung "Daily Nation" (10.5.2004) ihren Namen nicht - aus Angst. Um eine Obduktion durchfuehren zu koennen, muss sie eine Menschenrechtsorganisation in Anspruch nehmen.

Es dauert 3 Monate, bis der Leichnam beerdigt werden kann, weil Beamte der stets gleichen Polizeistation immer wieder Verwandte und Helfer verhaften, die die Beerdigung vorbereiten wollen - das alles ohne Begruendungen.

Der Moerder ist ein Polizist, der schon einmal einen Jungen in den Mund geschossen hat.

Benjamin Karani alias "Mencho" ist Sohn armer Eltern, waechst in einem einraeumigen Lehmhaus auf. Er kaut Mira aus Langeweile, wie er sagte, besuchte die Eltern alle 2 Tage, kuendigte sich dort stets an, war respektvoll und nie betrunken. Er brach die Oberschule aus finanziellen Gruenden ab und arbeitete als Metzger in einer Markthalle, hatte eine Freundin und ein 2 Monate altes Kind. Ein stiller Kerl, aber auch ein gnadenloser, entschlossener Gangster. Nach seiner Verhaftung wird er zur Polizeistation gebracht, dann wieder zurueckgefahren und auf offenem Feld am 1.10.2003 von den Polizisten erschossen.

Ein anderer Mann wird von der Polizei in den Brustkorb geschossen und liegt danach ueber 3 Stunden im stroemenden Regen auf der Strasse; die Polizei erlaubt niemandem in seine Naehe zu kommen- natuerlich, damit er stirbt. Dann geben sie auf, und bringen ihn zur Polizeistation, wo er mit einem Kopfschuss ankommt. Die Beamten stehlen sein Handy, seine Uhr, den Hut, Geld und Schuhe.

Ein Vater schickt seine Tochter und seinen 16-jaehrigen Sohn mit umgerechnet 100 Euro in die Stadt, um Weihnachtseinkaeufe zu machen. Nahe der Wohnung wird der Junge verhaftet, in Handschellen gelegt, gepruegelt und dann mit 6 Kugeln erschossen, davon zwei in den Kopf.

Es gab keinen Haftbefehl, der Junge wurde nicht gesucht, dass Geld blieb verschwunden. Die Polizei erzaehlt der Presse spaeter, er habe die Polzisten mit einer Spielzeugpistole bedroht, sei Mitglied einer Gang, die einen zufaellig mitfahrenden Polizeibeamten in einem ueberfallenen Matatu erschossen haetten.

Robert Mwingi war 23 Jahre alt, als er ein paar Meter von seinem Heim von 3 Polizisten mit 7 Kugeln erschossen wurde. Er war Fussballspieler und besass einen Hochschulabschluss, besuchte Computerkurse. Er war allseits beliebt, schuechtern, einziger Sohn unter drei Schwestern, sein Tod ein Schock fuer alle. Die Polizisten waren betrunken, hatten Bierflaschen in der Hand und sagen aus, Robert sei lediglich von einer Kugel getroffen worden. Ein Pathologe bestaetigt, dass er 7 Einschuesse hatte.

Spaeter traegt einer der Polizisten seine Halskette und seine Schuhe.

Ich selbst habe betrunkene Polizisten in Nanyuki gesehen, die mit Maschinenpistolen und Schaeferhunden patrollierten.

Bei gefangenen Gangstern kennt die Polizei keine Gnade, die Bewohner der Slums nennen diese Gefangenen "Totes Fleisch". Sie sterben alle jung: Unschuldige und Kriminelle. Sie sterben durch Kugeln, ihr Leben ist kurz und sie hatten kaum Zeit die Moeglichkeiten des Lebens herauszufinden oder welchen Sinn das Leben haben kann.

Die meisten sind 15-25 Jahre alt.

In Kenia werden jedes Jahr 300 – 400 Kriminelle auf der Strasse vom Mob erschlagen oder lebendig verbrannt, in dem man ihnen Autoreifen um die Schultern legt, sie mit Benzin uebergiesst und anzuendet. Man nennt das „Necklace“, engl. fuer "Halsband" oder auf Kisuaheli „Moto“- „Feuer“.

geschrieben am 23.6. in Nanyuki


 

 

 

 

 

 


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