6/24/2004 Kenia / Wamba
Ein Unfall / Loewin adoptiert Oryx
Im Samburu Nationalpark
(Harald) Meine beiden Gepaecktaschen verschnuere ich auf dem Dachgepaecktraeger des roten Toyotas und lege das Rad auf diese Puffer. Ich verabschiede mich einmal mehr von Jenny und Tara, dann gehts los. Wir fahren zunaechst in den Ort und holen einen Massai namens James ab, dann in einem Viertelkreis Richtung Norden um den Mount Kenia herum und hinunter nach Isiolo. Mein traumhafter Lagerplatz unter dem Eukalyptusbaum im Feld fliegt nochmal vorbei und die Souvenierhalle. Je tiefer wir kommen, desto waermer wird es, in Isiolo ist es endlich Hochsommer- Sonnenbrillen raus! Dann ist die Teerstrasse zu Ende, mein Film laeuft weiter rueckwaerts. Zwei Loris, LKWs, die auch Personen transortieren, kommen auf uns mit ueberhoehter Geschwindigkeit zu, Steine spritzen unter den brusthohen Raedern hoch, ein Schlag trifft das Auto, die Frontscheibe bricht, haelt aber noch stand, bis wir stehengeblieben sind. Der Schreck sitzt uns in den Gliedern, die Scheibe ist nicht aus Verbundglas und bricht knackend vor sich hin. Mit meiner Plane stossen wir sie nach vorne heraus. Der LKW, der den Schaden verursacht hat, ist weitergefahren, aber der zweite hat angehalten und die Maenner helfen uns, die erbesengrossen Glasstuecke vom Wagen zu entfernen. Wir hatten grosses Glueck, denn der Stein haette die Scheibe durchschlagen, oder Glasstuecke haetten uns in die Augen fliegen koennen. So muss es eben ohne Scheibe gehen, was wegen des vielen Staubes und weiteren Steinschlags nicht ungefaehrlich ist. Wir erreichen Archers Post. Hier, wo mich nachts der LKW einfach hat stehen lassen und ich zwischen den Akazienbueschen eine schoene ruhige Nacht verbracht habe- mitten im Loewenjagdgebiet-, biegen wir Richtung Westen in den Samburu-Nationalpark ab. Ringsum erheben sich aus der Savanne die riesigen Granitmonolite uralter Berge, jeder mit unverwechselbarer Form. Immer wieder huschen Erdhoernchen in die Buesche oder Termitenhuegel, kleine Dick-Dick-Antilopen muessen noch unbedingt vor uns ueber die Strasse. Das ist Samburu-Herzland und immer mehr traditionell gekleidete Menschen sind zu sehen: Hirtenjungen mit Ziegen, Schafen und Kuehen, Morani, also junge Krieger, deren einzige Kleidungsstuecke grosse, rotgemusterte Wolldecken sind, mit Keulen und Speeren in den Haenden, Frauen in Lederroecken, die Wasser oder Holz tragen. Wir erreichen den Eingang des Nationalparks und halten im Schatten seiner Ueberdachung. James spricht mit den Waertern, die wie er, Ma-a sprechen, die gemeinsame Sprache der Massai, Baragoi und Samburus. Ein Holzschild erinnert an die unglaubliche Geschichte, die sich hier im Jahre 2002 abspielte: Eine Loewin adoptierte ein Oryx-Antilopenkitz, eigentlich eines ihrer ueblichen Beutetiere, fuer 18 Tage. Das Junge schlich sich zum Saeugen zur staendig in der Naehe herumlaufenden Mutter, bis die Loewin das Muttertier toetete, worauf das Kitz verhungerte. Danach nahm sie ein zweites fuer vier Tage an. Der Fall ging weltweit durch die Medien. Wir haben freie Durchfahrt, brauchen keine 20 Dollar Parkgebuehren zahlen, weil der sog. Warden, der oberste Hueter des Nationalparks, dass Projekt unterstuetzen moechte, zu dem wir fahren. Die roetlich-staubige Landstrasse windet sich in die Buschlandschaft hinein, zwischen sanften Huegeln hindurch. Direkt hinter dem Eingang sehen wir eine langhalsige Antilope, die sich auf die hoeherhaengenden Akazientriebe spezialisiert hat und sich, zusaetzlich zu ihrem langen Hals, auch noch balancesicher auf ihre Hinterlaeufe erhebt. Dann folgen die ersten Giraffen, Impalas, schliesslich, in der Naehe eines Flusslaufes, zwei Elefanten. Da wir auf der Durchfahrt sind, bleibt kaum Zeit zum Staunen. Wir erreichen eine Lodge, die mitten im Park liegt, ein riesiger Holzbau, luxorioes, mit Swimmingpool, Buffet samt Koechen mit schneeweissen Kochmuetzen, Kellnern in Uniform mit Fliegen. Uns wird fuer kleines Geld- auch hier hilft der Kontakt zum Warden- ein Lunch serviert, es bleibt gerade Zeit fuer mich hinunter zum Fluss zu gehen, um den traumhaften Platz zu geniessen. Jane warnt vor Krokodilen, aber weit und breit sind die Sandbaenke leer und da es keine Hinweisschlider oder Kellnerzurufe gibt, fuehle ich mich sicher. Auf der anderen Flussseite laufen Samburus am Ufer entlang, im Hintergrund, noch im Schutzgebiet, grasen ihre Kuehe. Das ist eine Aenderung der alten Naturschuetzer-Doktrin, wonach in Schutzgebieten Menschen und Vieh nichts zu suchen haben. Gut so, denn laengst ist widerlegt, dass sich die Nomaden mit ihren Herden und die Wildtiere nicht vertragen. Beide haben zehntausende, hunderttausende von Jahren hier gemeinsam gelebt und erst die Ankunft der Europaeer hat das Gleichgewicht endgueltig zerstoert. Heute wird so getan, als ob die Massai, Samburus, Rendille, Pokot, Turkana u.a. Hirtenvoelker die einzigen Wilderer waeren und waren. Tatsaechlich waren es die reichen Englaender u.a. Weisse, die Ostafrika als einen einzigen Schlachthof angesehen haben, zu tausenden zum Jagen hierher kamen und ein Blutvergiessen ohne Beispiel veranstalteten. Der ehemalige amerikanische Praesident Theodore Roosevelt und sein Sohn z.B., die sich als Naturliebhaber bezeichneten, kamen hierher und fuehrten eine Expedition an, die alleine 5000 Wildtiere von 70 verschiedenen Spezies toetete, darunter 9 der sehr seltenen Weissen Nashoerner. In einem Nebenraum, wohl wenig beachtet, finde ich einen Stammbaum der Samburus, der das System der 2 verschiedenen Clans, 8 Unterclans und 33 Sippen veranschaulicht. Am fruehen Nachmittag fahren wir weiter, ueberqueren stromaufwaerts den Fluss. Ein blutjunger Moran winkt uns zu, Stefan ueberlaesst James die Entscheidung, ob wir den etwa 15-jaehrigen mitnehmen. Der Junge steigt zu und erklaert, er habe den Tag ueber zwei Maedchen zur Schule geleitet und sei auf dem Rueckweg- insgesamt seit 10 Stunden ohne Wasser und Essen unterwegs. Gierig verschlingt er Wasser und Bananen, die wir ihm anbieten. Bald stimmen James und er leise ein Lied an, dessen hohe Stimmlagen und tiefes Brummen mich immer wieder elektrisieren, als ob da in mir eine Seite zum Schwingen gebracht wuerde, die an ungeahnte Instinkte ruehrt. Der Junge erklaert, bevor er wieder aussteigt, er sei nie zur Schule gegangen und wolle das auch nicht. Stefan macht halt vor einem winzigen Laedchen neben der Strasse. Der Inhaber ist ein 25-jaehriger Mann, der sich Haille Selassie nennt, zu Ehren des letzten aethiopischen Kaisers und damit auf seine Anhaengerschaft der Rastas hinweist, die auch in Kenia allgegenwaertig sind. Wie Jamaika und Aethiopien, bestehen die Nationalfarben Kenias auch aus Rot, Gruen, Gelb und Schwarz und allerorten ist Bob Marley ein verehrter Volksheld. Haille steigt kurzerhand zu und kommt mit uns. Wir erreichen Wamba, ein Dorf mit einer breiten Stauballee, wenigen Steinhaeusern, kleinen Kirchen, vielen Dukas (kiosk-grossen Laeden) und Restaurants, voller rotgewandeter Samburus. Ich bin froh, nicht unverhofft und erstmalig auf dieses Anblick zu stossen, denn sonst wuerde ich aus dem Gaffen nicht mehr herauskommen, ich erinnere noch gut, wie ich den ersten Rendille in Marsabit bestaunt habe. So faellt mir ein selbstverstaendlicher Umgang leicht. Wir quartieren in einem kleinen Hotel ein, die ueblichen kargen, aber sauberen Zimmer mit Moskitonetz. Anders als in Nanyuki, wimmelt es hier von den Viechern und Malaria ist hier eine Seuche. Wir sitzen unter bluehenden Bueschen und der Schulleiter der Grundschule, hier Primary School genannt, erscheint, dessen selbstgegruendete Schule Jane und Stefan unterstuetzen. Er wird mir als Alois vorgestellt- ein bayrischer Name in Kenia, denke ich erstaunt. Obwohl das bestellte Essen erst nach 3 Stunden aufgetischt wird, wird uns die Zeit nicht lang. Erstaunen, Belustigung rufen meine Fragen hervor: Muessen Samaburukinder eigentlich zur Schule gehen? Sollten sie ueberhaupt? Soll hier draussen ein Mobilfunknetz entstehen? Muessen befestigte Strassen gebaut werden? Hoechst erstaunt bin ich, als der so modern gekleidete, gebildete James mir recht gibt und erklaert, er unterstuetze eine politische Bewegung, die die traditionellen Lebensweisen hochhaelt, sich allerdings in der Vergangenheit unbeliebt gemacht hat, weil sie westlich gekleideten Frauen die Hosen zerschnitt. Der Rasta Haille und ich sind die einzigen, die nicht dem Bier zusprechen, bald kommt eine lockere Stimmung auf. Immer wieder fordern Alois und haille mich auf, meine Ansichten zu erklaeren, Freude strahlt aus ihren Augen, sie lachen ueber beide Ohren. Der spirituell angehauchte Haille meint, ich koennte ein Prophet der Nomaden sein und mir wird das Ganze unangenehm, denn eigentlich sind wir wegen des Schulprojektes hier. So bin ich der Erste, der sich zurueckzieht, damit die Fragerei ein Ende hat. geschrieben am 30.6. in Nanyuki
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