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Reisetagebuch

6/30/2004   Kenia / Nanyuki

Stephen

Ungewoehnliche Geburtstagsgaeste

(Harald) 26.6.

Am Morgen fuehle ich mich wie ausgewrungen, aber ich muss aus den Federn.

Ein Zahnarzt aus Meru ist jeden Samstag im Cottage-Privatkrankenhaus in Nanyuki und fuehlt auch mir auf den Zahn. Geschlagene zwei Stunden riskiere ich eine Maulsperre, der Mann aechzt und stoehnt, wie ein Tischler bohrt und schraubt und schwitzt er und ich frage mich einmal mehr, wie es sein kann, dass die Don-Kasachen in Addis das nicht hinbekommen haben.

Das Geld fuer die Behandlung habe ich garnicht, aber es eilte.

28.6.

Ich habe Geburtstag und lade mir am Abend einen der Schnueffeljungs als Geburtstagsfeiergast ein. Ein junger Mann haengt sich gleich als Dolmetscher und Guide dran, kaum sitzen wir am Tisch des Restaurant, fragt ein verlumpter alter Mann in gutem Englisch, ob ich ihm Geld fuer eine Uebernachtung geben kann.

Ich lade alle ein, bestelle ein Stew aus Rinderfleisch mit Pommes de Frites fuer die anderen- mir ist noch nicht nach Essen. Es gibt im Leben Momente, wo man nur das ist, was man tut.

Der Schnueffeljunge, einigermassen klar im Kopf, traegt zerrissene, fast schwarz-schmutzige Klamotten und eine Schlaegerkappe, die er verkehrt herum auf dem Kopf sitzen hat. Er heisst Stephen Wahome, gibt sein Alter mit 12 an. In seinem rechten Pulloveraermel steckt die kleine Plastikflasche mit Fluessigkleber und in umgibt eine Wolke aus Klebergeruch. Das gelbe Zeugs verkauft ihm ein Schuhmacher, der damit eigentlich Schuhsohlen befestigen sollte.

Stevie sagt, er sei in Meru geboren, einer kleinen Stadt am Nordosthang des Mount Kenia. Er habe 3 Schwetsern und 2 Brueder, seine Mutters sei tot. Der Vater ist wahrscheinlich ueber den Tod seiner Frau nicht hinweggekommen und kam mit den Kindern alleine nicht klar. So begann er zu trinken, vorallem billiges Bier und Changa, ein fuerchterlicher Fusel, der oft schwarz gebrannt wird und nicht immer nur trinkbaren Alkohol enthaelt, infolgedessen dann manchmal dutzende oder hunderte Menschen sterben.

Der Mann fand eine 2. Frau, aber die wollte die Kinder nicht und schlug sie, so dass Stevie es vorzog, sich zu verziehen.

Er hat seinen Vater seit Jahren nicht mehr gesehen und da die Familie infolge der Trunksucht des Vaters voellig verarmte und die Miete nicht mehr zahlen konnte, lebte sie auf der Strasse und heute weiss Stevie nicht mal mehr, wo sie sind.

Er ist nie zur Schule gegangen, kann selbst seinen Namen nicht richtig schreiben. Er und seine Freunde schlafen kostenlos in einem der beiden Minikinos von Nanyuki, Videovorfuehrraeumen, in denen die Jungs nach Anschauen der letzten Pornovorstellung schlafen koennen.

Ich frage Stephen, ob er gerne zur Schule gehen moechte und er nickt heftig, weshalb ich mich mit dem Guide und ihm fuer den naechsten Morgen 10 Uhr verabrede. Aber weder der eine, noch der andere erscheint und als ich Stephen und den Guide abends am Videoraum finde, verabreden wir und erneut. Der Junge ist heute voellig zugedroehnt, rudert wild mit den Armen, torkelt und faselt herum, grinst, gruesst wiederholt. Ich habe mich nach einem Heim erkundigt, denn ohne zu Hause gibt es keinen Schulplatz. Aber auch beim zweiten Anlauf kommt Stephen nicht.

Diese Kinder, fast alles Jungs, sind Verlorene, Einsame, sie essen das Leben roh. Ihre einzigen Nahestehenden sind die anderen Schnueffler, weshalb sie auch alle abhaengig sind- keiner will aussen vorstehen. Ohne einen Menschen an ihrer Seite waeren sie wenig, fast nichts.

"Zwei Augen hat die Seel:

Eins schauet in die Zeit,

dass andre richtet sich hin

in die Ewigkeit."

Angelus Silesius

"Wenn dies die beste aller Welten ist,

wie muessen dann erst die anderen sein?"

Voltaire: Candide

30.6.

Letzte Erledigungen. Jane setzt sich im Cafe zu mir, wir verabschieden uns, denn morgen breche ich endgueltig auf. Wo und wann ich dort draussen im Norden wieder schreiben kann, ist ungewiss.

Man entdeckt die Geheimnisse der Welt vielleicht nur, wenn man fluechtet. Ich will wieder spueren, wonach der Wind schmeckt. Wenn ich nicht tue, von dem ich ueberzeugt bin, dass ich es tun muss, verliert mein Leben den Sinn.

geschrieben am 1.7. in Nanyuki


 

 

 

 


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