7/1/2004 Ngare Njero
Hippojagd
Natuerliche Gedanken
(Harald) Wir Vier ueberqueren die Bruecke, die Jungs unterhalten sich in Kisuaheli, weil ihre Mutterspachen so verschieden sind. Mich ueberkommt, trotz des leichten Jagdfiebers, eine Ruhe, die ich vermisst habe. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, dafuer leuchten die Sterne klar und die Milchstrasse spannt ihren Lichterbogen von Horizont zu Horizont, milliarden Sonnen wie die unsrige, mit Planeten und Monden, alle um ein unsichtbares Zentrum kreisend, dass sie am Ende ihrer Zeit verschlingen wird, alles verschmilzt zu einer Kugel von ungeheurer Dichte, eine Stecknadel dann so schwer wie eine Erde, und die anderen Galaxien, kugel- und spiralfoermig, nebelartig, alle ziehen sich gegenseitig an, vereinen sich am Ende der Zeiten um einen neuen Zyklus der Unendlichkeit, der Ewigkeit zu beginnen, ein Zeitraum, den wir nicht erfassen koennen, nicht akzeptieren und vielleicht deshalb durch eine andere, aber weniger abstrakte Unbegreiflichkeit ersetzen muessen, etwas menschenaehnliches, das Vaeterlich-Goettliche- damit wir soviel Verlorenheit aushalten. Im Angesicht des Universums kann man sich verlieren, soviel Zeit und Raum ist schwer zu ertragen, es reduziert mich, nimmt allem, aber auch mir, Bedeutung. Aber wenn ich dann wieder meinen Blick auf die Baumschatten, mein Gehoer aus dieser absoluten Stille des Alls auf die Stimmen der Nachtvoegel richte, dann bleibt mir nicht nur das Erkennen der eigenen Sterblichkeit, Endlichkeit, sondern auch die Gewissheit, dass dies MEIN Universum ist, es eben mein Blick, meine Sicht ist, die den Dingen fuer mich Bedeutung gibt und das erhebt mich wieder, stellt mich hinein in dieses Leben und seine Schoenheiten, gibt mir meinen Platz im Paradies. Und ein Paradies ist es wahrlich, Kenia, Ostafrika, vielleicht mehr als andere Gegenden der Welt, denn hier sind wir Mensch geworden, hier haben wir gelernt, unsere Pfoten in Haende zu verwandeln, aufrecht zu gehen, das Feuer zu zaehmen, hier entstanden Tagtraeume und Ideen und Plaene, von hier aus breitete sich unsere Spezies ueber die ganze Welt aus, dies war, ist also das Verlorene Paradies der Bibel, der Garten Eden, den wir verlassen mussten, weil wir uns selbst erkannten, uns unserer bewusst wurden: Ich bin! Und jenseits des reinen Instinkts sind wir seitdem auf ewig gefangen im Disput, Widerspruch zwischen Gefuehl, Sinnen einerseits und Gedanken, Entschluessen andererseits. Eden, wo wir nichts entscheiden mussten, wo alles nicht hinterfragt, einfach getan wurde aus Notwendigkeiten, der Traum der ehemaligen Einheit von Mensch und Natur, der Garten, der uns versorgte, ohne das wir saehen und ernten mussten, uebervoll an allem was wir brauchten. Und wie ein Schmerz ueber einen Tod quaelt uns dieser verlorene Traum, diese Sehnsucht nach natuerlicher Einheit, nach Eingebettetsein in den Naturkreislauf. Dann setzen wir uns ins Flugzeug und kommen hierher, zahlen viel Geld, nur um aus Autos heraus die Tiere anzusehen, zu konsumieren, wie wir es gelernt haben. Tiere, deren Aequivalente wir bei uns laengst ausgerottet haben: den Baeren, den Wolf, den Luchs, den Biber, die Wildkatze, das Wisent, die Wildpferde, die Schlangen und Eidechsen und hunderte Arten von Pfanzen. Wir haben das Paradies verloen in unseren Staedten, die Einheit ist zerstoert, wir machen Tempo und lassen das Paradies hinter uns. Aber wir koennen der Natur nicht gaenzlich entfliehen, wir atmen immer noch Luft, muessen seine Fruechte essen und koennen diesen Seelenhunger mit einem Sonntagnachmittagspaziergang nicht stillen. Wir sind immer noch sterblich und jeder Traum von einer zweiten Erde dort draussen im All ist vergeblich, denn wenn wir nicht gelernt haben mit diesem Zuhause, dieser Mutter umzugehen, was wuerden wir dann dort wohl anrichten? Der Traum vom Leben im All, vom Abnabeln, dem Zuruecklassen der Verwuestung, ist nur unser Versuch uns nicht die Unausweichlickeit klarmachen zu muessen, dass wir nicht auf ewig auf Pump leben koennen, einen Generationenkredit aufnehmen, den wir nie zurueckzahl;en koennen. Das dieser Ver-, ja Missbrauch an allem ein Ende haben muss, dass wir laengst jenseits der Grenzen des Wachstums sind, das Wachstum keine Runde, keine Schleife, sondern ein Strahl ist, der sich von dem weg richtet, was uns menschlich macht und wir auf ihm verbrennen werden, wenn wir ihn weiter zu reiten versuchen. Alles Forschen an Genen ist auch nichts anderes, als der fast verzweifelte Versuch, einen Koenigsweg aus dem Dilemma der Abtrennung vom Natuerlichen zu finden. Und wie die Zauberlehrlinge, die die Geister die sie riefen, nicht mehr unter Kontrolle halten koennen, platzen unsere Traeume von einer Unsterblichkeit, von einer Reise zu einer anderen Erde, von Algenfarmen im Meer, der Wiedererschaffung aller Spezies, die wir ausgerottet haben. Was sollen wir auch mit wiedererschaffenen, ausgerotteten Tieren, fuer die es keine natuerliche Umgebung mehr gibt, in der sie leben koennten? Wir sind fuer die Sterblichkeit gemacht, fuer die Natur hier um uns herum, wir sind und bleiben Teil des Ganzen, wir koennen nicht fliehen und es wird hoechste Zeit uns zu versoehnen, einzubetten, ein Gleichgewicht zwischen unseren krebsartigen Anspruechen und den Quellen zu finden, die diese nicht befriedigen koennen. Uns zufrieden zu geben, mit dem was wir haben, denn davon haben schon jetzt zu viele zuwenig und das kann, wird nicht gutgehen. Mit unseren Taschenlampen bahnen wir uns den Weg durchs Dunkel, finden schliesslich eine der Stellen am Fluss, wo Hippos und Elefanten queren, aber zwischen den schwarzen Bueschen, im Gras, am Ufer, nirgends grosse, dunkle Schatten. Der Fluss windet sich in engen Schleifen, man verliert schnell die Orientierung. Dann ein roehrender Laut, kurz nur, aber ich erkenne den Verursacher: ein Nilpferdbulle! Richtung und Entfernung sind strittig, aber wir stossen weiter vor, loeschen schliesslich die Taschenlampen, sprechen leise, Jagdfieber kommt auf und erlischt wieder: nichts zu sehen. Resigniert beschliesse ich nach zwei Stunden die Jagd und will morgen, bei Tageslicht, einen neuerlichen Versuch starten. Auf dem Rueckweg hebt einer der Jungs den Arm, bleibt abrupt stehen: Halt! Still! Da! Am Fluss ein kolossaler Schatten, ein Elefant. Geraeuschlos steht er da vor uns. Wir machen einen Bogen, denn hier im offenen Gras koennten wir ihm nicht entfliehen, sollte er sich bedroht fuehlen und angreifen und erreichen den Garten einer Farm. Der Nachtwaechter und seine zwei Hunde sitzen in einem kleinen Verschlag am Feuer und wachen ueber die Gemuesefelder, die die Elefanten so gerne abweiden wuerden. Der Elefant da draussen hat seine Gefaehrtin verloren, deren riesige Spuren ihren letzten Weg ins Feld zeigen. Der KWS (Kenian Wildlife Service) hat die Kuh hier erschossen, nur noch ihre Haut samt Schwanz und ihr Magen liegen hier im getrockneten Blut vor uns und der Geruch soll den Bullen da draussen warnen: das hier essen wir selber! Wir kehren zurueck, zerstreuen uns im Dunkel, ich beziehe mein Zelt und schlafe fest. “Und er rief mit donnernder Stimme: Ihr sollt nicht verwuesten die Erde, nicht das Meer und nicht die Pflanzen.” Apokalypse, VII,3 “Ich weiss, es ist wahr, was Nelio sagte, dass unsere letzte Hoffnung ist, uns darauf zu besinnen, wer wir sind, dass wir Menschen sind, die niemals ueber die lauen Winde vom Meer gebieten koennen, aber vielleicht irgendwann einmal verstehen werden, warum sie wehen muessen.” H.Mankell: Der Chronist der Winde geschrieben am 12.7. in Maralal
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