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Reisetagebuch

7/2/2004   Kenia / Sheik

Kinderschreck (wer hat Angst vorm Weissen Mann?)

Ungewohnte Sichtweisen

(Harald) Ich bin zwar frueh wach, bleibe aber im Zelt, weil es noch sehr kalt ist, solange die Sonne nicht aufgegangen ist.

Die Kaelte zwang mich des nachts 2 lange Hosen, Struempfe und 3 Schichten aus T-Shirt, Pullover und Windjacke zu tragen. Es ist sehr windig , die Boen zerren an den Windleinen, selbst das Innenzelt flattert. Dieses Zelt war eine gute Wahl, obwohl jetzt mehrere Lecks in den Naehten des Aussenzeltes auftauchen und die Reissverschluesse des Innenteils manchmal aufgehen. Und ohne eine zusaetzliche Unterplane waere der Boden zu duenn und nagende Insekten haben ein Dutzend kleine Loecher hineingefressen. Aber es ist mein geliebtes Zuhause geworden und abends erfasst mich manchmal richtige Sehnsucht nach dieser Nomadenklause. Ich habe nie zuvor im Leben geahnt, was es heisst, ein Nomade zu sein, wie ein Zigeuner umherzuziehen. Zigeuner- ein Schimpfwort in unserem Kulturraum, die einzigen Nomaden Deutschlands. Umherziehende, Nichtsesshafte- noch so ein negativ beladener Begriff. Uns Civis, Stadtmenschen, Bauern, Arbeitern, ist es hoechst suspekt, wenn jemand nicht sesshaft ist. Die Moeglichkeit, ja Freiheit, jederzeit aufzubrechen, alles hinter sich zu lassen, mit allem Eigentum in den Taschen weiter zu ziehen, laesst naehere Bekanntschaft kaum zu, schafft am Ort wenig Kontakte, dass ist nicht einzuordnen. Und was wir nicht kennen, dass erregt naturgemaess unser Misstrauen. Dieser Konflikt zwischen den Civis und den Hirten ist so alt, wie die Anfaenge der Zivilisation selbst. Als aus reinen Jaegern und Sammlern, den Bewohnern und Nutzniessern des Paradieses, Eigentuemer von Vieh, Nomaden wurden, die zwar noch im Garten Eden umherzogen, dabei aber Stammesgrenzen ueberschritten, weil der Regen anderenorts fiel, war der erste Grundkonflikt geboren. Und als aus Hirten Bauern wurden, aus Zelten, Hogans, Tipis dann Haeuser wurden, verschaerfte sich der Konflikt, galt es doch Felder, Ernten zu schuetzen und wertvolle Haeuser, deren Bau weit mehr Aufwand erforderte, als das Errichten einer Laub- oder Lederhuette.

Beim Zusammenpacken stelle ich wieder ein Opfer meiner Vergesslichkeit fest: mein Kikoi aus Nairobi ist im Hotel in Nayuki geblieben. Ich muss grinsen, fuege mich in mein Schicksal, denn gegen diese Schwaeche ist kaum ein Kraut gewachsen.

Der Vorsteher kommt und verabschiedet sich, Pflichten rufen und er macht sich auf seinem chinesischen Fahrrad auf.

Nach einem frugalen Morgenmahl brechen vier Jungs mit mir zu einem neuerlichen Versuch auf, die Hippos zu finden. Ein Hund, der gestern schon mit eingekniffenem Schwanz vor mir weglief, ist auch heute morgen nicht anzufreunden. Mein europaeischer Geruch, meine Hautfarbe, dass kennt er nicht, dass eregt sein Misstrauen und er knurrt, wenn ich mich hinhocke, auf seine Augenhoehe und die Hand ausstrecke. Und genauso rennen auch die Kleinkinder immer noch weinend weg, wenn ich sie auch nur anschaue und verbergen sich hinter den Roecken der Muetter. Ich, der Kinderschreck. Was ist eigentlich das Gegenteil eines “Mohren aus dem Morgenland”? Ein “Snowy aus dem Abendland”?

Jedenfalls zeigen Hund und Kinder eine natuerliche Reaktion: Unbekanntes erzeugt Angst, wissenschaftlich “Xenophopie”. Ich dachte immer, dass sei per se eine Krankheit, nicht normal. Unsere Akzeptanzmoeglichkeiten dem Fremden gegenueber scheinen enge Grenzen zu haben.

Wir bleiben diesmal auf der diesseitigen Flussseite. Der Fluss ist etwa vier Meter breit und seine hohen, steilen Ufer erlauben den schweren Elefanten und Nilpferden nur an wenigen Stellen, ihn zu verlassen. Diese Stellen sind deutlich zu sehen und zu unterscheiden, weil Elefanten sehr schlecht steil bergab gehen koennen und somit ausgetretene, enge Pfade entstehen, wo sie zum Wasser hinunterlaufen. Die Spuren sind gigantisch, draengen Bilder von urzeitlichen Ungeheuern auf. 35 cm Durchmesser habe ich schon gemessen, eine tiefe Spur mit riesigen Abstaenden, einmalig in der Tierwelt.

Ueberall liegt frischer Faezes herum, die handballgrossen Ballen sind unverwechselbar. Aber selbst, als die Jungs ueber meine Raeuberleiter auf eine grosse Akazie steigen, ist der Produzent nicht zu sehen.

An einem ueber den Fluss gekippten, rindenlosen Baum, machen wir Rast. Paviandung liegt hier, die Affen nutzen die natuerliche Bruecke. Ein grosser Eisvogel (was fuer ein unpassender Name in Kenia), stuerzt sich wie ein Pfeil ins Wasser und erhebt sich wunderbarerweise sofort wieder aus dem Braun.

Der Hund verfaellt in Jagdeifer, aber wir koennen ihm durch die stacheligen Akazienbuesche nicht folgen. Immer wieder werfen die Jungs Steine und Aeste ins Wasser, dort wo es tief ist, wo das Wasser am traegsten stroemt, dort wo ueberhaengende Buesche und Lianen den auftauchenden Hippos Sichtschutz gewaehren wuerden. Die Tire sind nicht so ausdauernde Taucher wie Krokodile, Schildkroeten und Wasserschlangen und holen meist nach einer halben Minute wieder Luft.

Aber wir muessen erneut aufgeben. So schmal der Fluss auch sei und so gross die Tiere, nichts ist zu sehen.

Wir suchen den Fluss auch auf der anderen Seite der Bruecke ab, weil ein Fischer uns sagt, dort sei garantiert ein Bulle zu finden. Aber auch dort ziehen wir eine Niete. Ich gebe auf- ein andermal eben.

Den Kindern schenke ich nochmal gruene Bonbons, damit sie beim naechsten Musungu weniger Angst haben und fahre zum Fluss zum Kleiderwaschen und Wasser schoepfen. Zwischen Kuhfladen stehend, suche ich eine schnell stroemende Stelle und fuelle meine Plastikflasche.

Dann fuehrt mich die Strasse durch eine Huegellandschaft, die Sonne scheint, bald roeten sich meine Arme und Haende. Ich habe mir seit langem abgewoehnt Sonnencreme zu benutzen. Die Koerperpartien, die die Sonne nicht gewoehnt sind, decke ich eben mit Kleidung ab.

Seit 50 Kilometern ist die Strasse beidseits durch Zaeune begrenzt. Wo koennen hier noch Wildtiere und Nomaden passieren? Und innerhalb dieser etwa 20, 30 Meter breiten Passage ist alles abgeholzt, restlos kahl. Nicht mal ein Baum als Schattenspender ist uebriggeblieben, unter dem ich Rast machen koennte- oder andere Reisende. Wer hier Feuerholz schlaegt, oder Holzkohle herstellt, dem ist der Schatten fuer Reisende herzlich wurscht. Die weissen Saecke mit Holzkohle stehen vereinzelt am Strassenrand. Selbst die grossen Restaurants in Nanyuki kochen ausschliesslich mit Holz und auch das heisse Wasser wird durch befeuerte Heizkessel erzeugt. Da z.B.sind die Griechen seit mehr als 30 Jahren weiter: sie lassen auf den Daechern die Sonne das Wasser unter schwarzen Paneelen aufheizen. Die Anschaffungskosten dieser einfachen Konstruktionen rechnen sich binnen kurzem, denn Feuerholz muss von weit her mit Fahrraedern herangeschafft werden und ist nicht billig. Aber wer gibt einen Kredit dafuer und wer ist diszipliniert genug, einen Kleinkredit puenktlich zurueckzuzahlen? Zuviele Kreditnehmer verschwinden einfach und den Aufwand, saeumige Zahler wiederzufinden und zahlungsunfaehige zur Rechenschafft zu ziehen, ist den Banken zu gross. Also bleibt nur Sparen- und das ist nicht eben eine afrikanische Staerke. Wer fuer heute versorgt ist, dem gehts gut und den interessiert das Morgen erst Morgen. Als Oliver und ich am Lengai, in Engaruka, einen Massai-Guide anheuern wollten, verlangte der 60 Dollar fuer drei Tage- ein voellig ueberzogener Preis. Wir boten 20, also rund 7 Dollar am Tag- etwa das Dreifache eines Durchschnittslohns. Der junge Kerl lehnte ab und sass stattdessen weiter drei Tage lang herum. Wahrscheinlich hatte er gerade Geld verdient und die Idee, sich neue Reifen oder einen Oelwechsel leisten zu koennen, waren im solange fremd, bis es unbedingt sein musste. So macht man das hier. Und so wird eben weiter abgeholzt bis kein Baum mehr steht und dann wird man halt sehen muessen…-darueber denken wir nach, wenns soweit ist. Aber letztlich machen wirs ja auch nicht anders, wenn auch auf einem anderen Niveau. Auch wir sind noch weit entfernt von nachhaltigem Wirtschaften.

Mir kommen nur wenige Kuhherden entgegen, ein paar Ziegen und Schafe, ansonsten Samburus in traditioneller Tracht auf Fahrraedern, ein paar Aeltere zu Fuss.

Nach etwa 30 km erreiche ich einen Weiler um einen rechteckigen Marktplatz herum, staubig, voller Plastiktueten die ganze Gegend. An Bueschen und Baumdornen haengen sie, im Gras. Solange man Bananenschalen und Mangokerne achtlos wegwarf, war das kein Problem. Voegel, Ziegen, Schaben, Ameisen verarbeiteten das. Auch Reste von Leder- und Wollkleidung, zerbrochene Lanzen, Hocker, Kalebassen- alles kein Problem. Selbst Eisen verrostete, oder wurde wieder eingeschmolzen. Aber fuer Aluminiumverpackungen, Batterien und Plastiktueten hat die Natur keine Verwendung und die Angewohnheit, alles aus dem Fenster zu werfen, auf den Boden fallen zu lassen, fuehrt nun zu Doerfern voller Abfall. Mir ist unbegreiflich, wie sich die Leute da wohl fuehlen koennen, mit all dem Muell direkt vor der eigenen Haustuere. Das stinkt, Ratten huschen herum, mittendrin spielen die Kinder.

Am Marktplatz ein winziges Restaurant, ein junger Paechter namens Hassan, sein Bart verraet den Muslim, 28 Jahre jung, versucht hier eine Zukunft aufzubauen. Ich esse Mandasis, trinke Schai-Massala, scharf gewuerzt, wir reden. Auf dem Tisch liegt ein amerikanischer Horrorroman von Dean Koontz. Hassan ist vom Stamm der Somalis, in Nordkenia, in Habaswein geboren, ca. 100 km suedlich von Wajir. Er gehoert zum Edschuran-Clan, sein Vater ist Scheich, also Korangelehrter. Er traeumt davon, Politiker zu werden, nicht um reich zu werden, sondern um etwas fuer seine Leute tun zu koennen, die da oben im Norden zu kurz kommen. Er hat einen siebenjaehrigen Sohn, ein suesser Fratz, der Angst vor mir hat, bis er Bon-Bons aus meiner Hand nimmt. Hassans erste Frau ist vor zwei Jahren gestorben, ich frage nicht warum. Seine neue Frau ist 18 und eine Schoenheit, deren Anblick befangen macht. Die beiden sprechen freundlich und vertraut miteinander.

Ich frage, was er fuer seine Region denn tun wuerde, wenn er koennte. Strassen bauen, Brunnen anlegen, sagt er, entwickeln, Schulen errichten. Zwischendurch spendiere ch einem alten Mann Tee und Mandasi, denn wenn man einen Musungu sieht, kommen die Bettler, Strassenkinder, Krueppel und Saeufer stets gelaufen.

Hassan zeigt mir einen Platz hinter den letzten Haeusern des Ortes. Zwischen den trockenen Koeteln, die die Kinder hier morgens hinterlassen, raeume ich mir ein Plaetzchen fuers Zelt und baue auf, umringt von Schaulustigen. Jeder will sehen, was ich da alles in den Taschen habe. Ich zeige, ich erklaere, alles erregt Bewunderung: die Luftmatratze, der Schlafsack, das Zelt selbst, das Satelitentelefon, die Digitalkamera. “Du hast eine Menge magischer Dinge”, sagt Einer.

Es ist wieder sehr windig, aber sehr ruhig und als die Sonne untergeht wird es kalt. Im Zelt lese ich im Licht einer Taschenlampe in einem dicken Schmoeker, bis mir die Augen zufallen.

geschrieben am 13.7. in Maralal


 


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