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Reisetagebuch

7/8/2004   Mugie Ranch

Die glorreichen Sieben

Auf Loewenjagd

(Harald) Morgens geht alles ganz schnell. Andy holt mich ab, ich schnappe mir noch zwei Butterstullen im Center und dann setzt man mich an einer anderen Gate ab, von der aus sich der Weg zur Strasse endlos hinzieht. Und Andy sagt, das Ganze sei kostenlos gewesen und gibt mir seine Visitenkarte, ich solle mal mailen, wenn ich in Capetown bin.

Die Landstrasse zieht sich wie ein roetlich-ockerfarbener Strich gerade durch die Landschaft voller fahlgruener Buesche, zwischen denen rote Flecken die Hirten verraten. Drei Stunden Fahrt und ich bin nichtmal um die halbe Ranch gefahren!

Ich fange eine grosse Agame, die mir mit ihren vier winzigen Zaehnen in die Finger beisst und voellig verduzt sitzen bleibt, als ich sie nicht fresse, sondern wieder absetze. Minutenlang starrt sie mich an, bis sie sich verkriecht.

Im Kiosk des kleinen Lehmhuettendorfs an der Ranch versorge ich mich nochmals fuer die vorerst letzte Etappe bis Maralal, etwa 55 km von hier.

Ich frage Herrn Mortensen, als er vormittags zur Ranch kommt, ob er mich heute mitnimmt. Wieder ist er kurzangebunden: vielleicht. Kein Stuhl wird mir angeboten, kein Tee. Also warte ich im Schatten einer Akazie am Tor beim Waechter, sitze auf dem Boden und schreibe Tagebuch, trinke das frische Wasser, dass hier auch den zahlreichen Fahrgaesten der Matatus zur Verfuegung steht und breite mein nasses Zubehoer aus.

Nach fuenfeinhalb Stunden, ich habe schon fast aufgegeben, weil die Sonne so tief steht, faehrt Mortensen vor und winkt. Ich schnape mir die Kameras- es geht los, ich werde vielleicht Loewen sehen, die ersten freien Loewen meines Lebens! Heia Safari!

Der grosse Gelaendewagen faehrt ruhig, hat eine gute Federung, Mortensen ist ein geuebter Off-Road-Fahrer. Er brummt ein paar Fragen, was ich von Beruf sei u.ae. “Gehoeren diese Zaeune alle zu ihrer Ranch? “Ja” sagt er kurzangebunden. Als ich ihn frage, ob er den Nomaden erlaube, sein Land zu passieren, reagiert er gereizt, blafft eine Gegenfrage: Das waere ja noch schoener, ob wir in Deutschland auch Fremden erlauben wuerden unser Land zu benuzten? Nein, machen wir nicht. Aber unsere Farmen sind auch nicht so gross (wir sprechen hier von 300 - 2.000 qkm!), sperren nicht ganze Landstriche durch Eletrozaeune, wir haben keine umherziehenden Wildtiere und Nomaden und wir bezeichnen nicht Ureinwohner als Fremde, denen wir seit 30, 40 Jahren ihr Recht absprechen, auf IHREM Land umherzuziehen- nur weil sie es vom vor erst 40 Jahren neugegruendeten Staat nicht gekauft haben. Das sage ich ihm so direkt zwar nicht, aber der Mann ahnt eh, was ich denke.

Mortensen spricht ruhig, freundlich mit seinen vielen Angestellten, jeder fliegt, um seine Wunsche zu erfuellen, er scheint beliebt. Er holt an einem weiteren Landsitz seinen Sohn und zwei seiner Freunde ab. Die Traumvilla liegt an einem Hang, pinkfarbene Bougainvilleen, Kakteen, bluehende Blumen ueberall, ein grosszuegiger Steinbau, viel dunkles Holz, ein Freiluftkaefig mit zwei Graupapgeien, eine Terrasse, fuenf Meter hoch ueberdacht, jede Menge Geweihschaedel- Oryx, Grant, Impala, Bueffel, Kudus, Elen- und ein 10-Meter Pool, vor dem die drei Jungs auf Liegen sonnen, Wasserkante ist Aussenmauer, ist Aussicht bis zum Horizont. Nach dem gestrigen Zechen ist man mittags aufgestanden, sonnenbaden, essen, ein harter Tag in Afrika.

Mortensen holt seine Peilvorrichtung und findet Signale- das laesst hoffen. Wir Fuenf fahren in die Ebene hinunter, halten bei mehreren Arbeitern, die den Zaun reparieren. In der Nacht haben die schlauen Elefanten einen der grossen Holzpfaehle mit Ruessel und Fuss umgelegt, bis der Stromdraht riss und sind durchgebrochen. Mortensen sagt, die Loewen schluepften unter dem untersten Draht durch, nachdem sie eine Mulde gegraben haben.

Mortensens Sohn will nur wissen, wie ich durch Afrika gefahren bin, ansonsten interessieren sich die Jungs nicht fuer ein Gespraech.

Mortensen ortet kein Signal, wir kurven suchend durch das Ranchgelaende, schliesslich abseits der Hauptwege. Frankolinhuehnchen sprinten vor dem Auto davon, Trappen fliehen wie Ministrausse, Zebras, Antilopen, Warzenschweine, dann eine grosse Bueffelherde, etwa 200 Tiere, darunter viele Kaelber, wie Mortensen erfreut feststellt. Ich kann kaum Fotos schiessen, weil ich keine langen Brennweiten habe, aber nur Schauen ist auch schoen. Erst bei einem Abstand von 20, 30 Metern werfen die Tiere aergerlich schnaufend die Koepfe hoch, der Schleim fliegt im letzten Sonnenlicht empor und sie drehen bei.

Die Sonne ist fast untergegangen, ich finde mich damit ab, dass wir die Loewen nicht finden werden. Aber da piept es endlich vernehmlich. Wir fahren weiter abseits der Pfade, im Schritttempo ins kniehohe Gras, denn jeder Buschstock, jeder Felsbrocken kann die Reifen aufstossen. Die Signale werden lauter, Jagdfieber kommt auf, alles reckt die Haelse. Schliesslich bleibt Mortensen stehen: “Die Loewen sind praktisch unter dem Auto” sagt er. Aber wir sehen sie nicht, ein seltsames Gefuehl. Drei Loewen sind mit den Funkhalsbaendern ausgeruestet und alle drei Signale sind da.

Wir kurven, versuchen die Buesche mit unseren Blicken zu durchdrinen. Mortensen ist der Erste, der die Tiere sieht. Undeutlich zwar, aber unzweifelhaft, schaut mich da zwischen den gruenen Zweigen ein goldfarbenes Katzengesicht an. Mortensen dreht einen Halbkreis, nach und nach tauchen die Loewen aus dem Gras auf, grosse braune Augen fixieren uns. Es ist voellig still, die Tiere sind relaxt, behalten uns aber im Blick.

Schliesslich sind es sieben Schemen, die sich herausschaelen: ein grosser, maehnenbewaehrter Kater, sowie ein junges Maennchen, fuenf Katzen, eine davon ist an zwei Stellen verwundet, nichts Bedrohliches, aber Blut fliesst, eine andere sehe ich erst garnicht, obwohl sie drei Meter vor mir im Gras liegt, zum Sprung geduckt. Die Jungtiere starren fasziniert auf die sich drehenden Raeder, das einzige, was sich bewegt, aber sie schauen mir auch direkt in die Augen. Ich ueberlege kurz, ob ich nicht besser das Fenster hochkurbeln soll, denn wenn die Katze springen sollte, bliebe keine Zeit mehr. Aber ich habe noch nicht gehoert, dass Loewen Autos angreifen. Von uns sehen sie ja nur Koepfe und Oberkoerper, das ist kein Beuteschema. Aber wehe, ich stiege aus.

Ein Loewe hat nahe Nanyuki einen Touristen mit einem Parkenhieb ins Knie aus seinem offenen Zelt gezogen und wurde dann verjagt- der Mann musste ein halbes Jahr an Kruecken laufen. Ein anderer Menschenfresser hat vor kurzem den ersten Wanderer einer ganzen Gruppe auf der Landstrasse angefallen und vor den hilflosen Blicken der anderen aufgefressen. Diese Killer werden gejagd und getoetet, weil sie nach einer solchen “erfolgreichen” Menschenjagd immer wieder Menschen anfallen wuerden.

Loewen und Leoparden, die hier ebenfalls reichlich vorkommen, toeten immer wieder Vieh der Ranches und Hirten. Mortensens Projekt soll ermitteln, warum manche Ranches mehr unter diesen Attacken leiden als andere, damit gezielte Schutzmassnahmen etabliert werden koennen.

Nach einer Viertelstunde Faszination faehrt Mortensen zurueck, die Dunkelheit bricht herein. Ich waere gerne ein, zwei Stunden geblieben und haette die Katzen im Dunkel bei der Jagd beobachtet. Ich danke Mortensen fuer dieses einmalige Erlebnis, er verzieht keine Miene.

Man setzt mich an der Pforte ab: “Gute Nacht”, sagt Mortensen auf Deutsch. Zack und tschuess. Kein Tee, kein Bier auf der Terrasse, geschweige ein Abendbrot oder die Frage, ob ich etwas brauche; ich meine, wir sind hier in der Wildniss, hier gibts kaum etwas zu kaufen.

Ich baue mein Zelt auf, wasche mich am Betontrog, koche beim Wachmann am Tor Reis mit Milch und gebe ihm ab, waehrend er sein Abendessen, dass ihm seine Frau bringt, vor meinen Augen alleine und geraeuschvoll verzehrt.

Ich stehe vor meinem Zelt unter Afrikas Strenenhimmel, die Sternzeichen sind seltsam verschoben, aber fast schon vertraut, Halbmond. Die Milchstrasse weist den Weg nach Hause und nach Sueden. Zwei Jahre bin ich jetzt unterwegs. Ich habe viel gewonnen und etwas verloren und bin jetzt zum ersten Mal auf einem Weg zurueck.

Die Sterne verraten mir nicht, dass ich morgen zwei Unfaelle haben werde.

geschrieben am 14.7. in Maralal


 

 

 


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