7/20/2004 Kenia / Porro
Jee! Jee!
Am Ende der Welt
(Harald) Mann, hier oben ist es nachts aber kalt! Trotzdem habe ich gut geschlafen. Wir beide liegen wach im Dunkeln unter den Decken und warten auf Tageslicht, hoeren aus dem Kofferradio Nachrichten aus Nairobi und das taegliche Horoskop mit nuetzlichen Lebenstipps. ("Glueckstag! Gehen sie heute ruhig vor die Tuere. Wenn sie in der Stadt wohnen, werden sie sicher jemanden treffen." Oder: "Heute ist ein guter Tag, um eine Entscheidung zu treffen. Trauen sie sich etwas zu und stehen sie vor dem Fruehstueck auf.") Die Nachrichtensprecherin verspricht sich unentwegt, in 5 Minuten wohl 20 Mal, eine Qual fuer den Zuhoerer. Der oertliche Priester kommt auch heute morgen nicht aus Maralal zurueck, denn wenn hier draussen Regen faellt, ist es nahezu unmoeglich zu fahren. Ich moechte eine kleine Trekkingtour zu einem Aussichtspunkt machen und ein junger Seminarist, ein Samburu mit Pudelmuetze, begleitet mich. Wir ueberqueren den Huegel hinter dem Dorf, passieren grosse Felder mit Maissetzlingen und frische, braune Aecker. Die Erde ist fett und fruchtbar, hier gedeiht jedes Gemuese, Wassermangel ist hier selten. Die Landschaft erinnert mich an Aethiopien: Fast baumlos, gruen, bergig. Immer wieder muessen wir anhalten, weil Passanten gegruesst werden wollen und das Woher und Wohin und Warum geklaert werden muss. "Wie gehts? Was macht die Familie, das Vieh etc.?" Um den Fluss des Austausches in Gang zu halten wird immer wieder ein "Jee! Jee!" eingeschoben. Sitzt man direkt neben einem solchen Vielfachjeejeer, nervt das gewaltig. Nach 6 km erreichen wir einen grossen Betonbogen, dass Gate des Aussichtspunktes namens "Worlds End". Wie fuer alles Sehenswerte in Kenia, so soll man auch hier bezahlen, was mir nun garnicht passt. So verabschiede ich mich von meinem Begleiter und gehe querfeldein, durch mehrere kleine Schluchten, in denen kleine Baeche fliessen und die mit Urwald bewachsen sind. Ueberall beackern Bauern ihre kleinen, z.T. steilen Aecker, Kinder rufen "Musungu, Musungu! und Schmetterlinge, die aus der Erde am Ufer Wasser saugen, fliegen auf, manche gross wie eine Maennerhand, mit kleinen Schwaenzchen an den Fluegelenden, tuerkis-schwarz, gelb-schwarz, ein lautlos getanzter Reigen der Farbenpracht. In diesen kleinen, steilen Schluchten wachsen Lianen und Flechten an riesigen Baeumen, Wuergefeigen umklammern diese, die Erde ist tiefbraun, Trampelpfade der Rinderherden durchziehen das Gestruepp. Ueber eine letzte Huegelkette geht es steil hinauf zum Lependera-Gipfel, dann liegt ploetzlich das Rift-Valley vor mir, gigantisch, sattgruen, ockerfarben, wohl 1 km unter mir bimmeln die Glocken der Ziegenherden. Der Blick reicht heute bis zu den Cherangani Mountains (Trekkingtour mit Renata, Oliver und Mike) und bis zu den Taita Hills, etwa 120 km weit. Rechter Hand beginnt das Suguta Valley, ein Teil des Rift Valleys, einer der heissesten Orte der Erde, mit Bodentemperaturen ueber 80 Grad- hier oben sind es gerade mal ca. 15 Grad. Die Ebene unter mir ist mit grossen Schirmakazien durchwachsen, kleine Bomas (Huetten einer Familie in einer Schutzhecke) und Dornengestruepp-Gatter sind zu sehen, wie Ornamente, krytische Zeichen, Kunstwerke. Rinderbruellen klingt herauf, Hirtenpfeifen, das Klappern der hoelzernen Kamelglocken- manchmal sind es auch Schildkroetenpanzer, die diesen Zweck erfuellen. Ich lasse mir Zeit hier oben, geniesse das Gefuehl der Koenig der Welt zu sein, sehe die Schatten der Wolken ueber die Berge hasten, immer wieder neue Farben kreierend. Und fern am Horizont spiegelt auch der Baringosee, wohl 100 km entfernt. Als ich absteige, beginnt es zu regnen, dann zu gewittern, der Donner kracht, rollt und das fuehlt sich wirklich an, wie das Ende der Welt. Nach anderthalb Stunden gebe ich das Warten auf und gehe los, durch den Regen, es ist noch ein weiter Weg und es wird bald dunkel. Nach 8 Stunden Wandern erreiche ich pitschnass die kleine Mission und verschlinge gierig die gebotenen frischen, warmen Tschapatis mit Bohnen, denn ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. Die Kerzen sind alle verbraucht, die Lampe verliehen, wir sitzen im Dunkeln. Spaet kommt der Priester, er ist im Schlamm auf seinem Motorrad gestuerzt. Mein Zimmernachbar ist ein ungewoehnlicher Mann: Ortsvorsteher in Lokologo, verheiratet mit nur einer Frau, die aber fast 30 Jahre juenger ist. Als sie hochschwanger ist und nach der Geburt waescht er die Waesche, versorgt den Haushalt, die Bilder aus seiner Tasche zeigen eine glueckliche Familie und Liebe fuer seinen kleinen Sohn. geschrieben am 11.8. in Nairobi
|