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Reisetagebuch

7/23/2004   Kenia / in der Savanne zwischen Marti und Baragoi

Esser und Co. (Eine Polemik)

Ich darf mal eben was dazu sagen, so aus dem afrikanischen Blickwinkel heraus, ja?

(Harald) Fruehstueck, Abschied, Zack-Zack.

Ueber eine Anhoehe lasse ich Morijo hinter mir und gleich muss ich wieder schieben, dass Rad bergab fuehren, denn vorallem der aethiopische Mantel am Vorderreifen sieht gefaehrlich laediert aus. Was fuer ein Qualitaetsunterschied! Hier ein chinesisches Fabrikat fuer etwa 5 Euro, dort ein deutsches fuer etwa 65 Euro. Hier Risse nach den ersten 400 km und Totalschaden nach etwa 1600 km, dort Eins-A-Zustand nach ueber 15000 km. Und das, obwohl der deutsche Mantel die ganze Last des Hinterades tragen muss, also das dreifache Gewicht.

Mit schlechter Qualitaet zu leben, ist afrikanische Realitaet, das Provisorium ein staendiger Zustand. Es ist eine Last, ein Fluch, wenn alles jederzeit kaputt gehen kann. Batterien, die sich schnell entladen und man unerwartet im Dunkeln steht, Kleidung, die binnen Monaten zerschlissen ist, Schuhe, die auseinanderfallen, Ersatzteile, die immer neue Pannen provozieren- die Liste ist endlos. So lassen sich oft Verspaetungen, Unzuverlaessigkeiten nicht vermeiden, ein Kreuz fuer einen Europaeer, der Puenktlichkeit und Zuverlaessigkeit gewohnt ist. Strassenverhaeltnisse, die sich binnen Stunden aendern, Busse, die Stunden spaeter kommen, Stromausfaelle, Telefonlinien, die zusammenbrechen, ausverkaufte Artikel in den Laeden, Fliegende Aerzte die Menschen sterben lassen, weil die keine Vorkasse zahlen koennen, Polizei, die sich eher versteckt, als Pflichten zu erfuellen- eine endlose Liste afrikanischer Normalien.

Ueber blanken, rauhen, gebrochenen, brutalen Fels geht es, Brocken gross wie Badewannen, einfach unbefahrbar, selbst fuer viele 4x4 und LKW.

Das Putzen der beweglichen Teile kann ich mir eigentlich sparen, denn binnen einer Stunde knirscht die Kette wie zuvor und dicke Oeldreckklumpen streifen sich an den starren Teilen neben der Kette zusammen.

Ich erreiche Mbukoi, die weissen Fahnen flattern im Wind, aber heute ist der Platz menschenleer, wie seit acht Jahren.

Es geht bergab auf die Marti-Ebene und nach etwa 25 km erreiche ich die gleichnamige Ortschaft aus zwei Reihen von Dukas (kleinen Laeden), Hotels (Restaurants) und einer Polizeistation. In den Schatten sitzen Samburus und Turkanas, man lacht und handelt, man verheiratet sich, als sei nichts gewesen. Auch diese kurzen Zeitabstaende zwischen friedlichem Nebeneinander und ploetzlichem Toeten und dann wieder ruhigem Alltagsmiteinander ist afrikanisch und fuer uns Europaeer unvorstellbar. Mein Freund Oliver berichtet mir per Mail aus Ruanda, dass dort Tutsi und Hutu wieder, als waere nichts gewesen, miteinander leben. Hunderttausende Massakrierte und dann, weniger als 10 Jahre danach, Business as usual. Wenn ich da an den uralten Hass der Exjugoslaven denke, oder an die scheinbar nie endenwollende Auffrischung alter Feindbilder uns Deutschen gegenueber, dann sehe ich einen grossen Unterschied. Mir ist diese afrikanische Unbekuemmertheit fremd, aber ich ahne, dass sie mit einem Fatalismus zu tun hat, einer Akzeptanz der Unabwendbarkeiten des Lebens, mit der staendig gegenwaertigen Praesenz von Schmerz und Leid, einer Melange, die dem Exfeind nur bedingte persoenliche Schuld zuspricht und damit das Vergessen erleichtert. Verstehen? Ich weiss nicht, ob man sich hier in Kenia immer soviel Muehe mit dem Verstehen macht, ich denke eher nicht. Man nimmt hin, akzeptiert das Unabwendbare, selbst Gesundheit und Menschenleben haben einen geringeren Wert als bei uns in Europa, der Tod ist so gegenwaertig, dass er alltaeglich ist, das Risko ist stuendlich, das Ertragen minuetlich.

Marti ist ein staubiges Nest im Nirgendwo, Kinder betteln und druecken auf den Reaktionsbutton fuer Musungus: "Abari? Abari?"(Wie gehts?)- worauf man pflichtschuldigst wieder und wieder mit "Muzuri"(gut) zu antworten hat.

Ich frage nach Tschapatis, aber die junge Frau hat zwar nichts zu tun, denn ich bin der einzige Gast, aber auch keine Lust dazu und ihr Bruder muss sie erst antreiben. Die Herren der Schoepfung sitzen derweil hinter dem Lokal und sehen fern: Deutsche Welle in englischer Sprache! Der Strom speist sich aus Solarpaneelen auf dem Dach.

Bilder aus der Heimat, Duesseldorf, Oberlandesgericht, Sitzungssaal, Freispruch fuer den Manager Klaus Esser und seine Schergen. Der tritt vors Mikrofon und wirft sich in die Brust: alles sei rechtlich in Ordnung. Die Bestechungsgelder von 60 Millionen fuer seine kurze, tolle Managerleistung seien total o.k., auch fuer die anderen raffgierigen Nimmersatte wie Ackermann von der Deutschen Bank. Man habe sich nichts vorzuwerfen. Steht da vor dem Mikro, mit dem gleichen, bleichen, wackligen Gesichtsausdruck wie einst Barschel, jeder kann sehen, wie wenig da in ihm stimmt, waehrend er gleich ein Dutzend Naegel in die Moral der deutschen Wirtschaft haut.

Fragt der Kenianer: Wie oft kann man eigentlich am Tag warm essen? In wieviel Autos gleichzeitig fahren, wieviel Haeuser bewohnen? Wo sind die ethischen Grenzen fuer Reichtum, oder gibt es keine? Gut, sagt der Kenianer, sicher, ich bin kein Massstab, ich bin einfach ZU arm, um mich zu vergleichen, aber wie sieht es mit euch Europaeern aus, habt ihr eigentlich irgend eine Obergrenze fuer erlaubten Reichtum, so rein moralisch eben, nicht rechtlich? "Aaaaeeehhh, tja", antworten wir da, dass verstehe er eben nicht, es muesse doch Anreize fuer Leistung geben, damit alles besser werde, alle Produkte und Leistungen usw.

"Mmmh", antwortet der Kenianer, das verstehe er durchaus, aber troztdem: wo sei da die soziale Gerechtigkeit, die Voraussetzung fuer ein friedliches Miteinander sei? "Nun, wir haben doch Frieden!" antworten wir, "mehr als ihr in Kenia". Wir akzeptieren ueberhoehten Reichtum als Preis fuer das System. Auch das versteht der Kenianer, obwohl waehrend dieser Unterhaltung gerade ein Dutzend Menschen in Kenia wegen Armutsfolgen gestorben sind. Was er nicht versteht, ist, dass wir keine ungeschriebenen Moralgesetze fuer Reichtum einhalten. "Nkai, epieki kurto crere", sagen die Samburus: Gott, lass mich ein gleichwertiges Leben mit der Samburugemeinschaft leben. Heisst: ich will mich nicht unterscheiden, eingebettet sein, denn schon morgen ist mein ganzes Vieh vielleicht tot und ich bin wieder arm und wenn ich zuvor als Reicher nicht allen geholfen habe, wird es mir schlecht gehen. Diese haltung haben wir schlichtweg nicht mehr noetig, dafuer gibt es Versicherungen.

Mir haette imponiert, wenn Herr Esser, statt Genugtuung und Selbstgerechtigkeit zu verbreiten, die Gruendung einer Stiftung mit einem Fond von 59 Mill. erklaert haette, fuer irgendwelche armen Schweine, die ihn mit einem Achselzucken massakrieren wuerden, wenn er mit seinen Cash-Millionen doch nur mal hier vorbeikaeme.

Was hat Herrn Esser eigentlich seine ganze Bildung genutzt, wenn seine Intelligenz und Gerissenheit lediglich egozentrische Fruechte traegt? Ist Ethik in der Wirtschaft etwas fuer Traeumer und Spinner, Idealisten? Haben wir in 150 Jahren Kapitalismus das immer noch nicht geschafft: gerecht zu sein, zu teilen, was man zuviel hat? Wo bleibt die oeffentliche Empoerung, die Wut ueber diese widerliche Raffgier?

Wenn ich sehe, was man mit seinen Bestechungsmillionen in Aethiopien oder Kenia alles vollbringen koennte, wieviel Menschenleben, Augenlichte gerettet werden koennten. Und wenn es nur ein Mensch waere- warum bedeutet das diesem Mann nicht mehr als Yacht Nr. 2, Haus Nr. 4, Auto Nr. 6, Anzug Nr. 52? Von was fuer moralisch minderwertigen Leuten lassen wir unsere Unternehmen fuehren? Je mehr Leute sie feuern, desdo mehr jubelt die Boerse und die Aktionaere freuen sich. Je brutaler sie vorgehen, desto hoeher die Tantiemen und der Respekt. Ich fuer meinen Teil will in Deutschland keine amerikanischen Verhaeltnisse, weder in den Konzernen, noch auf den Strassen- und das ist die gleiche Muenze, nur die andere Seite.

Ich verlasse Marti, hinter dem Ort sitzen Maenner im Schatten von Baeumen, eine Versammlung der Aeltesten, einer winkt mir eine Einladung zu. Es ist der Ortsvorsteher, gross, sauber, gebildet offenbar. Ich bekomme einen Stuhl wie ein Ehrengast und vor mir sitzen etwa 150 Maenner der Turkana und Samburu, alles Aelteste, keine Moran. In den folgenden Stunden geht es um den Frieden zwischen den Staemmen, ein Redner nach dem anderen tritt vor, Uebersetzer betonen und gestikulieren wie die Redner, alles ganz original. Ein Vertreter der Samburu-Krieger spricht fuer die Jungen, der Ortsvorsteher redet in Englisch von "time is money"- was fuer ein Quatsch, denke ich, in Afrika ist Geld Geld und Zeit schier endlos. Wer kann schon einen Tag mehr Leben kaufen? Was kostet ein schoener Augenblick? Amerikanisches Weltbild.

Und der hohe Polizeioffizier erscheint, ein dicker Somali mit seiner ebenso dicken Frau, ein netter Mann mit Homor: Er freue sich sehr ueber den Frieden und er wisse, dass die meisten illegale Waffen unter den Huetten vergraben haetten (hundertfaches Gelaechter), aber man solle sie dort lassen. Er drueckt mir nochmals die Hand, bedankt sich bei mir, als habe ich etwas beigetragen. Naja, vielleicht Interesse, wenns denn hilft. (Einige Tage spaeter wird dieser Mann hier in der Naehe von Viehdieben erschossen).

Ich fahre noch 15 km, alles ist menschenleer, nicht ein einziges Auto kommt vorbei. Wieder sind es Schmetterlinge, die auch mein inneres Auge laecheln lassen, tausende, weiss, wie Schnneflocken wirbeln sie umher im Hochzeitstanz, im Abendrot, alles glaenzt und leuchtet jetzt roetlich und golden.

Zwischen den flachen Bueschen und niedrigen Baeumen suche ich einen Zeltplatz, muss Dornen aus Kleidung und Boden entfernen, Hose, Hemd, Struempfe, alles zieht unerbittlich Faeden. Ich ebne mit meinem Schwert einen Ameisenhuegel, reisse Wurzeln heraus, dann ist die Flaeche eben, sitze dann im Abendwind vor dem Zelt und esse frische Tschapatis mit Marmelade, schaue zu den Sternen auf und hoere die Nachtvoegel, denke an die vielen Loewen um mich herum, an die Hyaenen und Leoparden, Eulen, Antilopen und Schlangen und bin wieder versoehnt mit der Welt.

Im Zelt liege ich noch kurz mit offenen Augen da, lausche den Fluegelschlaegen grosser Voegel, dem Rauschen des Windes in den Bueschen, ueber die Zeltplane krabbeln Insekten und eine Spinne sitzt im Eck im Innenzelt und muss hinausbugsiert werden.

Dann fallen mir die Augen zu, in Ostafrika, allein hier draussen und doch mittendrin, still-gluecklich und ueberhaupt nicht einsam.

"Mehr als jeder andere, lockt mich dieser Winkel Erde mit einem Laecheln." Horaz, "Oden",VI,13

geschrieben am 13.8. in Nairobi


 

 

 

 

 

 


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