7/28/2004 Kenia / Loyangalani
Freudenhausschlangen
...und Sprung!
(Harald) Vor lauter Adrenalin im Blut wg. des bevorstehenden, schwersten Abschnittes meiner Samburu-Tour, kann ich morgens nicht weiterschlafen. Mein Motor laeuft schon auf Hochtouren, um mich zu wappnen. Mit dem ersten Morgengrauen bin ich auf der Piste, 6.40 Uhr. Mich erwartet erstmal Sand, so dass ich schieben muss. Es ist angenehm kuehl und die Sonne braucht lange, um hinter der oestlichen Bergkette aufzutauchen- Schonfrist. Die Strasse fuehrt zwischen den beiden Bergketten hindurch, dass Szenario erinnert mich an den letzten Tag der Trekkingtour in den Cheranganis. Dann erreichen mich die Sonnenstrahlen, die durch die lichten Kronen der grossen Schirmakazien sickern, tippen mich wie Finger an: mach dir keine Hoffnung, wir haben dich nicht vergessen. Hornvoegel kraechzen unverwechselbar, Weissbauchlaermvoegel machen ihrem Namen alle Ehre, der lauteste Vogelschrei, den ich je gehoert habe, Taueberiche gurren verliebt und schlagen ihre Nebenbuhler mit den Fluegeln- und ich konzentriere mich auf andere Sachen. Z.B. auf den rutschigen Sand unter den Reifen und die Schlange vor mir. ??? Wow! Meine erste Puffotter, nicht voll ausgewachsen, aber an die 60 cm Laenge hat sie und ihr Biss waere somit toedlich. Zur Erinnerung: diese Spezies ist fuer ueber 60 % aller toedlichen Schlangenattacken verantwortlich. Ich moechte Fotos machen und dirigiere das Tier mit einem Stock, hebe es hoch. Die Schlange ringelt sich in Schleifen zusammen und macht dabei rasselnde Geraeusche, die mich an die von einer Klapperschlange erinnern, nur das diese die Laute mit ihrer Schwanzspitze erzeugt. Der Zweck ist der gleiche- ein Warnlaut: ich will keinen Kampf, weil ich dich ja nicht fressen kann, aber ich bin sehr gefaehrlich! Wieder und wieder schnappt sie mit sperrangelweit geoeffnetem Maul nach mir, zischend und ich sehe in das toedlich-rosarote Inneren der Schlange. Ihre Stossreichweite betraegt etwa halbe Koerperlaenge und sie ist schlau genug, nicht in den Stock zu beissen, auch nicht in die hingehaltene Kamera, den die hat nur ein "Auge", sondern die Schlange zielt auf mein heruntergebeugtes Gesicht und meine Beine. Da erscheinen die 4x4 der Wissenschaftlertruppe, der erste braust einfach durch und huellt mich in Staub. Ich bitte den hinteren Wagen, meine erste, in den letzten anderthalb Stunden schon fast geleerte Wasserflasche aufzufuellen. "Sorry", zuckt der Professor die Schultern, das Wasser sei leider im ersten Wagen da vorne- er nickt Richtung des im Staub entschwinden Jeeps. Ich bedanke mich, wirklich, sehr nett, diese Geste der Menschlichkeit, hier draussen im Nirgendwo. Danke! Sicher haben vier Insassen keinen Tropfen Wasser im Auto, bestimmt, das glaube ich auf Anhieb. Ich wuensche gute Reise und Achsbruch. Bei der ganzen Konversation habe ich die Schlange vergessen, die sich rachsuechtig zwischen meine Beine begeben hat und als ich nach unten blicke richtig zulangt und mir durch die Sandale in den Fuss beisst. Kleiner Scherz! Natuerlich hat sich das Tier davongemacht und in ihrer sandfarbenen Tarnung ist sie kaum noch auszumachen. Auch das macht die Puffotter so gefaehrlich. Ich mache noch ein paar Fotos und fahre dann weiter. Jeder Afrikaner haette das Tier sofort getoetet, wie jede andere Schlange auch, denn man haelt hier jede Spezies fuer gefaehrlich und niemand hat sich im Laufe der Jahrtausende das Wissen angeeignet, welche Schlangen fuer Menschen ungefaehrlich sind. Schieben dauert zu lange, ich muss aufsitzen und kaempfen, treten, treten mit aller Kraft, je schneller, desto besser, dann sinke ich nicht so tief in den Sand, aber das erfordert zuviel Kraft, ich keuche bald, muss pausieren. So schaffe ich das auch nicht, das steht fest. Ich muss flexibel sein, auf- und absteigen im fliegenden Wechsel. Aufsitzen, Antreten, Durchtreten, Balancieren, Absitzen, Schieben, Spur wechseln, Aufsitzen... Und Schwitzen und Trinken. Die Berge werden beidseits flacher, weichen zurueck, kein Schatten mehr, die Sonne brennt auf die Schultern, den Ruecken. Der Baumbewuchs wird spaerlicher, die Kronen werden lichter. Vorteil fuer mich: es geht leicht abwaerts. Aber mit sinkender Hoehe auch heisser, trockener. Ich bin alsbald in einer welligen Ebene, die Sandabschnitte werden seltener und ich komme besser voran. Pause in einem Wadi im Schatten. Vor mir zieht still eine Kohorte aus 300 grossen, schwarzen Ameisen vorbei, ein geschlossener Trupp auf dem Weg weissgottwohin. So winzige Gehirne und soviel Ordnung, ein Wunder der Natur. Ich verspeise genuesslich Tschapatis und Fleisch und trinke soviel hineingeht ohne das es hochkommt, denn wenn ich jetzt austrockne, werde ich schwach und dann dauert es Stunden, bis ich wieder fit bin oder muss mich abquaelen. Eine Kolonne aus 11 LKWs taucht auf, das ist die Filmcrew, von der ich gehoert habe und die in Loyangalani dreht. Im ersten sitzt ein Weisser, auch er blickt mich nicht mal an, als sei ein Radfahrer auf dieser Strecke das Normalste der Welt. Der letzte Wagen stoppt, der Kenianer verkauft mir zwei Halbliterflaschen fuer den vierfachen Preis, aber das ist mir jetzt Wurscht. "Safari sana!" wuenscht er mir, gute Reise. Mit dem Satelitentelefon rufe ich zu hause in Deutschland an. Das ist immer wieder ein seltsamer Moment, wenn ich an solchen Orten stehe und eine Stimme in Deutschland hoere. Ich rapple mich auf, Brueder zur Sonne, hinaus in den Backofen. Ein einzelner Wagen kommt mir noch entgegen, dann sehe ich stundenlang keinen mehr. Ich bin gut vorangekommen, denn obzwar ich keinen Tacho mehr habe, so weiss ich doch an Hand der Abzweigungen und den Angaben aus meinem Reisefuehrer, wo ich etwa bin. Am Mittag habe ich bereits mehr als 50 km geschafft. Eigentlich wollte ich die Strecke auf zwei Tagen aufteilen und in der Wueste schlafen, aber jetzt denke ich, dass ich es heute schaffen koennte, denn ich fuehle mich frisch und kampfeslustig. Dann, jenseits der Menschenleere, tauchen wieder einzelne gruene Flecken auf, Ziegenherden und ein paar Turkanafrauen. Das sind unglaublich zaehe Leute, hier zu leben, in einem der heissesten Landstriche Kenias. (Ende Teil 1) geschrieben am 14.8. in Nairobi
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