7/28/2004 Kenia / Loyangalani
Lake Turkana
Zweiter Teil
(Harald) Eine letzte Pause, ich will mir einen grossen Stein zum Sitzen in den Schatten rollen und- wieder eine Puffotter, diesmal ein ueberaus reizbarer Charakter. Genauso gross wie die heute morgen, jedoch grau gefaerbt, womit sie zwischen den Steinen besser getarnt ist, raspelt sie ebenfalls ihre Schuppen und stoesst wieder und wieder nach mir. Ich stelle mir vor, wie ich mich einfach auf den Stein gesetzt und mich das Vieh in den nackten Fuss gebissen haette. Ich habe zwar die Giftpumpe dabei, aber Puffottern haben ein Zellgift, dass sich sofort mit dem Blut in Sekunden verteilt und selbst Abbinden nuetzt da nur noch wenig, denn das Gift zerstoert sofort das Gewebe des Gliedmasses und wenn man es abzusaugen versucht, kann es zu starken Blutungen kommen, die nicht zu stoppen sind, weil die Zellwaende zerstoert sind. Die Puffotter verdaut gewissermassen ausserhalb des Koerpers vor, wie Spinnen. Nach Stunden, in denen Fieber ausbricht und starke Schmerzen auftreten, ist das Gliedmass ueblicherweise z.T. abgestorben und Amputationen sind unvermeidlich. Kobras und Mambas besitzen zwar groessere Giftmengen, dies sind allerdings Nervengifte, die ohne Behandlung zum Herz- und Atemstillstand fuehren. Die Erste Hilfe bei diesen Giften ist einfacher, weil man abbinden, aussaugen und -bluten lassen kann und Seren weitaus effektiver sind. Nun, da ist dieses Exemplar und es kriecht doch tatsaechlich auf mich zu, anstatt sich zu verkriechen und versucht mich zu beissen. Naja, ich haette es wohl nicht mit dem Stock in die Sonne hieven sollen. Also schleudere ich die Schlange zwei Meter weg, aber wieder kriecht sie auf mich zu, schnappt stinkesauer nach meinen Beinen und jetzt werde ich sauer und schleudere sie meterweit weg. Nach diesem Aufprall scheint ihr Muetchen gekuehlt und ich sehe sie nicht mehr. Ich esse in Ruhe und fahre dann weiter: den See kann mir heute keiner mehr nehmen. Ein LKW ueberholt mich, der Fahrer fragt mich, ob alles o.k. sei und in 5 Minuten wuerde ich den See schon sehen koennen und in 2 Stunden sei ich in Loyangalani. Mmmh. Vermag ich nicht so recht zu glauben. Doch, doch, versichert er mir. Es dauert dann eine Dreiviertelstunde bis ich den See sehe und sechs Stunden bis Loyangalani. Soweit zu afrikanischen Entfernungs- und Zeitangaben. Ich juble, ich habe es geschafft, habe den legendaeren Lake Turkana mit dem Rad erreicht und der Anblick wird seinem Zweitnamen gerecht: Jademeer. Gross ist er, tuerkisfarben, kleine Wellen zeigen die Windboen, die seine Oberflaeche ueberstreichen, kahl seine Ufer, rotbrauner, schwarzbrauner Lavaschotter begrenzt ihn, in der Mitte eine grosse Berginsel, linker Hand zeigt ein perfekter, kreisrunder Krater wie jung die Landschaft ist. Einst breitete sich der See in das ganze Suguta-Valley aus, aber etwa 20 km von hier brach dort drueben ein letzes Mal ein Vulkan aus und schnitt den See entzwei. Vom Zufluss durch den aus Aethiopien kommenden Oromo-Fluss im Norden abgeschnitten, trocknete der suedliche Teil aus und hinterliess die heisse Senke, deren Auslaeufer ich vom Worlds End in Porro gesehen habe. Trotz Hitze klettere ich auf einen Huegel, um eine bessere Sicht zu haben. Eigentlich muesste mir diese unwirtliche Landschaft, die Hitze, die Einsamkeit mehr Angst machen, aber ich habe mich an diese Umstaende gewoehnt. Kein Bammel, Fracksausen, Tatterich, eher Hochstimmung, denn Loyangalani ist nur noch 25 km entfernt. Die Strecke wird jetzt richtig fies. Scharfkantiges Vulkangeroell, riesige Brocken, ich kann das Rad jetzt nicht mehr schonen und muss das Risiko eines geplatzten Reifens auf mich nehmen, sonst kommt ich nie an. Das Halten des Lenkers erfordert alle Kraft und jetzt spuere ich auch die hinter mir liegende Strecke ueberall, ich beginne auf Reserve zu fahren. Die Piste fuehrt etwa 1oo Hoehenmeter bergab hinab zum See wo Schaf- und Ziegenherden am Ufer das salzige Wasser trinken. Wie viele Seen des Riftvalleys ist das Wasser sehr natronreich und eigentlich fuer eine dauernde Ernaehrung nicht geeignet. Troztdem trinken auch die Menschen es und es tummeln sich Schildkroeten und tausende von Krokodilen im Turkanasee, weshalb ich auch von einem erfrischenden Bad absehe. Die Sonne steht im Zenit, die Hitze schmilzt, beisst, bruellt, presst, laugt aus. Literweise trinken ist die einzige Gegenwehr. Die Piste ist fast unpassierbar, Geroellbrocken gross wie Kochtoepfe, wie Eimer. Ein paar Turkanakinder laufen umher, betteln um Suessigkeiten und Wasser (am Seeufer!), Kamele suchen sich die wenigen Gewaechse zwischen den Felsen zusammen, fast unsichtbar stehen oben an den Haengen ein paar Zweighuetten. Seltsamerweise essen die Turkana und Samburu, die hier leben, keinen Fisch, denn der See ist weltberuehmt fuer seine vielen Barscharten. Vor allem der Nilbarsch erreicht hier sagenhafte Groessen von hunderten von Kg., weshalb hier auch "Sport"-fischer einfliegen. Ich muss etwa 15 km schieben, es nimmt wieder mal kein Ende, eine der schlimmsten Strecken der ganzen Tour. Ich brauche 5 Stunden fuer die letzten 25 km. Als die Sonne linker Hand ueber den Bergen jenseits des Westufers untergeht, dort, wo Ralph und Renata vor ein paar Monaten entlanggefahren sind, erreiche ich endlich, endlich Loyangalani. Hinter einem Kamm, im Abendrot stehen hunderte von Rundhuetten, eine Frau betet vor einem grossen Kreuz, gruene Baeume, eine Oase in der Wueste um den See herum, Palmen. Ich baue mein Zelt im Rhino-Camp auf, trotzdem ich kein gutes Gefuehl bei der Frauentruppe habe, aber die guten Campsites sind von der Filmcrew belegt. Nach dem Zeltaufbau- jetzt kann er ja schlecht wieder abbauen!- versucht man mich uebers Ohr zu hauen: Hat man mir nicht gesagt, das noch zusaetzliche Steuern zu bezahlen seien? Nein, und ich zahle auch nichts, aber die Stimmung ist dahin. Ich verschlinge Reis mit Ziegenfleisch, das Duschwasser kommt aus dem Vulkangestein und ist heiss und dann sinke ich (ich habs geschafft, geschafft!) in einen tiefen Erschoepfungsschlaf. geschrieben am 14.8. in Nairobi
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