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Reisetagebuch

7/30/2004   Kenia / Loyangalani

Der Tanz der Turkana

Eine warme Decke fuer die Hoelle

(Harald) In der Nacht klangen Gesang und Haendeklatschen aus dem im Sueden gelegenen Huettendorf der Turkana herueber und am Abend gehen Sebastian und ich durch die Dunkelheit in Richtung des Gesangs, der, von heftigen Windboeen verweht, auf- und abschwellt.

Der Mond ist noch nicht aufgegangen und wir orientieren uns am helleren Staub der fussbreiten Wege im fast schwarzen Lavageroell. Die Abende sind herrlich kuehl, sturmartige Winde kommen auf, die Palmenkronen rauschen und wiegen sich.

Wir passieren das Dorf, eine Ansammlung von etwa 100 mannshohen Rundhuetten aus Palmzweigen und Blaettern, vor denen im Dunkeln die Bewohner den Abend geniessen, sich unterhalten und uns freundlich gruessen. Man kommt sogar auf uns zu und laedt uns ein. Ich rate Sebastian, die Kamera stecken zu lassen, um nicht den typischen Touri abzugeben und damit die Athmosphaere zu stoeren.

Vor uns hat sich eine Gruppe von etwa 100 Menschen im Rund versammelt, aussen die Moran, junge Maenner, alle in westlicher Kleidung aus Stoffhosen und Hemden, einige tragen eine Straussenfeder im Haar, was mich an die Indianer Nordamerikas erinnert. Wir setzen uns erstmal in Abstand auf den Boden, lassen die Leute unsere Anwesenheit wahrnehmen, um dann zu sehen, wie sie reagieren.

Der Tanz der Turkana ist dem der Massai und Samburu aehnlich, nicht so elegant, aber irgendwie kraftvoller. Es gibt keine Instrumente, Haendeklatschen und Gesang machen die Musik und aus den Reihen der Saenger loest sich immer wieder mal einer, um in der Mitte zu tanzen, wie beim Hip-Hop. Die Krieger springen mit angewinkelten Ellbogen in die Luft und beim Landen stampfen sie die Fersen fest in den Boden und werfen die Schultern zurueck, was einen dumpf-droehnenden Laut erzeugt. Es gibt ein paar Vorsaenger, die alle anderen einstimmen, das Ganze ist spontan, improvisiert, funktioniert aber lueckenlos.

Ein paar Aeltere stehen ringsum und schauen sich das Spektakel an. Wir stellen uns nach einer Viertelstunde zwischen die Saenger, man lacht und heisst uns willkommen. Ich klatsche mit, aber heute will ich nicht tanzen, denn hier geht es um etwas anderes: es gibt einen Innenkreis aus unverheirateten Maedchen, die sich an den Haenden halten, kichern, lachen, mit hohen Stimmen mitsingen. Die Jungs zeigen beim Tanz im Kreis was sie drauf haben, tanzen provozierend vor einzelnen Kandidatinnen, die Maedchen versuchen sie an der Kleidung zu ziehen oder sogar zu Fall zu bringen. Verheiratete Frauen sind nicht in Sichtweite, dass ist fuer die oft viel aelteren Ehemaenner zu gefaehrlich. Hat ein Moran eine Wahl getroffen, bzw. ein Maedchen ihm ein Signal gegeben, zieht er sie beiseite, sie straeubt sich scheinbar wiederspenstisch, in Deutschland wuerde ich jetzt das Gefuehl haben, eingreifen zu muessen, aber hier gehoert das zum "Hasch-mich-ich-bin-der-Fruehling-Spiel".

Sebastian ist ganz still geworden, ich beobachte ihn aus dem Augenwinkel. Er ist beeindruckt und ich muss an Oliver denken, wie aufgeregt er in Tanzania war, als wir die Massai trafen (er hat mir in einer Mail geschrieben, das die das Highlights seiner Afrikareise war). Auch mir stehen wieder die Haare zu Berge und eine Ergriffenheit treibt mir Traenen in die Augen. Dieser Gesang, die Art der Bewegung ruehrt irgendetwas tief in mir an.

Nach einer Stunde lassen wir die Veranstaltung hinter uns und gehen zum Campingplatz zurueck, fast gespraechslos, wir trennen uns ohne viele Worte.

Ich habe heute in diesem Dorf Schmuck gekauft. Da ich keinen Touristenkram erstehen wollte, bin ich mit einem Turkana hier ins Dorf gegangen und habe den Frauen den Schmuck praktisch vom Koerper gekauft. Das hat sie zwar etwas irritiert, weil sie mir immer wieder "schoene Sachen" anbieten wollten.

Eine Frau in meinem Alter, auf einem Auge fast blind, mit einem schlauen und humorvollen Gesichtsausdruck hat es mir angetan: Elisabeth. Durch und durch Turkana, duenn, sehr dunkle Hautfarbe, mittelgross, Punkfrisur, orange-rot-gelber Schmuck, Lederkleid. Die Maenner tragen oft die unterschiedlichsten Huete, bunte Plastikkaemme stecken in ihrem Haar (ich muss an die Mode in den 70ern denken, als sich jeder Junge eine Haarbuerste in die Jeansgesaesstasche oder in die Brusttasche der Jeansjacke steckte). Die Aelteren tragen dunkelrot-schwarze, oder auch gruene Decken.

Die Turkana sind reine Nomaden, heisst, sie pflanzen nichts an (hier wuerde wg der Trockenheit eh nichts wachsen), ihr einziger Reichtum ist das Vieh. Im Inneren der Huetten gibt es ein paar Kalebassen fuer Milch, Joghurt, Fleisch und Oel, Stampfer fuer Mais, Messer, Toepfe, leere Blechbuechsen, vielleicht eine Plastikschuessel. Ausser einem Bett keinerlei Moebel, wie Stuehle oder Tische, keine Spiegel, keine Bilder, Buecher, Briefe, Fotoalben. Unsereins wuerde bei solcher Ausstattungsarmut staendig gelangweilt sein, geradezu depressiv, denn wir sind Besitzwesen geworden, bei denen sich sogar die Existenz ueber Gueter definiert: habe ich nichts, bin ich nichts. Sprueche wie: "Kleider machen Leute" belegen die Kultur von "mein Auto, mein Haus, meine Yacht." Hier gibt es zwar Vielfalt bei den Deckenmustern und jeder Moran, jedes Maedchen, versucht irgendwie einen individuellen Touch zu haben, aber die Unterschiede in der Kleidung, wie bei uns, gibt es nicht: Nicht hier T-Shirt und dort Brioni-Anzug.

Die Turkana essen fast ausschliesslich, was ihr Vieh hergibt: Milch z.B., oft mit Rinderblut vermischt. Hierzu wird mit einem speziellen Pfeil aus naechster Naehe eine Halsader aufgestossen, der Blutstrahl wird in einer Schuessel aufgefangen, dann wird die Wunde einfach zugepresst und schliesst sich stets problemlos.

Das Blut wird mit Milch vermischt und getrunken. Rinderfleisch wird nur bei besonderen Anlaessen gegessen, denn die Rinder sind das Kostbarste der Nomaden. Wird ein Rind geschlachtet, wird alles verwertet: Die Felle werden zu Kleidung und Decken verarbeitet, die Hoerner zur Herstellung von Waffengriffen, Tabakdosen usw. verwendet, man isst auch die Gedaerme; gefuellt mit Vorverdautem, gelten sie sogar als Delikatesse. Mit dem Fett werden die Haare und zur besseren Geschmeidigkeit, der Koerperschmuck eingerieben, was die wesentlichste Geruchskomponente ausmacht. Aus den grossen Beinknochen saugt und puhlt man sich mit Stoeckchen das Mark heraus, das Fleisch wird grob zerteilt und alles, samt Knorpel und Fett und Sehnen, Augen und allen Organen wird verspeist.

Im Alltag gibt es ansonsten Ziegenfleisch, von Schafsfleisch habe ich seltsamerweise noch nicht gehoert. Auch Esel und Kamele stehen nicht auf der Speisekarte.

Die Sprache der Turkana, die aus dem Norden Ugandas nach Kenia kamen und dort dem Karmojong-Stamm angehoerten, klingt hart, gesprochen mit vielen rollenden "Rs". Die Gesichter der Turkanas spiegeln ihr hartes Leben im Backofen der Natur wieder: zernarbt, faltig im Alter, oft schlechte Zaehne, verlorenes Augenlicht. Sie sind schlank bis duenn, ihre Muskeln sind schmal, Unterschenkel duenner als mein Unterarm, im Liegestuetzen schlage ich jeden von ihnen (habe ich ausprobiert), aber zu Fuss rennt mir selbst ein 12-jaehriger davon und ihre asketische Lebensweise ist legendaer.

Wie auch bei anderen Staemmen, werden bei den Turkana im Kindesalter die beiden unteren Schneidezaehne ausgeschlagen, viele tragen darueber hinaus Schmucknarben auf Armen und Brust und Bauch. Die Turkana sind mit den Luo der einzige Stamm Kenias, der weder Knaben noch Maedchen beschneidet, aber nach und nach waechst hier der Einfluss der Samburu, so dass immer mehr Turkanajungs nicht als Weichlinge gelten wollen.

Die Turkana essen nichts, was "Finger" hat: Affen, Leguane, Eidechsen, Buschbabys etc. Und keinen Fisch, was ihren Spesezettel hier am See einschraenkt.

Ihre traditionellen Feinde sind alle Nachbarn, die sie in den letzten 200 Jahren verdraengt haben: Die Pokot im Suedwesten, Toposa und Dodoth aus dem Suedsudan, Dongia aus Aethiopien, Merille, Gabbra, Rendille und Samburu. Mit letzteren leben sie aber hier am See seit einiger Zeit friedlich zusammen und auch die El Molo werden seit Jahrzehnten verschont.

Im Kampf sind sie hart, tapfer und gefuerchtet. Trotzdem die Englaender Anfang letzten Jahrhunderts mehrere Feldzuege gegen sie unternahmen- die Hauptlast der Kaempfe trugen als Soldaten rekrutierte Kikuyu und andere Staemme-, trotzdem ihnen etwa 250.000 Stueck Vieh von der Armee gestohlen wurde und tausende Stammesangehoerige getoetet wurden, umzingelten die Turkana 1918 die Englaender und besiegten sie- mit Lanzen, Keulen und Pfeil und Bogen- wohlgemerkt gegen moderne Gewehre und Kanonen. Heute gibt es viele automatische Waffen und es war in den 80er Jahren moeglich, eine Kalaschnikow fuer sechs Dollar zu kaufen.

Die Turkana leben in Polygamie, Maenner haben meist zwei Frauen, ein reicher Mann hat in Einzelfaellen bis zu 10, wobei die Braeute blutjung sind und gleich nach der ersten Menstruation heiraten. Ihren traditionellen Namen (neben den christlichen oder moslemischen), erhalten die Kinder bei der Geburt. Jemand zaehlt waehrend der Geburt auf, was er ringsum sieht und mit dem ersten Atemzug, Schrei, tut der Saeugling kund, welchen Namen er haben will. So traegt z.B. mein Begleiter den Namen von Duenen, die aus dem Huetteneingang heraus zu sehen waren. Auch dies ist eine Parallele zu den Indianern.

Ich kaufe Elisabeth Ketten und Halsreif ab, ihrem Mann sein Armgelenk-Rundmesser (mit dem Elisabeth auch Gemuese schneidet), einer Nachbarin den Guertel, der z.T. aus den Zehenknochen von 4 Dik-Diks gefertigt wurde. All dies moechte ich evtl. in einer Ausstellung in Deutschland zeigen.

Es gibt einen Spruch ueber die Turkana in Kenia:

Wenn ein Turkana stirbt und sich mitten in den sengenden Flammen der Hoelle wiederfindet, dann kehrt sein Geist unweigerlich auf die Erde zurueck- um sich eine warme Decke zu holen.

geschrieben am 15.8. in Nairobi


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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