8/16/2004 Kenia / Nairobi
Shake that thing
Aufenthalt in der Hauptstadt
(Harald) Jetzt bin ich wieder in Nairobi und hier liegen Freud und Leid fuer mich nah beieinander. Einerseits gehe ich fast jeden Abend ins Kino, esse jeden Tag Eis und geniesse gutes Essen und schnelle Internetverbindungen und freue mich alte Bekannte wiederzusehen. Andererseits ist es ueberfuellt, laut, hektisch, gefaehrlich. Ich trage wieder mein Meroe-Messer im Guertel und das Schwert im Rucksack, werde jeden Tag 10-20 angebettelt und fast ueberfahren, weil ich mich auch nach 5 Monaten Rechtsverkehr auf den Strassen immer noch nicht daran gewoehnt habe, in die andere Richtung zu schauen, ob die Strasse frei ist. Solche Gewohnheiten sitzen tief im Unterbewusstsein und vor allem, wenn ich in Gedanken bin, rettet mich oftmals nur das Hupen der Matatufahrer davor, ueberfahren zu werden. Abends stehen an den Bushaltestellen im Zentrum die langen Schlangen der Wartenden, geduldig, diszipliniert wie in London. Man koennte glauben, diese Leute waeren immer so, aber sie sind widerspruechlich, wie wir alle. An Schaltern, vor Kassen und Tresen, muss man sich stets durchsetzen, weil sich immer irgendwer einfach vorbeidraengelt. Auf den Strassen laufen einem die Leute ueber die Fuesse, kreuzen so den Weg, dass man stehenbleiben muss. Ruecksicht auf Fussgaenger, wie wir das in Deutschland kennen, ist hier ein Fremdwort. Der Autofahrer kaeme nie auf die Idee fuer einen Fussgaenger anzuhalten, selbst mehr Zebrastreifen sind mehr Abschussstrecken, denn Schutzzonen. Man faehrt bei Rot ueber die Ampel, man parkt die Fussgaengerueberwege zu und niemand kuemmert das. Diese ruede Art zieht sich durch alle Lebensbereiche. Z.B. muss man im Hotel immer die Tuere verschlossen halten, denn das Personal klopft nicht erst lange, sondern drueckt einfach morgens die Klinke herunter, um ins Zimmer zu gelangen. Man wundere sich auch nicht, wenn erwartet wird, man moege am Abreisetag das Zimmer bereits um 8.30 Uhr geraeumt haben, oder wenn morgens um 7 Uhr jemand schon mal die Bettwaesche abziehen will und energisch klopft und Eintritt verlangt. Die naive Dreistigkeit des Personals ist allerorten geradezu belustigend. In den Restaurants wuerde der Kellner nie fragen, ob man z.B. den Salzstreuer oder die Zahnstocher noch benoetigt, die auf dem Tisch stehen, sondern er nimmt sie einfach weg. Und so verhalten sich auch andere Gaeste, die sich z.B. ohne jeden Gruss oder Frage einfach an den Tisch setzen, oder vom Nachbartisch herueberlangen, um sich den Ketschup zu nehmen. Im Matatu wird Musik gespielt und die Lautstaerke ist nervtoetend, denn kenianische Volksmusik ist oft eintoenig, endlose Wiederholungen der immer selben Themas. Deutet man an, dass man lediglich transportiert werden moechte und nicht in einer Disko sei, nuetzt das meist garnichts. Legendaer ist auch die Unfaehigkeit irgendetwas leise zu machen, wie z.B. eine Tuere zu schliessen, die immer geknallt wird, oder um 3 Uhr nachts leise zu sprechen. Irgendwie wissen die Leute einfach nicht, was fluestern ist, niemand hat ihnen, scheints, die Vorteile von Ruecksichtnahme erklaert. Man hat einfach ein dickeres Fell und ertraegt das scheinbar so Unvermeidliche. Die Sprache der Nomaden kennt keine Woerter fuer "Willkommen", fuer "Bitte" und "Danke". Aber nett ist es, dass viele sogar "Sorry" sagen, wenn einem selbst ein Ungeschick passiert, z.B. neben einem Kenianer stolpert. Widersprueche... Am 12.8. wechsle ich ins Upper Hill Camp, denn das Hotel ist zu teuer. Fuer deutsche Verhaeltnisse sind natuerlich 7 Euro pro Nacht ein Witz, aber meine Reisekasse schrumpft rapide. Der kleine Campingplot ist fast ueberfuellt, Zelt steht neben Zelt, Leute aus aller Herren Laender. U.a. treffe ich hier das belgische Paerchen wieder, die gerade ihre Rundtour durch Ostafrika beendet haben und jetzt weiter nach Indien fliegen. Und ein Deutscher taucht auf seinem grossen Motorrad auf, fragt mich, ob wir mal Schach spielen. Na klar doch, ich weiss schon garnicht mehr, wann ich das letzte Mal gespielt habe. Und mehrmals gehe ich in die Diskothek "Florida". Der Rummel startet gegen Mitternacht, es werden Soul, Hip-Hop, RocknRoll, kenianischer Pop und Oldies gespielt und ich geniesse es, mal wieder richtig loszulegen. Es gibt mehr Frauen, Maedchen als Maenner hier, denn professionelle Huren und halbprofessionelle "Geishas" versuchen hier, mit den Musungus, den weissen Touristen ins Geschaeft zu kommen, die auch weniger zum Tanzen hierher kommen, wie man sehen kann. Die Bewegungen der Marketenderinnen auf der Tanzflaeche aehneln mehr einer Gogo-Show und wenn Jean Paul seinen Song "Shake that thing" (Wackle mit dem Ding) singt, boxt hier der Papst im Kettenhemd. Eine tanzbegeisterte junge Dame namens Lilian hat den selben Musikgeschmack und wir tanzen, bis die Sohlen qualmen. Lilian ist mit ihrer Schwester da und keine Professionelle, wie sich bald heraustellt und als ich um 3 Uhr die Segel streiche, ist sies immer noch nicht satt und tanzt weiter. Ich fahre mit dem Rad die 3,4 Kilometer hinauf Richtung Ngong zum Campingplatz, wobei ich auf den letzten 2 km stets das Schwert in der Hand halte, denn hier ist kein Mensch zu Fuss unterwegs und es ist dunkel und nur alle paar Minuten kommt ein Auto vorbei. Hier sind Renata und ich ueberfallen worden und hier haben mir 2 Jungs aufgelauert, haben aber beigedreht, als sie mein Messer sahen. Waeren nachts nicht die kenianischen Tourbegleiter, die in den campeigenen Zelten uebernachten und stets Laerm machen, wenn sie zu Bett gehen oder aufstehen, man koennte hier richtig ruhig schlafen. Das muss ich euch noch erzaehlen: eines nachts, es war 4 Uhr, ich komme gerade von der Disko und esse noch etwas draussen vor der Garagenbar des Campingplatzes, registriere ich, dass die sturzbetrunkenen Schwarzen wieder mal voellig selbstverstaendlich zu ihren Autos wanken, kaum noch die Tuerschloesser aufbekommen. Ich gehe zu einem der Fahrer und frage ihn, ob er ernsthaft in seinem Zustand noch fahren wolle. "Selbstverstaendlich" antwortet er mir erstaunt. Ich sage ihm, dass ich das nicht zuliesse und als er mich auslacht, ziehe ich seinen Schluessel aus dem Zuendschloss, worauf er auf mich stuerzt und mich zu schlagen droht. Durch den Streit angelockt, erscheinen der Wachmann und zwei Angestellte des Camps und sie halten zu dem Mann und ich lasse ihn fahren, nachdem er mir gesagt hat, dies sei nicht "f.... Europe", sondern Africa. Meine Frage, ob man in Kenia betrunken Autofahren duerfe wird zwar verneint und, ja, er koenne andere totfahren, stimmt, sicher, aber... Ja, hey man! Thats Africa! Hier hat Leben einen anderen Wert und wenn der lallende Kerl einen Fussgaenger anfaehrt, dann faehrt er durch und nach Hause und schlaeft wahrscheinlich auch noch gut. Man darf sich halt nicht erwischen lassen, das ist alles. Ich habe heute vom Dach eines der Hochhaeuser hier in Upper Hill Fotos des Stadtzentrums, von Down Town gemacht und der Blick reichte von den Gipfeln der Ngong-Berge bis weit ueber das Zentrum hinaus Richtung Thika, trotz der Smogglocke, die ueber der Stadt haengt. Ich habe den Bussarden, die wie in Kairo, Khartum und Addis ueber der Stadt kreisen, beim Fliegen auf den Ruecken geschaut und gedacht, dass mir, trotz allem, Kenia sehr gut gefaellt. Das ist wohl auch der Grund, warum ich hier jetzt schon laenger bin, als in irgendeinem anderen Land waehrend meiner Reise. geschrieben am 23.8. in Nanyuki geschrieben am 23.8. in Nanyuki
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