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Reisetagebuch

8/22/2004   Kenia / Nanyuki

Kenianische Geishas

Nie Schwarz-Weiss

(Harald) Fuer die letzte Nacht in Nairobi habe ich mich im Zentrum im viel zu lauten Gateway-Hotel einquartiert und schlafe wieder mal, naja, eigentlich wie meistens, mit Knaeueln aus Tissue, also Toilettpapier in den Ohren.

Irgendein netter Zeitgenosse hat aus meinem Rucksack meine Tasche mit saemtlichen Notizen gestohlen. Tagebucheintraege, Zitate aus Literatur, muehsam zusammengelesen, unwiederbringlich jetzt, alle Adressen, seien es Mails oder Post, alle Namen... Eine kleine Katastrophe fuer meine Eintraege. Da ist es fast egal, dass meine Kopflampe auch mit drin war. Fuer den Dieb voellig wertlos, das alles, wird er die Tasche, prall gefuellt mit Arbeit, achtlos wegwerfen. Moege ihm die Hand verdorren...

Andererseits: es erleichtert. Ich fange nochmal neu an, irgendwie, unbelasteter. Man braucht immer eine gewisse Zeit, bis man mit Betrug und Diebstahl fertig wird, aber ich moechte meine Menschensicht dadurch nicht aendern (wohl besser aufpassen).

Mein Rad habe ich bei den indischen Fahrradhaendlern untergestellt, die das "Cycle-Land" besitzen. Die folgende "Rendille-Tour" werde ich ausschliesslich mit Bussen und LKW bestreiten.

Ich nehme den Matatu nach Nairobi, wir haben unterwegs einen Platten. Neben mir sitzt ein Weisser, aber er spricht in ueber 3 Stunden, obwohl ich ihm Schokolade anbiete, kein Wort und in Nanyuki steigt er wort- und grusslos aus und geht einfach weg und ich muss wieder ueber den Autismus dieser Leute laecheln. Sie kommen mir wie verstockte Kinder vor.

Nanyuki! "Karibu Kenia", hallt es mir am Andenkenstand entgegen. Der Wachmann ist da, mit seinem gelben Hemd und der blauen Baseballkappe. Und Makena im Netcafe und das leckere Curry-Stew. Alles an seinem Platz.

Und Mary erscheint im Netcafe, in einer dunkelblauen Uniform, sie arbeitet jetzt in einer Bar, von 15-23 Uhr. Sie sagt, Dan, ihr 6-jaehriger Sohn, habe mich vermisst. Das ist wahrscheinlich nicht wirklich wahr, aber nett gesagt.

Ich besuche sie, es gibt Ugali mit Bohnen und Schai. Mary wohnt in einer Wohnanlage aus dutzenden Einzimmerwohnungen, ebenerdig, verschachtelt wie ein Labyrinth, mit Gemeinschaftsaussenklo und -waschzuber, auch gewaschen wird sich in der Oeffentlichkeit. Ihr Bett ist mit einem Stueck Stoff optisch abgetrennt, sie hat einen winzigen Gasofen zum Kochen, gross wie ein Topf, ein paar Sessel, ein kleiner Tisch, eine Truhe und eine Metallkiste, aus der sie- wir sind jetzt ja schon fast vertraute Freunde- Bilder, Briefe hervorholt. Hat sie sich bei meinem ersten Aufenthalt in Nanyuki noch geschaemt, ist sie jetzt, beim dritten Mal, offener und ehrlicher.

Dan fummelt an meinen Haaren herum, ich habe ihm einen Fussball mitgebracht, den er lautstark bearbeitet. Mary zeigt Bilder ihres Lebens: Kindheit in Meru, Geschwister, Eltern, Schule, Freundinnen. Dann die Fotos, die ihr zweites Leben zeigen: die englischen Soldaten, saufend, feiernd, obzoen, hochrote Gesichter, besitzergreifende Haende auf Mary und ihrer Freundin Frinda. Beide Maedchen stets laechelnd, immer sind Bierflaschen im Bild, aber die Augen lachen nie mit, oft schuetzen verschraenkte Arme die Seele. Frinda ist juenger als Mary und die Schoenste der Nanyuki-Truppe und sie war es, die Mary ins Gewerbe einfuehrte, die ihr die ersten Klamotten gab, damit sie aufregend aussah.

Die englischen Soldaten sind fuer kenianische Verhaeltnisse unglaublich reich und sie halten das Wirtschaftskarussel Nanyukis am Laufen, kaufen Alkohol in den Diskos und Bars, bedienen sich in Lebensmittelmaerkten, besuchen die Netcafes, machen Bergtouren zum Mt. Kenia, kaufen Souvenirs und die Bilder des Malers, der vor dem Netcafe sitzt und seit Jahren die immer gleichen Bilder malt. Und sie mieten Hotelzimmer fuer sich und die Maedchen und mancher ueberlegt nicht mehr so ganz klar, wenn er betrunken ist und verrueckt nach der jungen Lady und vergisst das Kondom und Mary zeigt mir den Brief von "Chris", der erleichtert schreibt, er sei "negativ" und er verfluche die kleine Schlampe, die ihn verfuehrt habe. Ja, so kann man das auch sehen.

Und das Mail eines anderen, der vor Angst fast stirbt, weil seine Frau ihm draufgekommen ist, seine Kameraden haben zu Hause von Mary in Nanyuki geplaudert und jetzt schickt er Mary kein Geld mehr.

Und der verliebte Deutsche ist da, der seit Jahren kommen will, heiraten, ein neues Leben anfangen und von Mary traeumt und traeumt...

Auf den Fotos Dan hier im Arm eines Uniformierten, Mary im Arm des einen Freundes, dann im Arm des anderen, seltsame Form des Teilens unter Kameraden.

Mary ist nicht einfach eine Prostituierte, sie ist eine Geisha. Sie nimmt nicht einfach Geld und das wars, sondern sie schliesst Freundschaften, sie verabredet sich, laesst es auch mal langsam angehen, nimmt die Jungs mit nach Hause, sie faehrt mit ihnen in Nationalparks und nach Mombasa. Mombasa! Traum aller Maedchen hier, teuer, weisser Sand, Palmen, kalte Drinks, Swimmingpools, Feiern, die besten Diskos, neue Musungus.

Die Maedchen sind oft Muetter. Frinda hat ihr Kind letztes Jahr durch Krankheit verloren. Die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und traeumen von den USA oder Europa, vom Musungu, der sie mitnimmt, raus aus Kenia, der Armut und den schlammigen Nebenstrassen.

Aber viele kommen zurueck, waren nie angekommen in Italien, in England, einsam dort, das Klima, die Fremden, die Ablehnung, die seltsame Mentalitaet der Menschen dort und ihnen haben die Familien gefehlt, die Geschwister und Freunde.

Und viele werden schlecht behandelt, die muehsam in Kenia noch verborgene Verachtung bricht sich bei den Maennern im Streit Bahn.

Mary hat keine Illusionen mehr, sie ist reif, aber lebenslustig, stark. Sie hoert nicht richtig zu, vielleicht, weil zu viele zu viel erzaehlen, was eh nie stimmt. Sie sagt, sie vertraut buchstaeblich niemandem, nicht mal ihrer Schwester, die Dan in den "Stosszeiten", wenn die Soldaten aus England zum Trainieren kommen, nach Meru mitnimmt und die Dan "Mama" nennt.

Die Maedchen bekommen Taschengeld, mal 5, mal 10 Euro am Tag, aber das ist nicht das Wesentliche. Fuer die Zeit mit dem Musungu sind sie versorgt, werden zum Essen eingeladen, auf Ausfluege mitgenommen, erhalten Geschenke wie z.B. Kleidung, Speilsachen fuer die Kinder. Motto dabei: Dran bleiben! Denn irgendetwas bleibt immer haengen. Man hilft dem Weissen, man uebersetzt, hoert zu und troestet den traurigen Ehemann und Vater, der zu Hause nicht klarkommt. Ich frage mich manchmal, wieviel Ehen die Maedels schon gerettet haben durch ihren Einsatz.

Mary und ich haben es einfach, wir sind in Nanyuki als Freunde bekannt und wenn sie einen "Einsatz" hat, einer ihrer Freunde kommt, dann sagt sie es mir. Und ich habe Ruhe vor den echten Huren, die sich nicht auf Marys Terretorium trauen.

geschrieben am 23.8. in Nanyuki


 


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