8/27/2004 Kenia / Lokologo
Get rich or die trying
50 Cent oder: Der maechtige Nigga
(Harald) Um 6 Uhr weckt mich gegen Zahlung von 1 EU ein fuer diese Dienste angeheuerter Guide und hilft mir, mein arg angewachsenes Gepaeck zum Transport-LKW zu tragen, dem sog. Lori. Der offene Wagen ist zum groessten Teil mit einer Plane ueberspannt, unter der ich acht hundemuede Maenner auf Maissaecken sehe, die dort, aus Platzmangel mit angezogenen Beinen, versuchen sich eine Muetze Schlaf zu goennen. Sie sind in der Nacht in Nairobi losgefahren. Ich zwaenge mich dazwischen und merke alsbald, dass es im Fahrtwind erstaunlich kalt ist und ich als zuletzt Zugestiegener den schlechtesten Platz erwischt habe. Nur zwei Knaben frieren sich mit voellig zerschlissenen Klamotten oben ueber der Fahrerkabine noch mehr einen Ast ab, da haben die Maenner kein Mitleid. Irgendwann kann ich das nicht mehr mit ansehen und lasse die Jungs unten sitzen, waehrend mir dann oben die Traenen ob der Kaelte uebers Gesicht laufen. Dann geht endlich rechter Hand die Sonne auf, wenn gleich sie auch noch keine Waerme spendet. Afrika hat fast jeden Tag einen spektakulaeren Sonnenaufgang zu bieten und dieser ist besonders schoen greaten. Sein Licht ergiesst sich ueber hunderten Schaefchenwolken, die oben orange und unten grau-blau, dann violett, schliesslich weiss strahlen und die Farben Ostafrikas erscheinen allmaehlich aus dem Morgengrau. Dann werden aus dunklen, pastellenen Grautoenen nach und nach goldener Ocker- das ist das Gras-, rostrot- das ist die Erde und helles Gruen- das sind die Akazien. Der Fahrer faehrt uebervorsichtig, gerade mal etwa 25-30 km/h ,und so dauert die Fahrt ueber 260 km etwa 9 Stunden, mit Pausen in Archers Post, Sereolipi, Merille und Laisamis, wo mich der Mann anspricht, der mir damals die gebrochenen Speichen so pfiffig repariert hat. Ueber dem Fuehrerhaus lagern runde gelbe 20-Liter-Kanister, aus denen die Maenner mittels eines dicken schwarzen Gummischlauches Wasser saugen- alle Muender, nur nicht meiner, ich kann mich nicht ueberwinden mitzulutschen. In Archers Post ueberqueren wir den letzten Fluss, der nie trockenfaellt, namens Ewuaszo Njero und der als leuchtend gruenes Band eine Grenze anzeigt, denn wir sind jetzt endgueltig in der Halbwueste. Begeistert zeigen sich die beiden Knaben gegenseitig die Wildtiere im Busch: Netzgiraffen, Zebras, Grant-Gazellen, Impalas, einen Schakal, der wie ein braun-beige-schwarzer Fuchs aussieht. Da sind flitzende Erdhoernchen und Dik-Diks, die kleinsten Antilopen der Welt, Dackel auf zu langen Beinen, denen man ihre Verwandtschaft zu den kuhgrossen Elenantilopen nicht ansieht. Ueberall fliegen Voegel auf, vorallem schwarz-weisse Hornbills mit orangenen und roten Schnaebeln, Tauben, Raben, Schwalben, da gibt es Paerchen laut tschirpender Voegel, die wie Bachstelzen aussehen, mit langen roten Beinen und Schnaebeln, da laufen flink Riesen- und Zwergtrappen davon, da fliegen Frankolinhuehnchen auf, die weiblichen Minifasanen aehneln, und die komischen grau-schwarzen Keckervoegel mit Punkfrisur. Ganz oben sitzen und kreisen die Raubvoegel: Falken, Weihen, Milane, Bussarde und Adler und ganz unten sitzen die rotkoepfigen Agamenmaennchen zum Angeben auf den Felsen. Pralles Leben, wo man wegen der Trockenheit Artenarmut vermutet. Der heftige Wind kreiert zahlreiche Staubteufel. Diese Windhosen erreichen ueber 100 m Hoehe und stellenweise treten in den Ebenen zwischen den kleineren Vulkankegeln ein halbes Dutzend gleichzeitig auf, wie in einem Katastrophenfilm. Es wird immer trockener, dann folgt ein reiner Wuestenabschnitt, fast vegetationslos, die Strecke ist derart sandig, dass der Lori kilometerlang die Piste verlaesst, Am Horizont ist das Marsabit-Bergmassiv aufgetaucht und dann blinken die Wellblechdaecher Lokologos. Es ist eine stille Freude wie heimkommen in mir. Im Hotel vertraute Gesichter, auch Suleiman erscheint, will an unsere Zeit anknuepfen, aber er hat mich in Nairobi zweimal versetzt und jetzt wartet auch Margret auf mich. Wie sagt ein arbabisches Sprichwort so schoen: “Einmal ist kein Mal, zweimal ist zehnmal.” Es gibt kalte Sodas aus dem solarbetriebenen Kuehlschrank (Aufkleber: “Es gibt keinen Aufzug in den Himmel, sie muessen die Treppe nehmen.”) und Hip-Hop aus Nairobi. An den Waenden haengen Poster der neuen, schwarzen Helden dieser jungen Maenner: Jamaika-Ragga-Star Jean-Paul und “50-Cent”, ein reich taetowierter, muskelbepackter Koloss, ein Rapper mit riesigem Eisenkreuz auf der Brust, der als “maechtiger Nigga” bezeichnet wird, und dessen Botschaft wie ein zynischer Hohn klingt: “Get rich or die trying.” (Werde reich oder sterbe beim Versuch es zu werden). Klingt wie eine Aufforderung zum Bankraub. Dieses Motto habe ich schon auf einem Matatu in Nairobi gelesen. Und Alicia Keys und Toni Braxton, schwarze Souldiven, sexeln in Lederunterwaesche. Man glaubt nicht, dass man mitten im Stammesgebiet einer der letzten traditionell lebenden Voelker Ostafrikas ist. Jemand hat nach Margret geschickt und ihr Onkel holt mich ab. Margrets Familie ist fuer hiesige Verhaeltnisse wohlhabend, der Onkel besitzt etwa 500 Kuehe. Durch die kakaofarbene Stein-Staubwueste folge ich dem 54-jaehrigen, der gut englisch spricht. Ueberall liegen graue Lavabrocken herum, schaumig anmutend oder glatt und sproede, explodiert es foermlich wenn man Feuer macht. Und da ist Margret, ruft mir freundlich “Karibu” (Willkommen) entgegen, eine waschechte, hellbraune Samburu, 29 Jahre alt, mit ihren beiden Soehnen Max und Job, steht sie vor ihrer neuen Huette, strahlt, und im Schatten ihrer runden Behausung trinke ich Tee und komme erstmal an. geschrieben am 8.9. in Marsabit
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