8/30/2004 Kenia / Lokologo
Der grosse Tag
Samburuhochzeit
(Harald) Ich erwache aus einem Albtraum, der eigentlich eine Erinnerung ist, schrecke hoch, schlafe wieder ein. Dann, in aller Fruehe, werde ich wunderbar sanft geweckt. Ein Summen ist in der Luft, leiser Gesang, so zart, dass ich erst fast wieder einschlafe, weil ich glaube zu traeumen, aber dann werden die hohen Stimmen deutlicher. Die Moran singen, es ist wie ein Trost! Als ich die im Wind flatternde Zeltbahn zur Seite schlage, die meinen Eingang verdeckt, sehe ich im ersten Licht mehrere praechtig geschmueckte Moran auf dem Weg hintereinander in Reihe stehen und dann langsam, feierlich in die Manyatta und schliesslich zur Huette der Braut gehen.Ihr Gesang ist kehlig, die Stimmen so hoch, dass sie brechen, da ist nichts rein und perfekt und doch hat dieser Gesang etwas Beruehrendes: Ahey-ja-aa, mmh,mmh,...Wenn man diese stolz aufgerichteten jungen Kerle sonst sieht, traut man ihnen diese Sanftheit garnicht zu. Die Wellblechtuere, die Margrets Huetteneingang verdeckt klappert, Max, der Juengste hustet, Job, der Aeltere ruft nach seiner Freundin Deressina nebenan. "Good Morning Harry" strahlt mich Margret an und es gibt heissen Nomadentee und Injera-Pfannkuchen mit Marmelade, die ich mir mitgebracht habe. Margret ist nervoes, denn Mary, die Braut, hat sie fuer ihren grossen Tag als Brautjungfer und Trauzeugin ausgewaehlt. Also muss Margret, die moderne Stadtbewohnerin mit Mobeltelefon und Mietwohnung im 1.OG und TV, traditionelle Kleidung und Schmuck anlegen und vorallem Ocker auftragen. Die Rendille, Samburu, Laikipia und Massai schmuecken sich zu festlichen Anlaessen mit einer roetlichen Paste aus Ockerpigment und Schafsfett. Margret ist die Farbe und deren Geruch sichtlich zuwider und es scheint ihr auch peinlich zu sein, vor mir SO zu erscheinen. Ich mache ihr Komplimente, sie sieht wirklich toll aus in ihrem orangen Wickelrock, mit schwerem blau-rotem Halsschmuck und Ohrringen- eine echte Samburu. Ich bin, kaum von meiner letzten Grippe genesen, erneut fiebrig. Hier schwirren wieder andere Mikroben umher, als in Nairobi und in jeder Huette ist jemand krank. Mary und Margret laden mich in die Brauthuette, dass Allerheiligste ein. Eigentlich wird die Braut an diesem Morgen beschnitten, aber Mary hat das seit Jahren hinter sich. Sie ist aufgeregt und nervoes, Margret sitzt breit lachend neben ihr auf den Ziegenfellen, Rauch fuellt die Huette. Mary traegt ein Stueck Ziegenfell am Ringfinger, der beim Schlachten gestern von der zarten Nase des Tieres abgeloest wurde. Sie hat mit diesem Fell-Ring die Nacht verbracht. Dann kommt der feierlichste Moment der tagelangen Hochzeitszeremonien. Der Braeutigam, sein Trauzeuge und sieben Moran-Freunde fuehren singend einen jungen Bullen, eine Kuh und ein Schaf zur Manyatta. Das sie sich langsam und von ausserhalb naehern, symbolisiert eine weite Reise, wie sie unter den Nomaden auf Brautschau ueblich war. Alles geschieht unter den wachsamen Augen der Aeltesten, die wie Dirigenten hier und dort ein Kommando geben, dem sich die Ausfuehrenden eifrig fuegen. Margret hat in letzter Minute gekniffen und so sind es zwei junge Maedchen die jetzt den Braeutigam und seine Begleiter aus der gespielten Ferne willkommen heissen und dem Hochzeiter Sandalen geben, denn er ist barfuss erschienen. Das andere Maedchen tauscht den Hirtenstab aus, den er haelt und segnet mit Milch diesen und die Schuhe, eigentlich Autoreifensandalen, wie sie alle Krieger tragen. Dann zieht die Prozession in die Manyatta ein und gibt dem Brautvater die Brautgaben. Indem der Vater diese Geschenke annimmt, ist die Hochzeit vollzogen. Nun wird das wertvollste Tier der Nomaden geopfert, geschlachtet: der Bulle- in diesem Fall ein junges Tier von ca. 150 kg. Man wirft das Tier seitlich zu Boden, mehrere Maenner halten die Laeufe, Schwanz und Kopf, knien auf den Flanken, dass Tier rollt vor Angst die Augen. Einer der Aelteren sticht dem Tier mit einem Schwert, der Lalemm (bei den Massai Simbe genannt) in den Nacken, man hoert das Reissen des Fels, aber zu meinem Erstaunen ist das Tier nicht sofort tot. "Was ist los?" frage ich einen Onkel, der des Englischen maechtig ist. "Wir haben jetzt auch Muslime unter uns, die das Fleisch nur essen koennen, wenn das Tier geschaechtet wird", erklaert der. Anstatt also einen Sekundentod beim gnadenvollen Stich in den Spinalnerv stirbt das Tier nun durch das Durchschneiden der Kehle ueber fuenf Minuten. Das Blut sprudelt in einen Blechtopf, wird sogleich umgeruehrt, um das Gerinnsel zu binden und den fluessigen Rest benutzen zu koennen. Nach ein paar Minuten hoert das Blubbern und Pfeifen aus der Luftroehre auf, ein letztes Strampeln, dann ists vorbei. Sofort beginnen zwei Aelteste, erfahrene Schlachter, mit dem Abziehen der Haut, zerlegen anderthalb Stunden den Kadaver. Mir waere es nahezu unmoeglich die Haut abzuziehen, Gelenke zu durchtrennen, Organe an den richtigen Stellen abzuschneiden und den rieigen Magen und Darm etc. sauber auszuloesen. Letzteres ueberlaesst man, den unappetitlichsten Teil, den Frauen. Ohne weitere Reinigung werden die Organe, mit Dung bespritzt, einfach ins die heisse Asche und Glut eines Feuers geworfen und sofort verspeist. Beim Verteilen gibt es fast Streit, weil das gerechte Verteilen nicht so ohne weiteres moeglich ist. Wer ausserhalb der Manyatta wohnt, stopft die Zuteilungen in kleine Plastikbeutel. Dann verteilt Margrets Onkel Zucker und Unga, das Mehl zum Zubereiten von Ugali. Dabei gibt es richtig Streit, alles umlagert die Strauchuette wie eine Wagenburg, schaut argwoehnisch zu, ob alles gerecht zugeht. Aber ich habe mehr Kinder! Und ich ernaehre noch eine Grossmutter! Es kommt fast zur Pruegelei. Margret sitzt den ganzen Tag neben der Braut, die ihre elterliche Huette nicht verlassen darf, so schreibt es die Tradition vor. "Harry", ruft sie mich hinein. Da sitzt sie ungluecklich, un schaut an ihren mit fettigem Ocker gefaerbten Armen herab, ruempft die Nase. Den Eingang der Huette hat man mit zwei gruenen Zweigen geschmueckt, die Fruchtbarkeit symbolisieren. Die verheirateten Frauen besingen diese Zweige, halten sich daran fest, vielleicht um ihre eigene Fruchtbarkeit zu uebertragen. Sie klatschen, sie tanzen, sie lachen, vergessen der Streit um den Zucker. Ich bin richtig krank und muss, trotz meiner zugeteilten Aufgabe als Hof-Fotograf, die Feier verlassen und mich in meiner Huette hinlegen. Hier bin ich von meiner gesamten habe umgeben, meinen Besitztuemern seit 2 Jahren, jetzt in einer Strauchuette, Zweigiglo, Asthaus. Am Abend singen die Moran auf dem Fussballplatz, der mir noch von meiner ersten Hochzeit im Maerz her bekannt ist. Es sind 12 Krieger und unbeschnittene Knaben, die, too herausgeputzt, singen, klatschen und springen. Diese akrobatischen Spruenge sind das bekannteste Elemant dieser Taenze, die Touristen kennen sie nur durch die Massai-Moran. Die Knaben sind etwas verschaemt, weil durch ihre Haartracht und ihren Schmuck jeder sehen kann, dass sie noch nicht beschnitten und keine Krieger sind. Stark, muskuloes, schlank sind sie, fast Maenner schon. Sie tragen die Hauptlast des Viehhuetens, dass ist, neben der Beschneidung, ihre eigentliche Initation. Ein paar Maedchen tanzen, singen mit, mit hohen Stimmen preisen sie die Krieger, stacheln sie damit auf. Diese wiederum besingen neben dem Brautpaar vorallem ihr Vieh und ihren groessten Leitbullen, verdeckte Werbung koennte man das nennen. Der Zauber, den der Tanz im Maerz hatte, stellt sich nicht mehr ein, ist nicht zurueck zu holen. Eine Wiederholung eines perfekten Moments kann selten gelingen, hat stets etwas Trauriges um das Verflossene, traegt Vergeblichkeit in sich. Das versucht man am besten erst garnicht. "Wenn du mich wirklich liebst, dann- versprich es mir!- kommst du nie mehr hierher zu mir zurueck!" Wo habe ich das nur gelesen? geschrieben am 23.9. in Nanyuki
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