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Reisetagebuch

9/1/2004   Kenia / Lokologo

De-Re, die Beschneiderin

(Teil2) Alltag in der Manyatta

(Harald) Als letzten Eingriff in die Architektur habe ich neben einem der drei Zugaenge der Manyatta, nahe an meiner Huette, eine Steinrotunde von etwa 1 Meter Durchmesser angelegt, in der die Abfaelle verbrannt werden koennen. Es gibt hier natuerlich keine Muellabfuhr und auch keinen Sammelplatz fuer Abfaelle. Fleischreste verspeisen die Hunde, nur die grossen Knochen und Zaehne liegen ueberall verstreut herum. Alles Pflanzliche verzehren die Ziegen, Schafe und Huehner, Schaben und Ameisen. Aber die Plastiktueten, alten Badelatschen u.ae. liegen ueberall herum. Man schmeisst alles einfach aus der Huette, auf die Wege, typisch Wandervolk halt. Solange es sich um organische Dinge handelte, wie z.B. Sisaltaschen, Ledersandalen u.ae., war das ja kein Problem. Aber mit veraendertem Material ist keine veraenderte Verhaltensweise einhergegangen und in den Dornenbueschen haengen jetzt schwarze und gruene Tueten zu Hauf.

Ich habe fuer die ca. 20 Kinder der Manyatta Bonbons gekauft und verspreche sie, wenn alle Tueten eingesammelt sind, beteilige mich an der Aktion. Dann sammle ich alle Abfaelle im Bereich unserer Huetten und um den Brennplatz herum ein und entzuende ein Feuer. Margrets uralte Grossmutter hilft mir, ich bin ganz geruehrt, auch die Kinder machen mit und schauen fasziniert zu, wie der Abfallberg verschwindet.

Eine Toilette gibt es in keiner der Manyattas. Man hockt sich, meist nachts, irgendwo hin, die ganz Alten sogar innerhalb der Manyatta. Die Sonne trocknet die Exkremente binnen Stunden, sie zerfallen und werden verweht oder von Insekten gefressen.

Um die Hygiene ist es hier schlecht bestellt. Da Wasser muehsam herangeschafft werden muss, gibt es hier keine Gewohnheit, Wasser zum Reinigen nach der Entleerung zu benutzen, wie das sonst in Afrika ueblich ist. Die Kinder fahren sich mit einem Stein kurz ueber den Allerwertesten- das wars. Die staendigen Rotznasen werden von den Muettern garnicht, oder mit dem Hemdchen oder dem Tragetuch abgewischt. Man schnaubt sich in die hohle Hand und wischt diese an der Huettenwand, Baumstaemmen oder Steinen ab. Fuer Papiertaschentuecher hat keiner Geld.

Die fuer mich unangenehmste Angewohnheit ist das stakkatoartige Spucken. Wenn die Moran Tabak kauen, was sie fast ununterbrochen tun, dann spucken sie- das ist keine Uebertreibung- im 10-Sekunden-Takt. Und das tun sie ueberall, selbst in den Huetten, zwischen die Felle, wo ein Stueck Erde hervorschaut. Da landet auch schon mal ein Strahl Tabaksaft auf meinem Fuss oder der Wind weht mir etwas Feuchtes ins Gesicht.

Margret bemueht sich sehr um Gastfreundschaft. Sie besteht darauf, meine Waesche zu waschen, fuer mich zu kochen, sie organisiert das Wasser- und Feuerholzholen. Isiolos Tochter Deressina spuelt, bringt Tee.

De-Re, die Beschneiderin, bringt mir ihr altes Messer, mein erster von vielen Einkaeufen. Sie benutzt heute, dank der Aids-Aufklaerungskampanien, nur noch Rasierklingen, wuerde aber lieber weiter mit dem Messer arbeiten, weil das besser funktioniere, sagt sie.

Bei allem Wohlwollen fuer Margret merke ich ihr an, was dieses Messer fuer De-Re bedeutet. Ihre Grossmutter hat es ihrer Mutter gegeben und die hat es, samt Profession, an ihre Tochter De-Re weitergereicht.

So hat dieses Messer wohl sicher ueber 60 Jahre lang Klitoren und Schamlippen abgeschnitten, hunderte Male.

Ich frage De-Re, was sie empfindet, wenn sie beschneidet. Sie antwortet indirekt: "Es gibt eine uralte Tradition, es muss gemacht werden. Frueher sind viele Maedchen gestorben, weil die Beschneiderinnen nicht genau wussten, wie sie schneiden muessen. Dann ist es zu Schwierigkeiten gekommen. Heute schneide ich nur noch die Klitoris ab."

Ich bin mir da nicht so sicher, ob sie dem Musungu die Wahrheit sagt, oder nur, was sie glaubt, dass ich hoeren moechte oder sollte. Margret wurde jedenfalls vor 10 Jahren noch "grosszuegig" beschnitten, wie sie sagt.

In Kenia ist die Beschneidung bei Maedchen seit ein paar Jahren verboten, wird aber vor allem im nomadischen Norden weiterhin praktiziert. Auch die Fruehverheiratung, also Zwangsheiraten unter 18 Jahren (dem hiesigen gesetzlichen Erwachsenenalter), sind verboten, aber daran haelt sich hier kaum jemand.

Giguyu erscheint, fragt um Geld, ich gebe ihr 50 Schillingi oder Ginnis, wie die Samburu und Rendille sagen. Sie und De-Re mag ich am liebsten und sie kommen mehrmals taeglich vorbei. Haette man mir vor zwei Jahren gesagt, dass ich mich ausgerechnet mit einer 70-jaehrigen Beschneiderin anfreunden wuerde, ich haette wohl nur gelacht.

Ich fuehle mich unter den Leuten wohl, aufgenommen, willkommen.

Mein Blick auf das Betteln hat sich durch die Gespraeche mit Margret gewandelt, sie gibt und gibt ihren Verwandten. Davon werden ja meist Lebensmittel gekauft. Natuerlich gibt auch hier Trunkenbolde, Alkohol ist ein grosses Problem, entstanden durch staendige Verfuegbarkeit.

Margret ist eine ungewoehnliche Frau. Als einzige weibliche Technikerin bei der Luftwaffe setzt sie Schleudersitze instand. Sollte allerdings mal ein von ihr betreuter Sitz nicht funktionieren, sei sie automatisch aus der Armee raus, sagt sie.

Ihr Vater war Ende 60, als er sie zeugte, er hatte vier Ehefrauen, Margret kennt nicht mal alle Halbbrueder, die sie hat. Job, 9 Jahre alt, Margrets erster Sohn, stammt von einem Samburu, der alsbald das Trinken anfing. Max, der Einjaehrige, ist Sohn eines Massai, von dem sich Margret nach nur drei Monaten Ehe trennte. Sie lebt halt nicht mehr in der Tradition, diese Geschichte hoert sich eher modern an.

Margret plant ein Haus in Lokolgo zu bauen, zeigt mir die Bauplaene und erzaehlt mir von gluecklichen Ehen zwischen Samburufrauen und Weissen. Ich grinse sie an: was will der Dichter mir damit sagen, mmh? Sie lacht laut, verlegen. Ich erzaehle ihr meine Geschichte, von der Reise und allem und sie nickt: "Mach deine Reise, Harry. Und erzaehl den Leuten von uns und dann komm irgendwann zurueck. Auch weiter im Sueden Afrikas gibt es viel Sonne."

Jemand eilt zu uns, ich soll schnell kommen, ein Mann wurde von einem Skorpion gestochen. Ich schnappe mir meine Giftpumpe und laufe mit der Taschenlampe hinueber. Der Mann schneidet gerade mit einer Rasierklinge die Wunde auf. Ich erklaere ihm kurz, was ich vorhabe, er nickt und ich setze die Pumpe an. Binnen einer Minute hat sich hellrotes Blut im Reservoir gesammelt, nach 2 Minuten stoppt die Blutung. Ich wasche die Pumpe aus, das wars. Keine Desinfektion, kein Wundverband, weiterlaufen.

Einer der Knaben wurde dieser Tage von einer Schlange in den Fuss gebissen, humpelt stark. Der Fuss ist heiss, geschwollen, in Deutschland ein Fall fuer mehrere Tage Krankenhaus. Hier huetet er weiter Ziegen.

Ein Maedchen bekommt wenig spaeter einen Stein an den Hinterkopf geworfen, das Blut stroemt ueber ihren Nacken, das Gesicht. Sie ist erst 6 Jahre alt, traegt aber den halben Tag ihren kleinen Bruder in einem Tragetuch auf dem Ruecken.

Jetzt wickelt sie das Kind aus, ich nehme schnell meine baumwollene Fliegenmaske zur Hand und presse den Ballen fest auf die Wunde. In der Annahme, das Maedchen sei geschockt angesichts des ganzen Blutes, bitte ich die Mutter, sie schnell zu reinigen. Wie gross mein Erstaunen, als die Kleine sich sofort nach Gerinnung der Wunde dem weinenden Brder zuwendet, ihn troestet und ihn sich wieder auf den Ruecken schnallt.

Die Mutter will ihr die Kopfhaut mit einer Rasierklinge scheren und einen zerkauten Baumharz auftragen, aber die geprellte, geschwollene Wunde wuede wieder ausreissen und ich bitte die Frau davon abzusehen. Das Maedchen jedoch hat ungeruehrt den Kopf sogleich hingehalten.

Es war ein ereignisreicher Tag, ich bin voellig erledigt am Abend, auch, weil Husten und Kopfschmerzen an mir zehren.

Ein Samburu-Sprichwort sagt: Kedol nkerei neitu edol menye. - Ein Kind wird sehen, was sein Vater nie sah. Ich muss da an Louis Armstrongs "What a wonderfull world" denken.

geschrieben am 24.9. in Nanyuki


 


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