9/3/2004 Kenia / Marsabit
Merayon-Mira-Esser
Aufenthalt in den Bergen
(Harald) 2.9. Margrets Urlaub geht zu Ende, aber sie moechte noch eine Woche mit mir in Lokologo verbringen und dafuer muss sie eigentlich nur bei ihrer Einheit anrufen. Aber das naechste Telefon ist ca. 50 km entfernt in Marsabit. Und da es fuer mich Zeit wird, ein paar Tagebucheintraege zu schreiben, machen wir uns in einem kleinen Lasttaxi auf den Weg in die Berge. Auf dem Weg zur Strasse findet weider ein Grussmarathon statt. Hier ein Zuruf, dort ein kurzes Schwaetzchen, Haendeschuetteln, Vorstellen, stets hoeflich, lachend, Neuigkeiten weden ausgetauscht. So dauert es eine halbe Stunde, bis wir die Strasse erreichen. Das Matatu ist mit drei Schafen und einer Ziege, sowie einem Haufen Wasserkanistern beladen, weshalb alles stehen oder auf den duennen Stangen ueber der Ladeflaeche sizten muss. Es sind rund 50 km bis Marsabit, am hoechsten Punkt der fast runden Bergformation. Die kleine Stadt ist Sitz der Districtverwaltung und hat neben einem Flughafen auch eine Poststation, wo ich Mails lesen kann. Die Verbindung ist jedoch derart schlecht, dass es unmoeglich ist Eingaben zu machen. Ich suche daher einen Computershop auf. Sarah, die das kleine Restaurant betrieb, hat den Laden wohl inzwischen verkauft. Waehrend Merayon vergeblich versucht, ihre Kaserne zu erreichen, stelle ich fest, dass meine Digitalkamera endgueltig den Geist aufgegeben hat. Der Staub Lokologos hat die Linse blockiert und hier gibt es keinen Reparaturservice. Das wars erstmal mit Fotografieren, jedenfalls mindestens, bis ich wieder in Nairobi bin. Wir quartieren uns in der Jey-Jey-Lodge, dem besten Haus am Platze fuer 4 EU ein. Der Besitzer ist ein Gabbra und Parlamentsabgeordneter und geniesst offensichtlich Kultstatus, denn sein Bild und Zeitungsausschnitte ihn betreffend haengen ueberall. Wir kaufen Perlen und Schukas, die dicken, roten Decken ein. Am Abend will eine halbe Fussballmannschaft von Jungs, die heute gegen Marsabit gespielt haben (Staub ohne Ende, sehen aus wie rotbraun gepudert) bei Merayon duschen- alles Verwandte natuerlich. Ich ziehe mich da gerne zurueck. Ein Samburusprichwort sagt: "Mirepaa ltung ani lino eitu iroroki." (Gehe nicht vorbei ohne Gruesse.) Meint: Du musst andere gruessen, weil sie dir helfen koennen und du ihnen. 3.9. Ich schreibe weiter im Computershop und versuche zusammen mit einem Mann der Radios repariert, die Kamera zu oeffnen. Nach drei Stunden ist uns das gelungen, aber wir koennen die Linse nicht freilegen und beim Zusammenbauen bleiben zwei Schrauben uebrig und in der Kamera rappelt es. Da waren echte Fachleute am Werk, gelernt ist eben gelernt. Fotos kann ich jetzt erstmal getrost vergessen. Ich gehe mit Merayon Einkaufen, wobei es vornehmlich um bunte Perlen geht, die von den Frauen in Lokologo fuer mich zu Schmuck verarbeitet werden sollen. Ich kaufe einen Kikoi, ein Umbindetuch, dass von beiden Gechlechtern statt Hosen getragen wird, sowie bunte Tuecher, wie sie die Rendille- und Samburufrauen verwenden. Das alles soll Grundstock fuer eine Ausstellung in Deutschland werden. Auch in Marsabit wimmelt es von Verwandten und Freunden Merayons, man kommt selbst in Unterhaltungen nicht recht voran, wird staendig unterbrochen und ich muss wiederholt das Namenquiz spielen: "Die hast du schon getroffen und den kennst du doch auch schon..." "Klar, jetzt wo du es sagst Merayon, natuerlich, kam mir gleich bekannt vor...aeaeh- wer bitte ist das?" Oder: "Hi Peter, ich dachte du waerst in Nairobi?" "Harry, das ist nicht Peter, sondern sein Bruder!" Oder: "Oh, my name is Harry, nice to meet you." "Aber Harry, meine Cousine haben wir doch vor 20 Minuten schon im Laden begruesst!" Himmel, wie soll ich mir dieses Telefonbuch von Gesichtern und Namen merken? Merayon erreicht den zustaendigen Offizier ihrer Einheit und bekommt eine zusaetzliche Woche Urlaub, so dass meine fluessige Kommunikation mit den Leuten in der Manyatta weiterhin gesichert ist. In Marsabit leben vor allem Borana, Gabbra, Somali und Rendille. Diese Staemme sind Kuschiten, kommen urspruenglich aus dem Ogaden(Aethiopien) oder Somalia und sind ueberwiegend moslemischen Glaubens, nur die Rendille, die sich stark mit den Samburus vermischt haben, sind weitgehend Christen. Trotz unterschiedlicher Dialekte koennen sich die Angehoerigen dieser Staemme verstaendigen, waehrend die Samburus, (Niloten und Massaiverwandte) eine voellig andere Sprache sprechen. Wie alle Nomaden froenen die Leute hier einem seltsamen Hobby: dem Spucken. Eine unappetitliche Sache, es wird gerotzt was das Zeug haelt. Alt und Jung, Maennlein und Weiblein tun es, verbreiten ihren Speichel ueberall. Auf Treppen, in Hotelgaengen, im Zimmer, in den Duschen, wo man geht und steht wird geraeuschvoll die Nase hochgezogen, dann folgt ein ebenso geraeuschvolles "Cchchcht" und vor aller Augen, selbst in der dichtesten Menge, wird gespuckt. Der Genuss von Kautabak ist ein weiterer Quell scheinbar nie versiegender Sputumstroeme. Mit dick gefuellten Wangen spritzen vorallem die Maenner dicke, braune Strahlen um sich herum. Das Zielen haben sie zwar zur Perfektion getrieben, (wobei die traditionell ausgeschlagenen unteren Schneidezaehne eine feine Luecke zu diesem Zweck lassen), aber trotzdem kann es vorkommen, dass man was auf die Sandale bekommt. Das Spucken hat nichts mit dem martialischen Gehabe unserer Halbwuechsigen in Deutschland zu tun, sondern ist einfach eine Angewohnheit, was auch fuer geraeuschvolles Ruelpsen und Gaehnen gilt. Gewoehnungsbeduerftig auch die oeffentliche Zahnpflege. Da stehen oft Leute vor einem im Laden, an der Ladentheke oder Rezeption, haben einen 15 cm langen Stock mit fasrigem Ende im Mund und reiben damit ihre Zaehne blank. Niemand scheint Anstoss an solcher Bedienung zu nehmen, ebensowenig, wie am In-der-Nase-Bohren. Ausfuehrlich vergraben die Leute ihre Finger tief im Vorderhirn, um den zugegebenermassen reichlichen Dreck der Strasse herauszuholen. Dabei wird sich unterhalten, nicht etwa weggedreht. Da so gut wie niemand ein Taschentuch hat, wird nicht Wegschnippbares an Mauern, Steinen und Balken abgestreift. Zahnstocher und Kaemme stecken sich viele mangels Taschen einfach ins, zugegebenermassen dafuer hervorragend geeignete Kraushaar. Da steht dann auch schon mal einer mit sechs Zahnstochern ueber der Stirn vor einem und ich muss mich beherrschen, nicht loszuprusten. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mir erzaehlte, dass es bis in die 60er Jahre hinein noch Verbotschilder in Strassenbahnen gab: "Nicht auf den Boden spucken." So weit ist man hier noch nicht. Nach ueber 10 Stunden Schreibens am Computer steht fest, dass beide Computershops den gleichen Virus haben und ein Ueberspielen der Daten per Floppy nicht funktioniert. Alles umsonst, herzlichen Glueckwunsch! Frust total. Es ist schon dunkel, als ich auf einem Lori zurueckfahre. Die Ladeflaeche unter mir ist voller Kuehe, alles sitzt auf den 5 cm dicken Stangen. Da ueber der Fahrerkabine kein Platz mehr ist, sitze ich auf einem Stueck Plane ueber der Hinterachse. Es wird die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Der LKW tanzt, huepft, macht donnerndse Kapriolen. Die Schlaege werfen mich fast aus 5 Meter Hoehe herunter, ich stehe sekundenlang Todesaengste aus, weil ich das Gefuehl habe, mich nicht mehr festhalten zu koennen. Die Nieren beginnen zu schmerzen, die Zaehne schlagen aufeinander, so dass ich meine Zunge nach hinten rolle, meine Haende verkrampfen nach einer halben Stunde Festkrallens. Dann platzt ein Reifen, Pause. Weiterfahrt, Ankunft in voelliger Finsterniss. Ohne Merayon wuerde ich die Manyatta garnicht finden. Max, der Saeugling, will erstmal zur Brust genommen werden, Isiolo schenke ich eine Panga, die ich fuer sie gekauft habe, worueber sie sich sichtlich freut. Das riesige Hackmesser hat nur 1 EU gekostet, waehrend mich wundert, wieviel Geld die Rendille-Samburu fuer ihren Perlenschmuck ausgeben, wie ich beim Einkauf feststellen konnte. Ein Samburusprichwort sagt: "Meatai logol openy." (Niemand ist alleine faehig/ unabhaengig.) geschrieben am 1.10. in Nairobi
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