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Reisetagebuch

9/5/2004   Kenia / Lokologo

Kolpoi-ja Kutukai

Eine alte Lady / Tanz mit den Moran

(Harald) Orangerote Flecken erscheinen auf den Zeltbahnen in meiner Huette, die die Sonne durch die Luecken zwischen den Papakartonabdeckungen zaubert. Mein Zweiglattenrost knarzt, als ich mich aufsetze. Die Hunde bellen, eine junge Ziege knabbert an den Rindenstreifen, mit denen die Aeste meiner Huette gebunden sind, nebenan unterhalten sich zwei Aeltere.

Ich bin in Lokologo, Nordkenia, in meinem ersten eigenen Haeuschen, sehr bescheiden, provisorisch, geradezu transportabel das Ganze, aber mein. ich bin unter den Locals, Natives, Eingeborenen und doch irgendwie zu Hause. Ich habe das Gefuehl hier lange bleiben und gluecklich sein zu koennen. (Nur sehr, sehr wenige Dinge wuerden mir vielleicht auf Dauer fehlen, wie meine Freunde und Verwandten, das Kino, Eiscrem, Musik, Disko, Buecher, Pizza, ein Auto, Fernsehen, Nachrichten, Museum, Oper, Tageszeitungen, Deutsche als Gespraechspartner und andere Nebensaechlichkeiten).

Mein erster Besuch des Tages sitzt schon auf den Besuchssteinen vor meiner Huette. Einer von 10 Bruedern von drei Nebenfrauen von Merayons Vater kommt mit einem Freund. (Der Vater wurde 92 Jahre alt und ist vor vier Jahren gestorben).

Der junge Mann traegt westliche Kleidung und spricht viel vom Change, dem Wechsel, den es jetzt bald hier geben soll, es geht ihm nicht schnell genug. Weil er zu wissen glaubt, dass dieser Wandel sowieso und unvermeidlich kommt, haelt er ihn fuer richtig und gut. ich sage ihm, dass Wandel ansich nicht unbedingt gut ist und auch Bestaendigkeit fuer Lokologo Wert hat. Der Junge will eine Teerstrasse von Isiolo bis nach Moyale, Strom, fliessendes Wasser, TV und Autos, mehr Schulen- halt Zivilisation. Wer dann noch im Busch Kuehe hueten wuerde, frage ich ihn. Ob er nicht wisse, wie es den Massai ergangen sei, die im Sueden alle Vorzuege der Zivilisation fuer ihre Moran und Aeltesten schon seit Jahrzehnten geniessen: unpassierbare Farmen, organisierter Rinderdiebstahl, Polizeikorruption, bestechliche Beamte, ueberfahrene Tiere und Kinder, Konzentration des Handels in Hand der Inder und Kikuyu, Meru, Kamba und Embu, Verbrechen ueberall, Slums, das Ende aller Traditionen, Aelteste als Wachmaenner, Moran als Touristenclou, Schnueffelkinder... Ob er noch nichts davon gesehen habe? Hier leben die jungen Maenner noch von den Herden, hier haben sie eine Aufgabe, Stolz, Selbststaendigkeit. Hier gibt es Familienzusammenhalt, Nachbarschaft, einen Clan, Hilfe im Alter, Alt und Jung sind zusammen. Was wird in den Grosstaedten denn davon uebrigbleiben?

Der Junge hat sich von mir wohl eine andere Stellungnahme erhofft, jedenfalls ist er verlegen und geht bald.

Ich erfreue mich heute an Fotos, die ich von Merayons Grossmutter Kolpoi-Ja mache. Die alte Lady ist 80, hoert schlecht, lacht aber gerne und viel, ist immer gut gelaunt und freundlich.

Ein Samaburusprichwort sagt: "Naamut nkischon natii."(Gut ist ein Leben das lange waehrt.)

Dann fotografiere ich, wie Isiolo ihrem Baby die Kopfhaut mit einer Rasierklinge schert. Das Scheren verhindert allerdings nicht den ueberall zu beobachtenden Befall durch Pilzflechten.

Mein Schaedel brummt, die Erkaeltung will nicht weichen. Wir gehen zum Schmied, der seine Werkstatt in einer runden Laubhuette ueber einem rund 80 cm tiefen Loch hat. Ich moechte mir Speere machen lassen und so zeigt er mir verschiedene Modelle von Spitzen.

"Dieser Speer mit der langen Klinge war frueher beliebt, heute wollen die Moran kurze Spitzen haben, ohne Widerhaken." Ich bestelle beide Varianten.

Heute finden gleich zwei Hochzeiten im Ort statt, u.a. heiratet ein Gabbra aus North Horr eine hiesige Rendillefrau. Durch das Zusammenlegen der Hochzeiten werden die Feiern billiger und viele Leute kommen, es ist richtig Stimmung im Dorf.

Am Sportplatz tanzen am Abend die Moran, mehr als 30, 40 Krieger sind es, praechtig bemalt und herausgeputzt mit weissen Wollsocken, Ockermalereien im Gesicht, Schultern, Nacken, Haare mit Ocker bemalt. Viele Maedchen tanzen, singen mit ihren hohen kehligen Stimmen, dass heizt die Jungs richtig an, einige preschen vor, um die Herausforderung gebuehrend zu quittieren, kreischend, lachend rennen die Maedchen davon, um gleich das Spiel wieder aufzunehmen. Einige haben sogar echte Lederroecke angezogen, die mit Kaurimuscheln und Ocker verziert sind, an den Fussgelenken klingeln kleine Schellen.

Das Fernsehen aus Marsabit ist da, ein halbes Dutzend uebergewichtige Kikuyus wie man unschwer sehen kann, sie wirken hier genauso deplaziert wie ich und stuerzen sich, als ich mit den Moran tanze, gleich auf mich, fuchteln mit der grossen Kamera vor mir herum, ein Muzungu, ein Musungu! Die Moran ignorieren denn Rummel, wer neben mir tanzt ist eher verlegen. Ich bin so im Tanz gefangen, dass ich vergesse, diese einmaligen Aufnahmen von den Fernsehleuten zu erbitten.

Es ist ein Fest fuer die Augen, eine Farbenpracht und tolle Stimmung. Bunte Kopftuecher bei den Gabbras, Umhaenge, Roecke, goldener (oder goldfarbener) Schmuck, riesige bunte Kopftuecher, glaenzende Stoffe.

Zwischendurch gelingen mir gute Aufnahmen, weil alle so berauscht sind, dass sie meine Kamera nicht bemerken. Trotzdem bedauere ich, dass ich keine gute Ausruestung habe. Was waere da noch rauszuholen!

Die Moran und ich fassen uns an den Haenden, umklammern unsere Hueften, fassen in die Decken und Beruehrung ist da, viel Naehe, ein Gefuehl von Gemeinschaft, Zusammenhalt.

Nach einer Stunde Tanz muss ich abbrechen, zu heftig geht das Hochspringen, Vorrucken des Kopfes, das Stampfen in die Knochen und Muskulatur.

Spaeter hoere ich, dass die Fernsehleute einen Aeltesten ueberfahren haben, der sich hinter ihrem Auto zu einem Nickerchen hingelegt hatte. Der Mann ist tot.

Dann sitze ich im goldenen Licht, die rote Schuka um die Schultern, auf meinem Lieblingsstein rechts vom Eingang meiner Hutte, schreibe Tagebuch, esse Reis mit Zucker und selbstgestampftem Zimt und denke an Syrien, Israel und Aegypten, an Kari und schoene Stunden.

Ein Samburusprichwort sagt: "Naiting ie makari." (Die Wahrheit kommt heraus.)

Aber auch: "Meata ntorno nemeata nkaji." (Alles Boese hat eine Ursache.)

geschrieben am 1.10. in Nairobi


 


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