9/6/2004 Kenia / Lokologo
Ich toete
Das Willkommensgeschenk
(Harald) Erste Amtshandlung am Morgen: Schaf schlachten. "Nur nicht auf nuechternen Magen", denke ich noch. Das Schaf ist ein Willkommengeschenk fuer Merayon, wohl auch, weil sie soviel fuer ihre Leute tut. Als ich mit mit meinem Messer vor Isiolos Huette gehe, liegt das Tier schon auf der Seite, zwei Maenner halten das Tier an Beinen und Kopf, ich ziehe die Kehlfalte des Tieres mit der Rechten straff und ziehe mein Meroe-Messer mit der Linken durch die Fettschicht, dann ein zweiter Schnitt, energisch, rasch, durch die Kehle und Luftroehre, dann, zur Sicherheit, ein dritter Zug bis zur Wirbelsaeule. Das Blut wird in einem Blechtopf aufgefangen, umgeruehrt, der Hund des Onkels wartet schon auf das Geronnene, dass wie Wackelpudding aussieht und auf die Lungen. Das Tier braucht fast 5 Minuten zum Sterben, sein Blut spritzt auf meinen Aermel, meine linke Hand ist blutverschmiert. Die Augen des Tieres sind jetzt glasig, truebe. Ich empfinde kein Bedauern, kein Entsetzen, eigentlich nichts. Ich esse Fleisch seitdem ich denken kann: Aufschnitt, Steaks, Wuerste von Rindern, Huehnern, frueher von Schweinen, von Wildbret und auch Lammfleisch, wie dieses hier. Aber noch nie habe ich selbst getoetet. Aber wer Fleisch isst, sollte auch in der Lage sein, selbst zu toeten. Fuer die Nomaden ist das Schlachten einerseits etwas Besonderes, Feierliches, denn es ist ihr Geld, ihr Besitz den sie da dezimieren. Andererseits ist das Toeten des Viehs Alltag und der Anblick von Blut und Innereien ist selbst den Juengsten vertraut. Dann beginne ich mit Merayons Onkel zusammen die Haut abzuziehen und brauche nur drei Minuten, um mir das Messer durch den Finger zu ziehen (Wie war noch mein zweiter Vorname gleich?). Trotzdem mache ich weiter, nachdem ich ein Pflaster angelegt habe. Abhaeuten, Gelenke und Rippen brechen, Organe freilegen, ausschneiden. Fuer die Rendille ist das Schwanzfett wertvoll, das Herz, die Innereien ueberhaupt, mir geht es mehr ums Magere aus Keulen und Ruecken. Spaeter mache ich Fotos beim Schmied und springe dabei ueber sein Feuer, was, wie ich spaeter erfahre, ein Menetekel ist. Die Schmiede bilden bei allen Nomaden einen eigenen Unter-Clan. Bei den Samburus gibt es zwei Clans: Den des "Schwarzen Viehs" und den des "Weissen", wozu jeweils vier Unterclans gehoeren. Die Familie meiner Manyatta gehoert zum "Schwarzen Vieh" (was nichts mit den tatsaechlichen Farben ihres Viehs zu tun hat): Lmasula- und Lpiskischu-Unterclan sind hier gemischt. Die Schmiede sind der neunte Unterclan: "Ntolin" (heisst: Axt). Wie man das auch aus Europa kennt, umwabert die Schmiede etwas Geheimnisvolles. Auch in Aethiopien werden die Schmiede aus den Doerfern verbannt, hier in Lokologo haendelt man das lockerer. Die Schmiede gehen mit Feuer um, sie transformieren Metalle in Waffen, die toeten. Beim Fertigen weiss der Schmied: dieser Speer wird toeten, dieses Schwert, dieses Messer wird erstechen. Das Unbegreifliche der Metallerzeugung aus Erden wird heute natuerlich nicht mehr praktiziert, stattdessen werden alte Metallreste umgearbeitet. Ich frage den alten, einaeugigen Mann, der meine Hand nach dem Schuetteln kuesst, wie es sich mit der den Schmieden zugeschriebenen Faehigkeit verhalte Flueche auszusprechen. Der Schmied sagt: Ja, er koenne einen Fluch verhaengen, z.B., wenn ihn jemand bestehle, oder ihm Geld schuldig bliebe. Aber das gelte nur fuer seine eigenen Angelegenheiten; fuer Dritte, im Auftrag, koenne er das nicht. Den Verfluchten stoesse dann unweigerlich ein Unglueck zu, wenn er den Fluch nicht aufhoebe, indem er z.B. das Diebesgut zurueckbraechte. Fuer einen Bestohlenen oder Betrogenen muss es angesichts sonstiger Ohnmacht sehr troestlich sein zu wissen, dass der Betrueger seine Strafe bekommen wird. Solche Flueche koennen bei den Samburus die Laibons verhaengen, von denen es nur noch einen oder zwei unter den Samburus gibt. Das sind Magier, die in die Zukunft sehen koennen, die Regen voraussagen und Segen und Fluch aussprechen. Da ich ueber das Feuer gesprungen bin (ist das nicht auch ein alter Hochzeitsbrauch in Europa gewsen, der Glueck bringen soll?), muesse ich eine Ziege schlachten, weil mir sonst etwas an den Beinen zustosse. Aber vielleicht helfe mir ja, dass ich nicht daran glaube, meint der Schmied. Ennok, ein Verwandter (Cousin, Neffe??) Merayons erzaehlt mir in seiner etwas modernisierten, hellen Huette mit Stehhoehe von den letzten Ueberfaellen auf das Vieh der Hirten um Lokologo. Es ist erst 2 Jahre her, dass dies zuletzt geschah. Hier seien die Borana und die Somali ruehrig, alte Feinde. Mit den Boranas habe man mittels deren Brueder, den Gabbras, die in Lokologo wohnen, jetzt schon ein paar Jahre Ruhe. Die Moran fuerchten die Borana wegen ihrer Grausamkeit und die Somalis wegen ihrer modernen Waffen, die sie aus Somalia bekommen: amerikanische M16-Gewehre und Kalaschnikows, sogar Panzerfaeuste und Handgranaten sind in deren Haenden. Merayon ist heute nochmals nach Marsabit gefahren, um Geld zu holen, dass einfach nicht bei der Post ankommen will. Was fuer ein Aufwand, nur um an Geld zu kommen! Ein Samburusprichwort sagt: "Emu naye lee are." (Es gibt zwei Arten von Tod fuer einen Mann.) Meint: die Samburus sehen einen Mann als tot an, wenn seine Taten nicht den ethischen Werten entsprechen, also auch, wenn er luegt oder falsche Versprechen macht. Und auch: "Emu naria lee saal." (Ein Mann faellt neun Mal.) Meint: Die Samburus sehen das Leben als einen Kampf an, indem ein Mann neun Mal fehlt. Beim zehnten Mal verdirbt er. geschrieben am 1.10. in Nairobi
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