9/7/2004 Kenia / Lokologo
Marmeladenschwindsucht
Der Wassertraeger
(Harald) Vor unseren Huetten eine Vollversammlung: Kinder spielen Fussball (mein Ball, den ich Job geschenkt habe, hat am dritten Tag seiner Verwendung an einem Akazienstachel sein Leben buchstaeblich ausgehaucht), Babys (incl. Max) kreischen, Giguyu, De-Re, ein Aeltester und Merayons Onkel sind da. Und Letzterer erzaehlt mir, hier seien alle Rendille, keine Samburus. Das glaube ich ihm auf Anhieb, ist mir aber eigentlich wurscht- sind immer noch die selben Leute. Zeigt aber, das Merayon absichtlich an der Wahrheit gedreht hat, denn sie glaubte, ich sei alleinig an den Samburus interessiert und hat ihre Verwandschaft sogleich "umgewandelt". Merayon erzaehlt, warum sich viele Samburus angeblich schaemen, sich als solche auch zu bezeichnen. Vor Jahren kam es zu einem Bruderzwist unter den Samburus, die sich selbst "Lokop" nennen. Die Lokop/Samburus aus der Gegend um Baragoi haben sich dort mit den Turkanas vermischt, die Samburus suedlich von Marsabit mit den hier ansaessigen Rendille. Es kam zu Kaempfen zwischen den Clans und dutzende Menschen wurden damals, Mitte der Neunziger, umgebracht. Seltener ist es zu Kaempfen zwischen den Rendille und Samburus gekommen, da es durch intensive Verheiratung zu unzaehligen Verwandtschaften gekommen ist. Die weitaus weniger Koepfe zaehlenden Rendille haben Sprache und Kultur der Samburus fast voellig uebernommen und die Staemme sind aeusserlich kaum noch zu unterscheiden. Im Jahr 2000 kam es zu Grenzstreitigkeiten mit den Boranas. Ein Teil der am Grenzverlauf lebenden Rendille waren von der Regierung und den NGOs angehalten worden, dass Hirtenleben aufzugeben und Bauern zu werden (die uebliche Vorstellung von Fortschritt) und trockenresistente Getreidesorten anzupflanzen, wie z.B. Sorgruhm. Den Boranahirten gefiel das garnicht, denn dazu wird viel Wasser benoetigt, dass fuer das Vieh gebraucht wird und es ist schwierig, dass Vieh von den Feldern fernzuhalten, da niemand Geld fuer richtige Zaeune hat. So wurde dann nach langem Zwist, sozusagen als letzte Warnung, ein einzelner Rendille-Moran auf der Strasse gefangengenommen und kastriert, womit nicht nur das Abschneiden der Hoden, sondern des ganzen Penis gemeint ist. Fuer diesen grausamen Brauch sind die Boranas beruehmt und gefuerchtet und man hat mir mehrfach versichert, dass es suedlich von Marsabit mehrere verstuemmelter Samburu- und Rendillemaenner gibt. Die Reaktion der vereinigten Rendille und Samburus war fuerchterlich. Dutzende Krieger machten sich sofort ins naechstgelegene Boranadorf auf und massakrierten 7 Menschen, wahllos, Frauen, Kinder, Aelteste. Die Zahl der Abgeschlachteten erhoehte sich im Verlauf von Tagen auf 40, die Regierung unter dem korrupten Arap Moi griff nicht durch. Einen Ehrenkodex, der das Toeten von Unbewaffneten oder Kindern verbieten wuerde, gibt es nur fuer Faelle, in denen man selbst betroffen ist. Zitat: "Aber das hier ist Afrika. Hier wird nicht gespasst. Hier werden keine Scheingefechte geliefert." (Peter Scholl-Latour:Afrikanische Totenklage) Meine Marmelade hat die Schwindsucht! Eine diebische Elster loeffelt sie fleissig leer und als wir die Infragekommenden zur Rede stellen, ists natuerlich keiner gewesen. Auch von unserem Wasser wird sich reichlich bedient, sobald man nicht hinschaut. Als ich mich um die Erfahrung bereichern will, selbst mal 20 Liter Wasser zu schleppen, ist das eine Sensation. Die Frauen machen das hier etwa 2-3 mal taeglich und sie wiegen rund 30 kg weniger als ich. Ich gehe mit Merayon zum Brunnen, wo dutzende Frauen abfuellen und Kamele, Rinder, Esel, Ziegen und Schafe aus den Betonbecken saufen. Um die Huefte bindet man sich ein Tuch, indem ein anderes Knaeuel, zu einer Wurst geformt, eingewickelt ist, dass als Stuetzpolster auf dem Ruecken den Kanister hindert abzurutschen, der dann mit Sisalstricken ueber den Schultern getragen wird, wobei es manchmal noch schmale Unterlagen aus Stoff gibt, denn die Seile schneiden tief ins Fleisch. Als wir zurueck zur Manyatta kommen, klatschen die Frauen, strahlen, alles ist hocherfreut. Merayon sagt, dass sei noch nie seit Menschengedenken passiert, dass ein Mann in Lokologo Wasser getragen habe. Vielleicht wahr. In jedem Fall weiss ich jetzt das Wasser noch mehr zu schaetzen. Am Abend erscheint Giguyu, voellig aus dem Haeuschen (oder besser: aus der Huette), schimpft hinter einer Frau her, die ihr zwar 3 EU geliehen hat, jetzt aber, angesichts des Geldes, dass Giguyu durch mich verdient hat, nicht mehr den vereinbarten Rueckzahlungszeitraum abwarten will. Kurzerhand hat sie sich den Restbetrag aus Giguyus Hand gegrapscht. Giguyu ist nahe dran, die Frau zu verpruegeln, weil sie sich auch vor mir bis ins Mark blamiert fuehlt. Als die Beiden handgreiflich werden, gehe ich dazwischen und gebe Giguyu das Geld als Kredit. Da sitzt sie nun und weint vor Erleichterung und ich muss sie zum Lachen bringen und ihr eine Tasse Tee servieren lassen (ganz der Patriarch, aber Merayon wird richtig stinkig, wenn ich das selber mache, denn das sieht vor den anderen so aus, als kuemmere sie sich nicht angemessen um mich). Ein Mann kommt angetrunken aus dem Dorf, ein echter Stinkstiefel. Merayon warnt mich vor seiner Agressivitaet. Die Kinder kennen die Flitzpiepe schon und rennen kreischend weg, aber ein etwa 4-jaehriger Knabe muss ihm gehorchen, er ist Aeltester und misstrauisch kommt der Kleine naeher, worauf der Mann ihn blitzschnell packt und das Kind entsetzt zu weinen beginnt. Ich springe auf, Merayon haelt mich fest: "Nein Harry, er hat eine Rungu!(Keule)." Die Rungu ist eine fuerchterliche Waffe, Akazienholz hart wie Eiche, ein dickes Ende gibt der Waffe Wucht und in Kriegszeiten zerschmettern die Moran damit Gelenke und Koepfe. Ich reisse mich los und laufe hinzu. Der Trunkenbold beginnt gerade den Knaben zu schuetteln. Ich trete nahe an ihn heran, strecke ihm breitgrinsend die Hand entgegen und sage auf Samburu: "Szerien tummutae n-parr!" (entspricht etwa einem "Guten Abend") Verwundert fixiert mich das Faktotum: "Haehh?" macht es und gibt mir die Rechte, wobei es den Jungen loslaesst. Mit einem langsamen Bewegung fasse ich den Jungen am Arm, den Mann nicht aus den Augen lassend, ziehe und schiebe ihn hinter mich, worauf er gleich weglaeuft. "Blablagupsschmnzz?" fragt mich der Typ. "Oye, oye!" sage ich (ja,ja!-kommt immer gut). Der Betrunkene sieht aus, als habe er jahrelang keinen guten Witz mehr gehoert. "Schnaezzz huchlummst?" Die Rungu wackelt in seiner Linken auf und ab, als ueberlege er, ob er sie mir nicht doch ueber den Schaedel ziehen soll. Ich laechle ihn an, "Oye!" stimme ich ihm entschieden zu und drehe bei, ein Ohr nach hinten gestellt und Merayon im Auge, deren Gesichtsausdruck mir signalisieren wuerde, wenn der Typ hinter mir herstuerzte, der sicher so verbluefft ueber den freundlichen Musungu ist, dass er seine Absichten schlichtweg vergessen hat. geschrieben am 2.10. in Nairobi
|