Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

9/9/2004   Kenia / Lokologo

Der Porridgeesser und die Singenden Brunnen

Bei den Hirten in einer Schlucht

(Harald) Um 7 Uhr kommt Leudschi, ein junger Rendille-Krieger, zu meiner Huette um mich abzuholen. Leudschi ist 20 Jahre alt, etwa 190 gross und gertenschlank, hat kurze Haare, er traegt etwas traditionellen, bunten Perlenschmuck, einen pinkfarbenen Umhang und eine rote Schuka, sowie seine Keule, einen Hirtenstab und sein Schwert. Sein Name bedeutet "Porridge-Esser". Er hat ihn bekommen, weil bei seiner geburt die Missionare Porridge an die Rendille ausgaben.

Ich stecke mir noch schnell ein Indschera mit Marmelade in den Mund und trinke einen Tschai, dann gehts los.

Unser Ziel sind Brunnenloecher, an denen die Samburus, Rendille und Boranas ihr Vieh traenken. Der Marsch fuehrt uns hinter das Dorf in eine flache, enge Senke, in der das Vieh auf seinem endlosen Weg einen breiten Pfad getrampelt hat. Hirtenjungen und Moran gruessen uns, wundern sich, dass ein Weisser sich fuer ihre Arbeit interessiert und hier in die Wildniss hinauskommt, wie mir Leudschi mit ein paar Brocken Englisch erklaert.

Bald bemerkt Leudschi, dass meine linke Sandale gerissen ist und einen strammen Schritt verhindert. Der Schuster in Marsabit sah sich mangels Material nicht in der Lage, das zu reparieren, aber dieser junge Kerl hier macht das in 15 Minuten. Er schaelt mittels seines Schwertes, Lalemm genannt, Rinde von einem bestimmten Strauch, dessen Bast biegsam und geschmeidig ist. Aus dem Kernholz eines anderen Strauches schnitzt er ein Stechholz und bohrt zwei Loecher in den Schuh, durch die er den Bast zieht und verknotet. (Das hielt 3 Wochen, samt einer durchtanzten Diskonacht)

Durch Akazienhaine und Dornenbuesche fuehrt der Pfad, Giraffen- und Stachelschweinspuren sind zu sehen, ueberall liegen die schwarz-weissen Stacheln des Tieres, dass an einen Riesenigel erinnert. Im weichen Sand malen sich auch zahlreiche andere Tierspuren ab, die des Hyaenenrudels, dass uns Nacht fuer Nacht beehrt, sowie Pavianhaende, die denen von Menschen zum Verwechseln aehneln, und Karakals, luchsartige, kleinere Raubkatzen sind hier langgelaufen.

Nach ueber drei Stunden strammen Marsches, der etwa Joggingtempo entspricht, erreichen wir eine etwa 50 Meter tiefe Schlucht, die im Laufe von Jahrtausenden durch Ablaufwasser aus den Marsabitbergen ausgewaschen wurde. Ueberall am Kamm der Schlucht warten Hirten auf einen Zuruf, der ihnen erlaubt, ihre Herde hinunter zu den Quellen zu treiben. Es schallen Pfiffe, die Tiere geben laut, Gelaechter ist zu hoeren, ads von den Abhaengen wiederhallt. Jetzt, in der Trockenzeit, regnet es auch in den Bergen so gut wie nicht mehr und die Brunnen sind fast leer.

Leudschi und ich gehen hinunter und gruessen die Maenner, die hier, teils nackt, in den 6-8 Meter tiefen Erdloechern stehen und Wasser schoepfen, wobei sie manchmal monotone Lieder singen, um den Takt anzugeben, weshalb diese Wasserstellen auch als "Singende Brunnen" bezeichnet werden.

In jedem Loch stehen vier Maenner, die das Wasser durch einen etwa einen Meter breiten Schacht mit Eimern nach oben heraufreichen. Der oberste Mann giesst das Wasser in ausgehoehlte Baumstaemme und aus diesen Troegen saufen die Tiere gierig das klare Wasser. Bloeckend, meckernd, muhend, wiehernd draengelt es, schiebt und knufft sich zur Seite, die Tiere haben seit 2-3 Tagen nichts getrunken. Sind die Maegen gefuellt, muessen die Tiere mit Ruten vertrieben werden, weil sie sich trotzdem nicht vom Wasser loesen koennen. Es ist schon oft vorgekommen, dass zu durstige Tiere sich totgesoffen haben, einfach an der Traenke umkippten mit geplatzten Maegen. Leudschi erzaehlt, dass einer seiner Freunde noch letzte Woche einer Kuh in den Magen gestochen hat, um das Wasser abzulassen, aber es war bereits zu spaet.

Ich setze mich erstmal hin und schaue zu, will nicht gleich mit der Kamera herumrennen.

Leudschi steigt in den Schacht und arbeitet, waehrend ich zum naechsten Brunnen gehe, um dort von dem Schoepfwasser zu trinken, dass mich in Farbe und Geschmack an Nilwasser erinnert, wobei Leudschi zweifelnd zu mir herueberschaut: der will doch nicht wirklich..? Doch, er will und Leudschi grinst, auch die nackten Maenner um mich herum grinsen und auch ich grinse. Ist nicht jedermanns Sache diese hellbraune Bruehe, in der der unterste Mann mit seinen Fuessen steht, aber es stillt den Durst.

Ich mache Fotos, Leudschi hat Gutes Wetter bei den Moran gemacht und niemand fragt mich nach Geld fuers Fotografieren, nur ein einzelner Hirtenjunge versucht es: "Give me money!" Als ich ihm sage, er solle damit aufhoeren, verkruemelt er sich.

Leudschi zeigt auf einen gewaltigen Bullen, ein Zeburind mit gewaltigem Fettbuckel und Hautlappen an der Kehle, wohl ueber 800 kg schwer, die gebogenen Hoerner sind ueber 80 cm lang.

In den Felsen grunzen Paviane, die erst am spaeten Nachmittag an der Reihe sind, es aber vor Durst kaum aushalten koennen und mit Steinwuerfen vertrieben werden.

Dann entkleide ich mich ebenfalls voellig und wasche mich, von den Haengen schauen die Hirtenjungen neugierig zu. Neben meiner weissen Haut ist ihnen auch ein unbeschnittener Penis einen Blick wert.

Wir gehen tiefer in die Schlucht, bergab, die Felsen ragen bald ueber 70, 80 Meter hoch auf, Vogelschwaerme fliegen auf. Ein Quellloch reiht sich ans andere, ueberall werden neue geschlagen oder alte zugeschuettet. Das Graben dieser Loecher ist eine Sisiphusarbeit. Es gibt nur eine Spitzhacke und wenn groessere Steine nicht ausgegraben und gehoben werden koennen, muss man sie mit Feuer sprengen- man laesst die Hitze solange einwirken, bis der Brocken stueckweise platzt. Das kann wochenlange Arbeit sein, weil die Steine nur in den oberen Schichten leicht brechen, aber tiefer unten ist es feucht und kuehl und die Feuer brennen schlecht. So musste auch immer wieder eine Grabung erfolglos aufgegeben werden.

Wir kehren um und treten den Nachhauseweg an.

Es ist eine atemberaubend schoene Landschaft die Schlucht erinnert mich an solche auf Teneriffa, in deren Waenden die Guanchen ihre Hoehlen geschlagen hatten. In den hiesigen Hoehlen schlafen die Paviane oder nisten grosse Greife, Eulen und Fledermaeuse.

Leudschi zeigt mir die Schlafstellen der Moran unter Bueschen. Sie legen sich einfach auf den Boden, ziehen die Schukas ueber den Kopf und legen ihre Nacken auf kleine, dreibeinige Baenkchen, auch um ihre z.T. praechtig langen Zoepfe zu schonen.

Vor diesen Schlafstellen schlachten die Moran Kuehe, manchmal sogar einen Bullen, wenn heilige Zeremonien stattfinden. Alles was von diesen Schlachtungen uebriggeblieben ist, sind ein paar Hoerner und Kieferstuecke mit Zaehnen, alles andere wird hier komplett verwertet. Zuerst kommen die Hyaenen, die mit ihren gewaltigen Kiefern selbst die Beinknochen knacken koennen, um an das begehrte Mark zu gelangen. Den Rest erledigen Marabus, Marder und Ameisen. Binnen 48 Stunden sieht der Schlachtort wie unbenutzt aus.

Mein Blick reicht jetzt bis tief in die Ebene hinaus, unter uns windet sich die enge Schlucht in das Buschland, wo die Moran ihre einfachen Lager haben, die sie "Fora" nennen. Dort grast das Vieh, dort halten sich die Maenner die meiste Zeit auf. Und dort will ich in den naechsten Tagen hin.

Es ist heiss, richtig heiss, irgendwas um 45 Grad, mein Hemd glueht, der Schweiss trocknet im heissen Wind so schnell, wie er entsteht. Und wir haben kein Wasser mitgenommen. Die Moran legen solche Maersche ohne Wasser zurueck und ich moechte diese Erfahrung auch mal machen.

Nach einer Stunde wird mir klar, dass der Rueckweg schwer wird. Auf dem Hinweg am Morgen war die Luft noch kuehler und trotzdem ist mein Koerperfluessigkeitsdepot geschrumpft, dann habe ich an den Brunnen zuwenig getrunken und jetzt bin ich dehydriert. So draenge ich waehrend der Pausen zum Aufbruch, denn ich habe Kraft genug, aber Durst.

Leudschi ist hoeflich, ein sensibler junger Mann der spuert, dass ich mit meinen Gedanken oft nicht dabei bin, in die Weite starre und Fragen nachhaenge, die nie eine Antwort finden werden.

Waehrend wir ausschreiten, ein Specht klopft und der Wind in den Akazienbaeumen wispert, fragt er, ob ich keine Frau habe und ich gebe spontan meine Verschlossenheit auf und erzaehle ihm die Wahrheit ueber meinen geplatzten Traum und meine persoenliche Definition von Desillusion. (Als ich dies im Hotel in Lokologo vorschreibe, singt "Westlife" passenderweise: "Cant believe that Ive been fooled again, I thought this love will never end..."

Leudschis Englischkennntisse sind zu mager, um komplizierte Dinge zu erklaeren, aber das Wesentliche ist eh immer einfach. Trotz der Sprachbarriere, trotz seiner Jugend und seines so gaenzlich verschiedenen Backgrounds fuehle ich seine Verbundenheit.

Nach vier Stunden erreichen wir die Manyatta, und obwohl ich nichts gegessen habe, will ich nur noch trinken, trinken, trinken.

geschrieben am 9.10. in Arusha


 


  Team Login

© biketour4goodhope