9/10/2004 Kenia / Lokologo
Das tut doch weh!
Letzter Tripp nach Marsabit
(Harald) Ich muss ein letztes Mal nach Marsabit, um etwas abzuholen, aber heute faehrt kein Matatu und der Lori faehrt mir vor der Nase davon. So setze ich mich ins Hoteli, trinke einen Tschai und hoere Soulmusik. Zakayo, der Lehrer, Rendille und 56 Jahre alt, den ich in Porro in der Mission kennengelernt habe, kommt. Zwischen seinen Knien steht sein kleiner Sohn, seine 30 Jahre juengere Frau ist hochschwanger. Fuer einen kurzen Moment durchzuckt mich Neid- sowas gibt man eigentlich nicht zu, aber wahr ists. Zakayo erzaehlt mir von dem Ueberfall der Pokot in der Naehe von Marti, dass er die Bombardierung durch die Hubschrauber der Armee in der Nacht gesehen hat und er bestaetigt mir nochmal, dass der Polizei-Commissioner, den ich bei der Versammlung der Aeltesten in Marti kennengelernt habe, tatasechlich kurze Zeit spaeter bei der Verfolgung der Viehdiebe und Moerder erschossen wurde. Der energische, wenn auch wohl eher diletantische Einsatz von Polizei und Armee gegen die 10 Viehdiebe wird allerdings ein deutliches Zeichen setzen, dass der Staat nicht mehr gewillt ist, sein Machtmonopol aus den Haenden zu geben, oder sich bestechen zu lassen. Merayon und ich haben jetzt fast alles fuer den Grundstock einer Ausstellung ueber die Nomaden zusammen. Heute wurde der etwa 2 kg schwere Perlenhalsschmuck fuer eine Frau fertig und ich habe nochmals tief in die Tasche gegriffen, um eine Kostbarkeit zu erstehen: Der Halsschmuck fuer Festlichkeiten, den nur verheiratete Frauen tragen duerfen, gefertigt aus Giraffenhaaren, ungewoehnlichen, halbdurchsichtigen Perlen und Leder, eingerieben mit Ocker. Im Hoteli gehen die jungen Maenner mit ihren eigenartig geformten Hueten ein und aus, alle tragen westliche Kleidung. Kenias Alterspyramide duerfte in etwa der deutschen vor 150 Jahren entsprechen: mehr als die Haelfte der Kenianer ist unter 20 Jahre alt, waehrend wir in Deutschland wohl zur Haelfte ueber 40 sein duerften. Bedenkt man, dass all diese Millionen von Jungs und Maedchen voller Energie, Hoffnungen sind, eine Zukunft suchen, sich nicht abfinden wollen oder resignieren, dann wird klar, welch explosives Gemisch da bei einer politischen Fehlentwicklung entstehen kann. Waehrend wir Auslaender ins Land lassen muessen, damit unsere stattlichen Sozialleistungen durch eine ausreichende Zahl von Berufstaetigen finanziert werden koennen, wir der Prozentsatz der arbeitslosen Jugendlichen in Kenia auf etwa 40 % taxiert. Dabei ist noch nicht beruecksichtigt, dass Beschaeftigung hier meist nur zeitbefristete Jobs meint, die voellig unterbezahlt werden. Mancher arbeitet 10 Stunden fuer 2 Euro oder weniger. Urlaub? Waeren da nicht die Musungus im Land, man wuesste oft garnicht, was dass bedeutet. Wer Urlaub hat verreist nicht zum Vergnuegen, dafuer hat eh keiner Geld, sondern man besucht die Eltern, Verwandte, denen man Geschenke mitbringt, man baut, hilft, pflegt. Die meisten Kenianer schlagen sich halt so durch und in den wetterabhaengigen landwirtschaftlich-nomadischen Gebieten kommt es regelmaessig ueber die Jahre zu Hungersnoeten, wie z.Zt. in Westpokot, nahe der ugandischen Grenze, dort, wo ich mit Oliver, Renata und Mike vor 4 Monaten trekken war. Endlich ein Lori! ich klettere ueber das Hinterrad die vier Meter hohe Bordwand hinauf und setze mich da oben auf die Stangen. Der LKW hat nur eine 30 cm tiefe Schicht Sand geladen, so dass ich der prallen Sonne ausweichen kann und mich in den Sand setze. Die uebrigen Passagiere koennen dank ihrer Hautfarbe oben setzen. Leider haelt der Lori gleich in Kamboi schon wieder fuer eine Stunde, der Sand wird abgeladen, dann zuckelt das Gefaehrt weiter und erst um 16.30 Uhr bin ich dann in Marsabit: wieder ein ganzer Tag nur um 50 km zu ueberwinden. Ich habe bei meinem letzten Besuch einem amerikanischen Piloten namens Jim Streit Geld gegeben, damit der fuer mich in Nairobi neue Diafilme kauft und er wollte sie heute bei einer NGO (nicht staatliche Organisation) hier abgeben. Ein Pilot, dass kann nicht schiefgehen, dachte ich. Indes, die Annahme trog: Jim hat ein Telex fuer mich hinterlegt, aber keine Filme: sorry, sorry, Sermon, blabla. Na herzlichen Glueckwunsch! Mir duenkt, Herr Streit ist ein schoenes Beispiel fuer "nomen est omen". Die Braut namens Mary, aus meiner Manyatta, hat mir Geld gegeben, damit ich ihr einen Regenschirm kaufe- natuerlich als Sonnenschutz, wenn sie sich zum stundenlangen Marsch zu den Foras der Krieger im Busch aufmacht. Dann warte ich auf einen Ruecktransport, bei Sonnenuntergang geht es los. Unter uns schwanken 20 Kuehe, die sich alsbald anfangen hinzulegen, wofuer auf dem begrenzten Raum kein Platz ist und deshalb verkeilen sich die Tiere foermlich in einander, treten einander auf Haelse und Baeuche, spiessen sich fast auf und verdrehen ihre Genicke. Der Lori muss halten, damit der Besitzer der Kuehe Ordnung schaffen kann. Der Mann ist in Panik, drischt auf die apatischen Tiere ein, weil er befuerchtet, dass einige sterben. Er hat die Tiere zu kurz vor dem Transport saufen lassen, was die Tiere muede macht. Die Tiere sind selbst mit brutalen Stockhieben nicht zum Aufstehen zu bewegen und der Mann erhoeht das Schmerzpotential, indem er die Schwaenze der Tiere krass verbiegt und knickt. Selbst dieser Prozedur widerstehen einige Viecher und der Mann grieft zum letzten, gefaehrlichen Mittel: er steht, mit der Taschenlampe im Mund, mitten zwischen den Hoernern und bindet den Tieren die Nasen zu, so dass diese zu ersticken meinen. Nach ein bis zwei Minuten schnauben sie, rollen die Augen und erheben sich, um besser atmen zu koennen und jetzt muss es blitzschnell gehen, der Strick muss heruntergerissen werden, denn sonst ersticken die Probanden. Mir tun die anderen Passagiere leid, die gehofft hatten, bis zum Morgen Nairobi zu erreichen. Mit dieser Ladung wird das 24 Stunden dauern und das Sitzen auf diesen Stangen bei dem Geschaukle duerfte zur Marter werden. Fuer mich ist in Lokologo schon Endstation, allerdings habe ich keine Taschenlampe dabei und finde im Stockdustern die Manyatta nicht, irre durch Dornenbuesche und Wadis, bis ich das mir vertraute Lachen Marys hoere und dann die weisse Pappe meiner Huette erkenne. geschrieben am 10.10. in Arusha
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