9/14/2004 Kenia / Guddas
Ferne Sterne
Gedankenkreise
(Harald) Morgens kommt wieder Lorinjo zu Besuch, er stapft wie ein Storch im Salat daher, seine zu schmalen Schlitzen verengten Augen sind dunkelrot und mit einem satten "Aaah!" setzt er sich auf einen der Besuchersteine. Da sitzt er nun vor mir, grinst mich an, als wolle er sagen: "Hab doch gut uebers Ohr gehauen, Kumpel, haeh?" Aber er mir seine Gulett, die Kriegerkeule, geschenkt, eine fuerchterliche Waffe aus Akazienholz, turkanische Bauweise mit Zacken wie ein Morgenstern. Der Bote, den Merayon mit den Diafilmen geschickt hat, trifft endlich ein. Jetzt endlich kann ich weiter fotografieren. Ich warte seit Tagen darauf, mit Leudschi zu den Foras draussen im Busch zu gehen. Der Bote heisst mit christlichem Namen Joseph und erzaehlt mir seltsame Sachen ueber Merayon und Geld: sollte ich mich in ihr getaeuscht haben, oder ist das nur die uebliche Unzuverlaessigkeit mit anschliessenden Notluegen? An meiner Huette muss ich syaendig ausbessern, weil mir die Ziegen die Rindenbaender abfressen. Ein Hund pinkelt mir gegen die Pappe, leider in Windrichtung und die Esel sind scharf auf die Pappe, wohl der enthaltenen Staerke wegen. Als ich heute meine Huette endgueltig leerraeume, die Plane abziehe, nehmen vier schwarze Raben sogleich kraechzend von dem Zweigiglo Besitz. Ich verstaue alles bei Isiolo. Wieder geht ein Abschnitt zu Ende. Leudschi hat genauso ungeduldig auf die Filme gewartet, wie ich und draengt zum Aufbruch. ich moechte noch einen Tee im Hoteli mit ihm trinken, aber da setzt sich Leudschi nicht hin, keiner der traditionell lebenden Moran tut das. "Dort was zu sich zu nehmen, ist nicht gut. Ich bin ein Moran und esse zu Hause, bei meiner Frau." Er hat Recht, denn die Jungs hier reden nicht respektvoll von den Traditionalisten. Einer von Leudschis Moran-Freunden hat mir mein Massai-Schwert, dass ich draussen im Busch brauchen werde, am Guertel befestigt, ich packe flux meinen Rucksack, Isiolo hat ein paar Indscheras gebacken, ich trage einen 5-Liter-Kanister mit Wasser am langen Arm und los gehts, Leudschi voraus, auf zu den Herden. Jetzt, am spaeten Nachmittag, ist es heiss und es gibt keinen Schatten auf dem Weg. Vor der letzten Manyatta, schon ausserhalb des Ortes, wartet ein Moran auf uns. Wie immer werde ich hoeflich und laechelnd begruesst, man erzaehlt sich kurz, mit wem man es zu tun hat (Santschir ist 28, Cousin meiner Tante soundso, Freund von demunddem. German, Fahrrad, den ganzen Weg, 2 Jahre, macht Studien ueber die Nomaden, wohnt bei uns in eigener Huette...) und dann schreiten die beiden Jungs aus, dass ich Muehe habe mitzukommen, zumal ich rund 20 Kilo Gepaeck und Wasser trage, waehrend die Moran nur ihre Waffen tragen. Der Weg fuehrt durch ein groteskes Lavageroellfeld, dass mich an den Turkanasee erinnert, in der Ferne sehe ich die Huegelkette, an deren Haengen die Hirten lagern. Man hat mir gesagt, dass seien etwa 26 km, aber das werden wir heute nicht mehr schaffen. Fuer die Viehherden, die hier entlanggetrieben werden, wurde ein 8 Meter breiter Weg von Steinen freigeraeumt, auf dem man bequem mit einem 4x4 fahren kann. Ihrem Verlauf folgend erreichen wir nach fast drei Stunden Marsch Guddas, die einzige Wasserstelle in grossem Umkreis und unser Lager fuer die Nacht. Das Wasser wurde hier mittels einer Bohrung aus groesserer Tiefe geholt, fuer die notwendige Dieselpumpe muss jeder Herdenbesitzer staendig etwas Diesel heranschaffen. Die Herden werden aus etwa 15-20 km Umkreis hierher getrieben. Daneben liegt ein Gelaende des Kenian Agricultur Resaerch Institute, abgekuerzt steht da auf dem Schild K.A.R.I., der Name unserer Huendin, die jetzt in Polen lebt. Jetzt, in der Abenddaemmerung, sind keine Herden mehr hier, ein paar Maenner schieben hier eine ruhige Kugel, weitab von aller Zivilisation. Man weisst uns fuer die Uebernachtung eine Baracke zu, an den waenden kleben hunderte von Schlupfwespennestern, Geckos jagen Insekten, im Duschablauf sitzt eine Kroete, die sich mit Luft aufpumpt, als ich sie herausfingere, in der im Boden eingelassenen Toilettenschuessel schwimmen drei Froesche und fristen ein skuriles Dasein. Draussen krabbeln, durch das Licht meiner Taschenlampe irritiert, gelb-braune Skorpione und Walzenspinnen umher. Letztere sind giftlos, bauen keine Netze und sind die schnellsten Insekten, die ich je gesehen habe- man kann neben ihnen hergehen. Durch die Luft schwirren zahlreiche Fledermaeuse, lautlos fliegt eine Eule auf, als ich mich etwas abseits hinstelle um die Sterne zu betrachten. Wie hell sie leuchten! Da der Mond noch nicht aufgegangen ist und es hier keinen Strom gibt, sind die Sterne die einzigen Lichtquellen. Mir ist frueher nie aufgefallen, wie viel Licht die Sterne spenden. Tausende kann ich sehen, aber Millionen, Milliarden gibt es dort, alles Sonnen, so alt ihr Licht, dass das, was ich heute sehe, ausgestrahlt wurde, bevor ich geboren wurde, ja meist sogar bevor es eine Zivilisation gab oder Menschen. Ein Blick in die Vergangenheit ist das, nur das die Erinnerung fehlt. Meine Gedanken spinnen ihren Weg zurueck durch meine eigene Vergangenheit, durch das Labyrinth des Woher und Warum, aus dem Gedankengespinst wird nach und nach ein Kreis, dann ein Karussel, dass sich immer schneller dreht, bis ich aussteige. Ich wuerde heute nacht am leibsten draussen schlafen, aber spaeter liege ich in der Baracke, rechts unten schnarcht ein alter Hirte aus dem Boden, daneben liegt Leudschi in seine Schuka gewickelt, draussen singt ein Nachtvogel. geschrieben am 11.10. in Arusha
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