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Reisetagebuch

9/15/2004   Kenia / Fora

Die Horde

Bei den Hirten

(Harald) Der Alte rechts unter mir schnarcht leise, Leudschi liegt unbeweglich, die Schuka ueber seinen Kopf gezogen, als ich vor dem Morgengrauen aufstehe und nach draussen gehe.

Alles ist still, nur der Wind rauscht ueber das Buschland und ein zu frueher Laermvogel probiert sein alles uebertoenendes Rufen aus.

Ich setze mich in einen der Metallgittersessel, meine Schuka um mich geschlungen und schreibe Tagebuch. Dann daemmert es und die Fliegen stuerzen sich auf mich. Wo Vieh und Trockenheit sind, sind auch die Gesichtsfliegen, die einem in Nase, Augen und Mund fliegen.

Le-udschi kommt: "Szerien te peri-e." Guten Morgen, mein Freund. Le-udschi mag den hier zubereiteten schwarzen Tee nicht, ihm fehlt die Milch, dass Lebenselixier der Hirten. Tee hat, wie auch in der Tuerkei und in Syrien, Jordanien, Aegypten, Sudan und Aethiopien, eine fast mystische Bedeutung fuer die Nomaden. Tee ist Willkommensgruss, Pausengrund, Zeiteinteiler. Mit Tee zeigt man Freundschaft, Zugehoerigkeit an. Bei den kenianischen Hirtenvoelkern wird der Tee stets mit der heiligen Milch zubereitet.

Wir machen uns auf den Weg zu den Foras. Ich befrage Le-udschi zu den Sicherheitsverhaeltnissen, denn Viehdiebstahl ist in Kenia nach wie vor verbreitet.

"Woher kommen die modernen Waffen“, frage ich ihn.

"Die Somalis bringen sie zu uns."

"Wie geht das vonstatten?"

"Sie kommen mit grossen, schnellen Allradwagen, z.B. aus Wajir (rd.250 km oestlich von Lokologo, Nordost-Kenia) und bringen amerikanische M-16-Gewehre oder russische Kalaschnikows. Wer kaufen will, geht hin. Wir brauchen diese Waffen, weil die Regierung uns nicht beschuetzt und die Viehdiebe der Somali, Borana und Pokot uns sonst erschiessen. Denn was kann man mit Speeren gegen Schnellfeuergewehre machen? Beim letzten Ueberfall vor zwei Jahren wurden die Knaben, die nur Speere hatten, alle erschossen. Das waren somalische Diebe. Wir haben sie verfolgt und zwei erschossen und das Vieh zurueckgeholt. Am Ende waren sieben Menschen tot."

"Und wie kommen diese Leute an die Waffen und was kosten die?", will ich wissen.

"Die Somalis gehoeren grossen Clans an, die starke Bindungen zu den Clanmitgliedern in Somalia haben, wo seit langem Buergerkrieg herrscht. Dort gibt es alle Waffen, die du haben willst, auch Handgranaten, Maschinengewehre, Moerser usw. Alles kannst du kaufen, wenn du Geld hast."

In Somalia gibt es seit 10 Jahren keine Regierung mehr und das Staatsgebiet ist in Clanbezirke zerfallen. Da international taetige Waffenhaendler an jeden liefern, der zahlen kann und die meisten Regierungen Ruestungsgeschaefte nicht scheuen, gibt es Waffen im Ueberfluss.

Ich frage nach den Preisen. "Eine M-16 und ein deutsches G 3 kosten 40.000 KSH (etwa 400 EU), eine Kalaschnikow etwa 30.000, also soviel wie ein grosser Bulle. Wir verkaufen Vieh, um Waffen zu kaufen, um das restliche Vieh besser zu schuetzen."

Die Turkanas im Westen kaufen Waffen, die aus dem Sued-Sudan kommen, da herrscht auch Krieg, die Pokot kaufen bei Waffenschmugglern aus Uganda, die ihre Ware aus dem Nord-Kongo oder Sued-Sudan beziehen, die Borana und Gabbra kaufen bei Somalis und Oromos aus Aethiopiern, da gibt es auch Konflikte. Vor zehn Jahren, waehrend der heissesten Phase des Buergerkrieges in Somalia, konnte man Gewehre fuer weniger als 10 USD kaufen.

Le-udschi sagt, sie, die Nomaden koennten in 10 Jahren Nordkenia beherrschen. "Die im Sueden sind Bauern und Haendler und Stadtmenschen, die verstehen uns nicht, die vergessen uns. Wir haben sogar Gewehrgranaten gegen deren Panzer. Man kann Handgranaten, Maschinengewehre kaufen und Moerser. Und in der Armee und Luftwaffe gibt es viele Samburus und Rendille“, orakelt er.

Ich entgegne ihm, dass er nicht auf Piloten zaehlen solle, die ihre Flugausbildung in England oder den USA gemacht haben, die dank ueppiger Gehaelter in Staedten grosse Steinhaeuser gebaut haben, teure Autos fahren, Mobiltelefone, TV und DVD besitzen und ihre Kinder auf Privatschulen mit englischen Lehrern schicken. "Fuer die waere ihre Stammeszugehoerigkeit zweitrangig, die bombem doch nicht fuer euch ihre eigene Armee", sage ich ihm. "Und ihr Nomaden habt nicht mal eine gemeinsame Politik, ihr stehlt euch immer noch gegenseitig das Vieh. In Nairobi kaempfen z.Zt. die Massai um ihre Landnutzungsrechte, wahrscheinlich wieder vergebens und ihr unterstuetzt sie nicht, ihr wisst davon nicht mal."

Le-udschi hoert gar nicht richtig hin. "Erzaehle niemandem von den Waffen“, sagt er.

"Ach, Le-udschi, das weiss doch jeder kleine Polizist, dass ihr Waffen habt, das ist kein Geheimnis."

Aber nichtsdestotrotz ist es verboten. Gegen die alten, englischen Enfield-Gewehre aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat noch niemand etwas gesagt, aber Kalaschnikows?

"Le-udschi, vergiss diesen Buergerkriegsquatsch! Wie wollt ihr eure Manyattas, eure Familien, eure Wasserstellen und das Vieh denn schuetzen? Das wuerde die Armee doch zuerst zerstoeren, bzw. toeten, so haben das die Englaender doch vor 100 Jahren auch mit den Turkanas gemacht."

Le-udschi schweigt erst, dann lacht er: "Ich meine das nicht ernst, Harry. Alles nur Spass."

Ich bin mir da nicht so sicher. Sicher will er etwas aufschneiden, den Mut und die Kraft der Nomaden betonen. Und hinter allem steckt auch ein verletzter Stolz darueber, dass "Down Kenia", wie die Nomaden den staedtischen Sueden nennen, die Traditionalisten nicht zu wuerdigen wissen.

In einem Staat, der aus Mangel, Ignoranz, Unwissen und alles zerfressender Korruption nicht fuer alle Buerger seines Landes sorgt, sorgen kann, muessten gerade die geachtet werden, die vom Staat nichts verlangen. Die Nomaden zahlen zwar selten Steuern, aber sie versorgen sich auch selbst. Sie nehmen keine Leistungen in Anspruch, sind nicht versichert, gesichert. Sie bekommen keinen Strom, keine Strassen, kein Telefon, keine Krankenhaeuser und Schulen. Letzteres bleibt den NGOs und Missionen ueberlassen. Die Nomaden haben ihre eigenen Heilkundigen, ihre eigene Naturmedizin, sie wurden und werden mit diesem, ihrem Leben alleine fertig, ohne Hilfe. Allerdings ist niemand gerne krank oder leidet Schmerzen. Also wollen die Samburus und Rendille auch Unfallrettung, Geburtshilfe und Heilmittel in Anspruch nehmen.

Ich schleppe einen sich aufloesenden Rucksack und 5 Liter Wasser und stolpere mit ungeeigneten Sandalen dahin, deren Sohlen staendig von Dornen durchstochen werden. Gewaltige Termitenbauten stehen hier, in denen Roehren, gross wie Armdurchmesser, kuehlenden Wind in die unterirdischen Wohnkammern fuehren.

Endlich tauchen vor uns ein paar Heckenzaeune auf, kuppelfoermige Strauchhuetten, rote Stoffe blinken dazwischen auf - wir sind bei den Foras, hier haust die Horde. (Das Wort kommt aus dem Tuerkischen "Ordu" fuer "Feldlager")

geschrieben am 11.10. in Arusha


 


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