9/15/2004 Kenia / Fora
Geld auf vier Beinen
Was fuer ein Tag!
(Harald) Wie sich herausstellt, ist Leudschis Fora Teil eines kleinen Komplexes aehnlicher Anlagen. Eine Fora besteht im Wesentlichen aus zusammengetragenen Akazienzweigen, die zu hueft- bis brusthohen Dornengehegen geformt werden. Jeder Viehbesitzer hat mindestens zwei Gehege, mancher auch mehr als vier, in denen Ziegen und Schafe zusammengepfercht werden, Rinder, Esel, Kamele jeweils in anderen Gehegen untergebracht sind, dazwischen laufen ein paar Wachhunde umher. Die Bewohner haben sich rudimentaere, kleine, runde Strauchhuetten gebaut, die lediglich etwas Schatten gewaehren, aber keinen Staub- oder gar Regenschutz. Die Foras liegen im Halbkreis einer etwa 50 Meter hohen Huegelkette, so dass die Sonne morgens spaeter aufgeht und etwas Windschutz gegeben ist. Die Huegel sind locker mit flachen Baeumen und Bueschen bestanden. Von hier aus werden die Herden ins umliegende Grasland gefuehrt. Zum Traenken muss das Vieh bis nach Guddas getrieben werden, je nach Tierart alle 2-3 Tage, Kamele halten es ueber eine Woche aus. Der Zweck der Foras besteht darin, dass Vieh nachts vor den Raubtieren zu schuetzen und eine Art Basislager fuer die Moran zu bieten. Es gibt zwar nur noch vereinzelt Loewen und die auch nur in der Regenzeit, wenn das Wild den Marsabit-Nationalpark verlaesst. Leoparden sind ebenfalls fast ausgerottet, Geparde gibt es im Busch keine, aber Hyaenen und Schakale verlangen ihren Tribut. Die Herden werden vornehmlich von den unbeschnittenen Knaben, ca. 14-16 Jahre alt, bewacht und gefuehrt, die hierzu auch mit Gewehren bewaffnet sind. Man erkennt die noch nicht beschnittenen Maenner an ihrem einfachen Schmuck und einer duennen, hellgruenen Perlenkette, die sie um Hals und Kopf tragen. Leudschi stellt mir seine Frau vor. Chobosso ist 16 und, wie mir Leudschi sagt ("Ich weiss nicht, warum ich gerade dir alles verrate Harry, dass weiss nicht mal meine Mutter..."), im dritten Monat schwanger. Sie lacht mich genauso unbefangen an, wie die uebrigen Moran, die hier die Chefs sind und mich begruessen. Alle wissen von meinem Kommen, ich hatte Leudschi ein paar suesse Backwaren aus Marsabit mitgebracht, um sie als Vorankuendigung an die Moran zu verteilen. Jetzt erwartet man mich foermlich. Leudschi hat allen gesagt, dass ich keine Fotos bezahle und die Krieger hatten mir ausrichten lassen, ich sei willkommen und koenne fotografieren soviel ich will. Es gibt Tee zur Begruessung, Chobosso bringt eine Kalebasse voller Tschai, mir kommt das Verteilen zu. Spaeter hat Chobosso Ugali, also Klossbrei gekocht, der mit etwas Zucker und Milch verfeinert wird, ansonsten nahezu geschmacklos ist. Gegessen wird mit den Fingern, alle greifen in den Topf und graben sich etwas heraus, formen das wie Knetgummi zu handlichen Eiern und tunken dies nochmals in die Milch. Gegessen wird mit der rechten Hand, die linke gilt als unrein. Danach bekomme ich eine Kostbarkeit uebergeben: Joghurt, gesaeuerte Milch, die mittels eines sternfoermigen Holzquirls, der zwischen den Handflaechen hin- und hergezwirbelt wird, mit Zucker vermischt wird. Um die Milch in der Hitze lagern zu koennen, werden die Kalebassen staendig innen ausgeraeuchert und Milch und Joghurt aus diesen hohlen Fruchtkoerpern schmeckt stets nach Rauch- ein Geschmack, den ich nie vergessen werde. Die heissesten Stunden dieses Tages liegen wir mit den anderen Moran unter einem flachen Baum und doesen, die Maenner legen ihre Koepfe dabei auf die Lorikas, die kleinen, meist dreibeinigen Baenkchen. Solche Kopfstuetzen habe ich zuerst im Nationalmuseum in Kairo gesehen, z.B. als Grabbeigabe fuer den Pharao Tut-ench-Amun. Damals dachte ich, dies seien nur Stuetzen zur Haarpflege oder um den Kopf einer Leiche entsprechend zu drappieren, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie man darauf schlafen koennte. Hier sehe ich es(zwei Tage spaeter bin ich darauf selber eingeschlafen). Als ich, ohne hinzusehen, nach einem Insekt auf meinem Unterarm greife, sticht mich eine Biene. Die gute Stimmung ermoeglicht mir, sogar Fotos von den Schmuck- und Schmerznarben zu machen, die sich beiderlei Geschlecht beibringt. Die Rendille verzieren vornehmlich ihren Bauch mit Narben, die Schmerznarben fuegen sie sich mit heissen Eisen auf den Oberschenkeln und Armen zu, um sich und anderen zu beweisen, dass sie Schmerz ertragen koennen. Mich erinnert das an die sog. "Schmisse" der "schlagenden Verbindungen", Studentenbuende, die es auch heute noch in Deutschland gibt. Auch das Piercen von Nasenfluegeln, Lippen, Zungen, Augenbrauen und sogar Geschlechtsteilen, sowie das Durchstechen von Ohrlaeppchen und Taetowierungen sind bei uns weitverbreitet. Solcherlei Narben zeigen meist Zugehoerigkeit zu einer Gruppe Gleichgesinnter. Ich habe Leudschi versprochen Abzuege fuer die Fotografierten nach Lokologo zurueckzusenden, sobald ich in Deutschland bin, damit jeder der Fotografierten etwas davon hat. Einer der Moran schleudert fuer mich einen Speer, dann will jeder einen Versuch machen, wobei mich erstaunt, dass keiner der Krieger einen duennen Baumstamm trifft. Es wird wohl nicht mehr viel geuebt. Bei Sonnenuntergang kommt das Vieh zurueck. Leudschi haelt angestrengt Ausschau nach seinen zwei Herden. Dann kommen die Tiere, muhend, bloekend, trappeln sie langsam ins Gehege, nach Hause, in die Sicherheit. Und zu den Jungtieren, denn die Kleinen koennen den taeglichen Marsch nicht mitmachen und sind in winzigen, schattigen Huetten untergebracht, aus denen sie jetzt mit einem Hakenstock herausgefischt werden. Die Muetter rufen ihre Jungen und die saugen erstmal mit ruckelnden Koepfen. Fuer diese Tageszeit haben die Samburus einen speziellen Gruss: "Szerien itinginje sziamm", was soviel bedeutet, dass dein Vieh wohlbehalten zurueckgekehrt sein moege. Um das Vieh zu locken, zu leiten und in Sicherheit zu wiegen, pfeiffen und rufen die Maenner: "Hutscha! Tschaaa! Hoi-i!" Nach dem Saeugen werden die kleinsten Jungtiere wieder in die engen Kaefige geworfen, am Kopf, am Hals, an den Beinen gepackt und "schwupps" hinein mit ihnen. das sieht grob aus, schadet den Tieren aber nicht, sonst wuerden die Hirten es nicht so machen. Heute abend, nach einem Gespraech mit Leudschi, habe ich, wie eine Erleuchtung, endgueltig verstanden, dass es sowas wie einen "Cattle-Konplex" garnicht gibt. Mit diesem Begriff belegen die Anthropologen eine Verhaltensweise, bei der Voelker i.E. nach zuviel Vieh halten. Aber fuer die Nomaden ist Vieh, einfach formuliert, Geld auf vier Beinen, die Fora ist die Bank und der Nachwuchs sind die Zinsen. Da sich eine gekaufte Herde sofort im ersten Jahr verdoppelt (man kauft ja traechtige Weibchen ein), ist der Ertrag nach etwa sieben Jahren enorm, nach 15 Jahren fantastisch. Die Kosten sind gering, da lediglich die Hirtenjungen versorgt, dass Wasser gekauft und der Transport zum Verkaufspunkt oder Schlachthof bezahlt werden muss. Das Vieh produziert zudem ja Nahrung: Milch, Joghurt, Fleisch und Blut, ausserdem Leder, Horn, Sehnen etc. Verschenkt man ein Stueck Vieh, ist das wie ein Kredit, in schlechte Zeiten zur Rueckzahlung faellig. Allerdings wird die Bilanz durch Duerren, Krankheiten und Viehdiebstaehle geschmaelert. Vor dem Eingang von Leudschis Fora baue ich mein Innenzelt auf, ich moechte ein wenig Privatsphaere haben. Die Moran helfen mir Windstabilitaet herzustellen, indem sie mit den Schwertern Holzpfloecke zuschneiden und mit Steinen in den Boden rammen. "Medaidscho ngai"- Gute Nacht, schlafe bei Gott, wunescht mir Leudschi. Was fuer ein Tag! geschrieben am 11.10. in Arusha
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