Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

9/16/2004   Kenia / Fora

Das Laemmchen Karabasch

Tod und Geburt

(Harald) Als ich im Dunkeln aufwache, ist das Vieh, nur ein paar Meter neben meinem Zelt, schon unruhig, die Hirten stehen, als ich aus dem Zelt steige, schon mitten zwischen dem Vieh, eine ganze Stunde lang. Sie sortieren die Jungtiere aus, pruefen Ohren auf Zecken, mit wachsamen Augen sondert Leudschi eine Geiss aus, die heute werfen wird. Er erzaehlt mir, dass in der Nacht, in einer Nachbarfora, eine Hyaene ein Schaf gerissen hat und man den Raeuber nicht erwischt hat.

Mein Arm ist durch den Bienenstich rot und hart geschwollen, da ich aber nur wenige Tage hier bin, kann ich darauf keine Ruecksicht nehmen.

Der Eingang des Geheges wird von Chobosse geoeffnet und die Tiere stroemen hinaus, die Knaben schultern ihre Kalaschnikovs und pfeifend, duenne Stoeckchen schwingend, treiben sie die Tiere gemaechlich in die Savanne.

Diese Fora besteht erst seit 10 Wochen und wenn Ende Oktober die Grosse Regenzeit beginnt, ziehen die Nomaden weiter. Dann ist hier im Umland alles abgegrast, viel Feuerholz geschlagen und die Natur kann sich erholen.

Ich habe von Leudschi ein Schaf gekauft und das werde ich heute morgen schlachten. Mit drei Knaben und einem der Aeltesten und Leudschi, der das Schaf an einer Leine fuehrt, gehen wir in eine kleine Schlucht, die sich im Huegelhang gebildet hat.

Ich halte das Gesicht des Schafes in meinen Haenden, die weiche Nase, das zarte Fell oeberhalb davon. Das Tabu des Toetens, Blutvergiessens ist stark, ich bin etwas nervoes, schaue das Tier nochmals an.

Die Maenner muessen das Tier fuer mich auf die andere Koerperseite drehen, denn ich bin Linkshaender. Sie halten Kopf, Schwanz und Laeufe, ich fasse den Kopf mit der Rechten und ziehe mit der Linken das Messer tief durch die fette Lederhaut der Kehle, das Messer scheint zu stumpf und weil ich den Kopf halte, kann ich die Haut nicht spannen, es dauert, dann der zweite Schnitt durch die Luftroehre und den Schlund, Sehnen, Venen, Arterien, Muskeln, Blur spritzt hellrot auf meine Arme, auf mein Hemd, Oberschenkel und Schuhe und auf den Knaben neben mir.

An allen Vieren auf dem Boden gehalten, wartet das Tier auf seinen Tod, die Augen weit geoeffnet, nicht begreifend, was mit ihm geschieht, es strampelt, versucht wegzulaufen, dann ergibt es sich, nach 4-5 Minuten sind die Augen erloschen, der Magen oeffnet sich, wie bei einem Menschen der stirbt, ich habe das in Bahir Dahr bei Teshfaneh gesehen.

Ich ueberlasse das Ausweiden und Zerlegen, das eigentliche Schlachten, dem Aeltesten und gehe mit Leudschi hangaufwaerts, wo er einen Bienenstock findet. Mit seiner Lalemm, dem Schwert, schlaegt er eine grosse Kerbe in eine Akazie und nach 10 Minuten hat er die kleinen Waben freigelegt. Diese wilden Bienen sind winzig, kaum 3 mm gross und haben keinen Stachel. Leudschi gibt mir die honigtriefenden Wabenstuecke voller Bienenmaden, die meisten puhle ich heraus, den Rest esse ich mit. Hat man die Wabe durchgekaut, spuckt man den Rest aus.

Vom Kamm des Huegels kann ich ueber die Foras hinaus weit in das Grasland schauen. Weit, weit draussen sehe ich weisse Punkte, Ziegen, aber die meisten Herden sind zu weit entfernt.

Als wir wieder unten sind, haben die Maenner die Zeige bereits geroestet und ich suche mir die magersten Stuecke aus, waehrend die Maenner das weisse Fett und die Innereien bevorzugen. Als ich nach dem Herz frage, entschuldigt man sich, dass sei schon gegessen, Leudschi ist erstaunt: "Du willst das Herz?"

Einer der Knaben lacht mich scheinbar aus, ich frage Leudschi.

"Ja, er lacht ueber dich, weil du nicht richtig essen kannst (ich benutze kein Messer) und nicht richtig sitzen kannst (das Hocken auf den Fersen ist mir unbequem)."

Ich sage dem Jungen, dass wenn einer anders aesse und saesse als sie, dass nicht hiesse, er wisse das nicht richtig zu tun. Es hiesse nur, dass er es anders mache und wenn Deutsche sie hier so hocken sehen wuerden, ihnen mancher sagen wuerde, sie wuessten nicht richtig zu essen und zu sitzen.

Auf dem Rueckweg kommen wir an einer niedrigen, tiefen Hoehle vorbei die offensichtlich von einem Stachelschwein bewohnt wird. Waehrend ich die vielen Stacheln betrachte, die das Tier hier ueberall verloren hat, prasselt es dicht hinter mir unverkennbar. Bar jeder Scham pisst einer der Knaben mitten unter uns, einen Meter entfernt. Ich sage dem Jungen via Leudschi, dass er kein Benehmen habe und das zukuenftig in meiner Anwesenheit lassen soll. "Oeje", bestaetigt der.

Ich ueberlege kurz, in den Bau zu kriechen, um das Stachelschwein herauszutreiben. Entgegen dem verbreiteten Glauben, kann ein Stachelschwein seine Schwanzstacheln nicht mit dem Wedeln seines Schwanzes schleudern, sondern es dreht sich im Falle einer Bedrohung um und laeuft rueckwaerts auf seinen Gegener los, um ihm seine kuerzeren, lose sitzenden Schwanzstacheln ins Fleisch zu rammen. Letztlich entscheide ich mich gegen einen Versuch, denn die Hoehle verengt sich in der Tiefe und ich habe keine Taschenlampe dabei.

Es ist schon heiss, als wir wieder in der Fora sind. Kurze Zeit spaeter sehe ich, dass sich das Schaf, dass Leudschi ausgesondert hat, weil es heute werfen wird, hingelegt hat und alarmiere einen der Aelteren. Das Tier ist im Schatten eines Strauches angebunden.

"Woran hast du gesehen, dass die Geburt heute stattfinden wird", frage ich Leudschi, der hinzutritt.

"Siehst du wie geschwollen der Euter ist? Das zeigt dir die geburt an", antwortet er.

Das Tier aechzt, schaut immer wieder auf sein Hinterteil, ich sehe schon die Vorderhufe hinter einer glaenzenden Haut, zerreisse die Haut, fasse die Hufe und ziehe, wobei mir Leudschi sagt, ich solle langsam und Richtung Ruecken, also aufwaerts ziehen. Der Aeltere fasst beidhaendig zu und erweitert den Geburtskanal, es erscheint ueber den Vorderlaeufen der Kopf, die Augen sind schon offen, ich ziehe kraeftiger, dann geht es ganz schnell, "schwapp" und "schlatsch" macht es, ein gelbgruener Gallert ergiesst sich, ein wenig Blut, mit einem Fingerknipsen ist die Nabelschnur durchtrennt, das Laemmchen beginnt sofort zu atmen, ich saeubere ihm die Nase vom Schleim, lege es an die Schulter der Mutter, die es sogleich sauberzuknabbern beginnt. Dann kommt noch ein kleiner Blutschwall und es ist vorbei.

Binnen einer Stunde ist das Lamm sauber, die Nabelschnur getrocknet und es steht, wenn auch wacklig, auf den Beinen, schneeweiss mit pechschwarzem Kopf, "Schwarzkopf-Karabasch" denke ich, Karis eigentlicher Name.

In der Nacht hoere ich Klatschen und Gesaenge der Knaben und Maedchen, ich bin zu muede und schlafe weiter, mit Kuegelchen von Toilettpapier in den Ohren und hoere nicht, dass mich Leudschi wecken will, um mit mir zu tanzen.

geschrieben am 12.10. in Arusha


 


  Team Login

© biketour4goodhope