9/17/2004 Kenia / Fora
Nomadendisko
Die Starre der Taenzer
(Harald) In der Nacht hat ein Schakal den Versuch, sich ein Zicklein aus einer der Nachbarforas zu holen, mit dem Leben bezahlt. Die Hunde schlugen an, die Jungs stuermten vom Tanzplatz zu den Gehegen, der Schakal war innen, eingekreist, einer der Jungs ging hinein und scheuchte den Schakal aus der Herde heraus und dann hat man den gluecklosen Raeuber gesteinigt und seinen Kadaver 20 Meter weiter ins Gras geworfen, damit andere Schakale gewarnt sind. Aber in einer weiter entfernten Fora konnten auch Schuesse nicht verhindern, dass sich Hyaenen zwei Schafe holten. Wegen dieser Ueberfaelle sind die Maenner oft die halbe Nacht wach, ausserdem ist es nachts angenehm kuehl und deshalb schlafen die Moran zur heissesten Zeit des Tages. Mittags erreicht das Thermometer ueber 40 Grad und ohne den kuehlenden Wind waere es quaelend. Ich dagegen habe gut geschlafen und verbringe viele Stunden mit den jungen Frauen und Chobosso, Leudschis Frau. Da ist eine grosse, huebsche junge Frau namens Nandschiro, deren Gesicht und schoenen Schmuck ich zeichne, was begeistertes Erstaunen ausloest. Das Maedchen flirtet ganz ungeniert mit mir, ich mache ein paar einfache Tricks, simuliere eine grosse schwarze Grille zu essen, die Frauen quietschen vor Vergnuegen. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben, unterhalten wir uns praechtig. Als die Moran aufgewacht sind, wollen sie etwas "Karate" sehen (tatsaechlich handelt es sich um koreanisches Karate=Taekwondo). Leudschi hat ihnen erzaehlt, dass ich Job, Merayons Sohn, ein paar Kniffe gezeigt habe, weil er in der Schule von einer Gruppe Jungs mehrmals geschlagen wurde. Jetzt soll ich den Maennern zeigen, wie das geht und unglaeubig versucht einer nach dem anderen meine Arme, mein Genick usw. festzuhalten und wundert sich, dass alle Kraft nicht ausreicht, um mich zu halten. Sie schuetteln die Koepfe, lachen, noch ein Versuch und noch einer. Leudschi zeigt mir dann, wie die Moran mit den metallbeschlagenen Keulen, den Rungus kaempfen. Sie springen blitzschnell auf den Gegner zu, schlagen einmal und federn ausser Reichweite zurueck und wiederholen das, bis der Gegner am Boden liegt. Am Abend nehme ich eine Muetze Schlaf, dann stehe ich wieder auf und gehe mit der Taschenlampe zum Tanzplatz, das Klatschen und Singen weist mir die Richtung in der mondlosen Nacht. Dort heisst man mich hektisch, das Licht zu loeschen, weil Spaeher so die Zahl der Maenner erfassen und von weit her schiessen koennten. Es sind etwa 20, meist ganz junge Leute versammelt. Die Knaben haben ihre Gewehre zu Pyramiden zusammengestellt und einige tanzen im Kreis, waehrend zwei im Mittelpunkt stehen und klatschen und singen. Aussen stehen drei Maedchen, ich sehe auch Nandschiro. Den Verheirateten ist das Kommen untersagt. Ich tanze sogleich mit, ich weiss schon wie es geht, es faellt mir leicht. Diese Gesaenge und Taenze sind etwas ganz Besonderes. Sie sind elementar wie das Atmen, der Schlag des Herzens und das Pulsieren des Blutes in den Schlaefen. Das Stampfen der Fuesse, Wiegen der Oberkoerper, Nicken des Koepfe, die Spruenge, all das erzeugt Spannung. Die beiden Vorsaenger (jetzt weiss ich, warum der eine immer so heiser ist) klatschen knallhart in die Haende, dann singen sie erneut aus voller Kehle mit hohen Stimmen, die Maedchen kommen naeher, tanzen kurz mit, wobei sie die Augen schliessen und ihren Halsschmuck durch das Nachvornerucken der Schultern auf und ab tanzen lassen. Dann singen sie laut, mit hellen, kehligen Stimmen, die etwas Durchdringendes, Herausforderndes haben. Wir Maenner springen jetzt hoch, beidbeinig, nur aus den Fussgelenken heraus, mit einem Fuss stampfen wir auf. Nach einer Stunde zieht sich der Kreis enger um die Saenger, wir ruecken zusammen, halten uns umschlungen, an den Hueften umklammert, meine Haende fuehlen die des uebernaechsten Nachbarn, wir springen alle gemeinsam, wir halten die Schukas und Saris der anderen. Die Muskeln der Jungs sind jetzt heiss, hart, alle schwitzen, die Maedchen beginnen wieder zu singen. Waehrend die Knaben und Moran von der Staerke ihrer besten Bullen singen (das laesst sich leicht als eine Uebertragung entlarven), besingen die Maedchen den Mut und die Kampfstaerke der Maenner und das heizt die Jungs maechtig an- man stelle sich das vor: in einer deutschen Diskothek wuerden die Maedchen den Jungs kehlig im Chor schmeicheln, wie toll, mutig und gefaehrlich sie sind, wie sicher sie sich unter deren Schutz fuehlen... Und so passiert, was ich bisher nur auf Fotos gesehen habe: Mein rechter Nebenmann haelt die Spannung nicht mehr aus, rast urploetzlich in einem Affenzahn hinaus in die Dunkelheit, mein linker Tanznachbar bricht in einem Stakkato von gehechelten, brummenden Lauten zusammen, starr faellt er wie ein Brett vornueber, sein Freund muss ihn halten, weil er sich sonst verletzt. Es wird weitergetanzt, gesungen, dass ist nichts Ungewoehnliches. Dann bricht der Zweite zusammen, auch er grunzt, hechelt mit aufgeworfenen Lippen, seine Augen sind verdreht, seine Arme liegen stocksteif am Koerper, zwei Jungs ergreifen die Arme, biegen sie gestreckt nach hinten und halten den etwa 15-Jaehrigen so fest, der sich schuettelt und vibrierend vor und zurueckwiegt und schliesslich wie ein Buegelbrett weggetragen wird. Die Jungs waren meine Tanznachbarn und als einer der Erstarrten nach 10, 15 Minuten abseits wieder zu tanzen beginnt und seine Freunde ihn gewaltsam zu mir hinziehen, wehrt er sich heftig und verfaellt in den naechsten Anfall. Wohlgemerkt: die Jungs haben andere von meiner Seite verdraengt, um mich zu umarmen, haben mich wieder und wieder zwischen sich bugsiert. Trotz der Dramatik lachen alle, schwatzen, singen und tanzen weiter. Ich aber gehe zur Fora zurueck, kann sie aber nicht finden und bin erleichtert, als einer der Taenzer mich geleitet. geschrieben am 12.10. in Arusha
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