Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

9/18/2004   Kenia / Fora

Milch und Blut

Eine besondere Diaet

(Harald) Im Morgengrauen gehe ich mit Leudschi zu einer der aeusseren Foras, bevor das Vieh zu den Weidegruenden aufbricht.

Der Moran, Eigentuemer dieser Herde, ist ein enger Freund Leudschis. Er holt einen Bogen mit einem speziellen Pfeil, dessen flache Spitze stark gerundet und kurz ist.

Die Moran fangen eine Kuh und binden ihr mit einem Sisalseil den Hals ab, um die Schlagader hervortraten zu lassen. Leudschi kniet sich etwa einen Meter entfernt seitlich vor den Hals und schiesst den Pfeil in den Hals der Kuh. Der Pfeil bleibt wegen der kurzen Klinge nicht stecken, sondern prallt zurueck. Beim zweiten Versuch hat er die Ader getroffen, ein bleistiftduenner Blutstarhl sprinkelt weit hervor, wird in einer alten Konservendose aufgefangen, etwa 2 Liter.

Dann loest der Moran das Seil und die Ader schliesst sich automatisch. Ein anderer ruehrt derweil das Blut mit einem Stock, bis das Geronnene am Stock abbindet und entfernt werden und einem der Hunde vorgeworfen werden kann.

Das Blut wird nun in einer Kalebasse mit schaeumender Kuhmilch verriehrt und ich trinke ohne zu zoegern das bordeauxfarbene Gemisch in satten Zuegen. Es schmeckt vornehmlich nach Milch, ist warm und saemig und- entgegen warnender Hinweise, die ich schon mehrfach gehoert habe- es bekommt mir gut.

Die Nomaden ernaehren sich traditionell eigentlich nur von Tee, Milch, Blut und Fleisch, sowie dem, was sie in der Natur finden, wie z.B. Honig. Selbst Ugali ist erst einige dutzend Jahre lang bekannt. Salat und Gemuese, Fisch und Teigwaren waren ihnen unbekannt und wenn ich sehe, was fuer Adonisse troztdem dabei herauskommen, kann man sich ueber die zahlreichen Ernaehrungstipps in Deutschland nur wundern, die uns erzaehlen, ohne Salat und Gemuese ginge es garnicht.

Mir ist in den vergangenen Monaten unter den Wandervoelkern der Turkana, Pokot, Rendille und Samburu keiner begegnet, der gestottert oder einen Tick gehabt haette. Neurosen scheint es nicht zu geben. Man ist emotional, aber nicht neurotisch. Man hat stets Zeit, ist relaxt, isst nur, wenn man Hunger hat und nicht zur Kompensation. Untereinander unterhaelt man sich ruhig und freundlich. Aerger flammt auf, verfliegt aber rasch.

Ich spreche mit Leudschi ueber die Beschneidung der Maedchen. Er sagt, Chobosso sei beschnitten, aber seine Toechter liesse er nicht mehr beschneiden, dass "toete die Suesse der Frau". Und im Radio sagten sie auch immer, dass es falsch und verboten sei. Fast alle Moran haben hier draussen ein kleines Kofferradio und lauschen gespannt den Nachrichten.

Waehrend der Grossen Schlafpause unter dem Baum liegen wir Maenner wieder zusammen, einer neben dem anderen, hinter meinem Kopf einer der Hunde, zwischen den Beinen stacks eine der kleinen Ziegen umher.

Ich mag die Tiere, ich fasse sie gerne an, ihre zarten Gesichtchen, klaube ihnen Zecken heraus und presse die Fliegenmaden aus den Felltaschen, beides koennen sie nicht selbst oder gegenseitg.

Am Abend kommt das Vieh zurueck. Leudschi schaut angestrengt nach seiner Herde, wir gehen ihr entgegen. Nichts fehlt, nur eine Ziege hat sich ein Bein gebrochen und muss getragen werden. Ich fuehle die Sorge um die Tiere mit.

Keines dieser Tiere stirbt an Alter. Sofern es nicht zum Eigenbedarf geschlachtet wird, einem Raeuber oder einer Krankheit anheim faellt, wird es verkauft. Wer also viel Vieh besitzt, ist logischerweise reich, denn er kann staendig viel Vieh verkaufen und hat Geld. Ausserdem kann er seine Herde aufteilen und somit das Sicherheitsrisiko schmaelern. Wird eine Herde gestohlen oder erkrankt in einer Region, bleibt ihm noch die andere. Wer viel Vieh besitzt, kann auch verkaufen, wenn der Viehpreis hoch ist, waehrend der mit wenig Vieh warten muss, bis genug Tiere herangewachsen sind, um zu verkaufen. In Notzeiten wird dann zuviel Vieh angeboten und der Preis sinkt.

Mit dem Vieh sind alle Feste, Zeremonien und Bezahlungen verbunden. Man schenkt Vieh, um in Notzeiten eine Hilfe fordern zu koennen und sich sozial einzubetten. Den gleichen Sinn macht die Polygamie. Mit jeder Heirat wird eine neue Verbindung geschaffen, die Hilfe und Schutz bietet.

Die Tiere sind Geldersatz, Kreditkarten, Bankkonto, Aktien in einem. Sie transportieren die Nahrung fuer die Nomaden auf ihren eigenen Beinen, sie wandeln Gras, dass fuer uns ungeniessbar ist, durch Wiederkaeuen in fuer die Menschen verwertbare Nahrung.

Chobosso hat kein Ugali mehr, der Zucker wird knapp und jetzt in der Trockenzeit geben die Tiere wenig Milch. Ich habe 2 kg Kautabak unter den Moran verteilt und etwas zu Essen mitgebracht, aber jetzt ist alles verzehrt. Und ich bin hungrig!

Es ist der letzte Tag, morgen gehe ich zurueck nach Lokologo. Mir ist etwas wehmuetig ums Herz. Diese Menschen haben mich wirklich aufgenommen, sie moegen mich. Sie begegnen mir offen, ohne Vorurteile, ich werde nicht nach Geld gefragt. Bei allen Unterschieden sind wir uns nahe gekommen.

Leudschi erzaehlt mir, das Nandschiro erst 13 ist- ich bin foermlich geschockt. Was? Das Maedchen ist 180 gross, vollentwickelt und auch sonst macht sie einen recht reifen Eindruck, ich haette sie auf ca. 18 geschaetzt. In Deutschland wird diese junge Dame als Kind definiert.

Leudschi versucht mir ein Leben in Lokologo schmackhaft zu machen. Es gibt mehrere Europaeer und Amerikaner in Nordkenia, die mit heimischen Frauen verheiratet sind, sich hier niedergelassen haben. Aber bei allem Interesse: Auf Dauer wuerde ich hier nicht gluecklich sein koennen.

geschrieben am 12.10. in Arusha


 


  Team Login

© biketour4goodhope