9/27/2004 Kenia / Nairobi
Die Geschichte der kenianischen Eisenbahn
Dunkle Jahrzehnte
(Harald) Am Montag gehen Merayon, ihre Cousine, die Kinder und ich ins Eisenbahnmuseum in Nairobi. Es liegt hinter dem Bahnhof, ein kleiner Schauraum zeigt die Entwicklung der Eisenbahnlinien um den Anfang des letzten Jahrhunderts. Wie die Araber, die Niederlassungen und Stuetzpunkte in Malindi, Zansibar und Mombasa an der Kueste hatten, sich Zwecks Handels von Elfenbein und Sklaven von dort aus ins Innere Ostafrikas vorwagten, so machten auch die Englaender sich zunaechst die Kueste untertan und erschlossen vor allem Kenia und Uganda dann durch den Bau einer Eisenbahnstrecke. Zunaechst wurde die Trasse von Mombasa bis Nairobi gebaut, dass damals, um 1900, aus ein paar Baracken bestand. Dabei mussten mehrere Fluesse ueberquert werden, u.a. der Tsavo. Ein englischer Ingenieur war mit dem Bau der Bruecke beauftragt und wurde zum Helden und Buchautor, dem mit dem Film "Der Berg und die Dunkelheit" ein filmisches Denkmal gesetzt wurde. Zwei maennliche Tsavo-Loewen, die sich von anderen Spezies durch kleine Maehnen unterscheiden, wahrscheinlich wegen der grossen Hizte in diesem Gebiet, hatten die hunderte, ueberwiegend indischen, Bauarbeiter angegriffen und frassen nach unterschiedlichen Angaben drei Dutzend Menschen, nach anderen Quellen weit ueber 100. Selbst Grosswildjaeger und Massaimoranis konnten die Katzen nicht erlegen, die Bauarbeiten kamen schliesslich voellig zum Erliegen, weil die Loewen, die von den Einheimischen die Namen "Berg" und "Dunkelheit" bekamen, sogar in die Zeltlager und ins Krankenhaus eindrangen. Am Ende erschoss der Ingenieur beide Loewen, die ausgestopften Felle kann man in Chikago im Museum besichtigen. Die Bahnlinie wurde dann bis zum Viktoriasee weitergebaut, erreichte dann Kampala. Diese Zeit war die des "Wilden Westens" in Afrika, des "Westward ho!", heute verklaert zur Romantik um Abenteuer und Erschliessung. Tatsaechlich ging mit der Eroberung Ostafrikas ein Massensterben von Mensch und Tier einher. Die Massai, die fast ganz Suedkenia unter ihrer Kontrolle hatten, waren in Stammesfehden verwickelt und sie selbst, sowie ihre Lebensgrundlage, dass Vieh, wurde durch Seuchen und Krankheiten, die aus Europa eingeschleppt wurden, drastisch reduziert. Ihr militaerischer Widerstand gegen die Kolonisation war dadurch gebrochen. Waeren die Englaender auf die volle Staerke der Massai getroffen, waere die Geschichte Ostafrikas wahrscheinlich anders ausgegangen. Trotz der bereits vorausgegangenen kriegerischen Auseinandersetzungen gab es um 1900 noch etwa 1 Millionen Massai(!), um 1960 aber nur noch etwa 150.000- ein Ausrottungsschnitt, der fuer "Kolonisationen" eher unterdurchschnittlich war (in Nordamerika kam man auf 95 %, auf den Kanarischen Inseln und in Tasmanien auf 100%). Die Kikuyu, Kamba, Embu, Luo und die anderen Staemme, leisteten zwar Widerstand, waren den modernen Waffen aber nicht gewachsen. Es wiederholte sich das gleiche Fanal, das die Europaeer, allen voran die Englaender, schon in Nord- und Suedameria erfolgreich angerichtet hatten: die Unterjochung und Ausrottung der Staemme, Landnahme, Zerstoerung der Lebensgrundlagen, Einsperren in Reservate. Dahinter stand ein rassistischer Ueberlegenheitswahn. Schon die arabischen Sklavenjaeger und-haendler, vornehmlich aus den Sultanaten Oman und Muskat, hatten skrupellos von Zansibar aus Beutezuege ins Landesinnere unternommen. Sie nannten die Afrikaner "Schwarzes Elfenbein", ihre Macht war so gross, dass es ein Sprichwort gab: "Wenn in Zansibar die Floete spielt, tanzt ganz Ostafrika bis zu den Grossen Seen", und das arabische Wort fuer "Schwarze" ist bis heute das gleiche wie fuer "Sklave": Abid. Die Englaender machten da weiter, wo Araber und Portugiesen aufgehoert hatten. Wenn ich jetzt vor den Ausstellungstuecken hier in Nairobi stehe, ist von den Opfern nicht die Rede. Man hat in Kenia den Eroberern, scheints, das eigene Fiasko vergeben. Selbst in Nyeri, der Hochburg des Kikuyuwiderstandes, ist das kleine Denkmal- fuer die Opfer des Unabhaengigkeitskampfes, "Mau-Mau-Aufstand genannt", bis 1957- zerfallen, es gibt keine lesbare Inschrift mehr. "Nichts ist ungeheuerlicher als der Mensch." Sophokles: Antigone Also nur Fotos, Konstruktionsplaene, Geschirr, Werkzeuge- die gute, alte Zeit eben. Zeugnisse einer technisch ueberlegenen Kultur, die sich deshalb fuer moralisch, ethisch, rassisch ueberlegen hielt. Wir Europaeer haben stets die Vorlage fuer den Rassismus gegeben, der heute von den Nordkenianern den Nomaden gegenueber gezeigt wird. Ein Schuhputzer, Kikuyu, sagte mir in Nanyuki, die Nomaden lebten "wie die Tiere". Ein Beamter der tansanischen Regierung sagte mir nahe der Serengeti, die Massai wuerden "wie Scheisse stinken" und 1980 soll der kenianische Minister fuer Innere Sicherheit, G.G.Kaisuki, Zeitungsberichten zu Folge gesagt haben, nur "ein toter Somali ist ein guter Somali", eine ueber 100 Jahre alte Redensart, die aus den Indianerkriegen in Nordamerika herruehrt. Die Geschichte der Eisenbahn ist die des Untergangs ganzer Kulturen, kein Kikuyu, kein Kamba, kein Embu und kein Luo lebt heute noch traditionell, alles hechelt unserem Lebensstil hinterher und verachtet dabei diejenigen, die dies nicht tun. Der Politologe Francis Fukuyama hat die These aufgestellt, derzufolge "mit der Ausbreitung repraesentativer Demokratie und freier Marktwirtschaft der Idealzustand der Menschheit erreicht, eine definitive Gluecksformel gefunden, kurzum das "Ende der Geschichte" gekommen sei." (P. Scholl-Latour: Afrikanische Totenklage) Ist es das, was wir immer noch glauben wollen? Warum wir uns erdreisten, andere Voelker mit Krieg zu ueberziehen, mit Technik, Tourismus und unseren Lebensvorstellungen zu traktieren? Ich glaube ganz und gar nicht an unsere moralische Ueberlegenheit. Ich glaube, dass wir viel lernen koennen, ueberall, ich glaube, wir brauchen Bescheidenheit und Toleranz und Afrika braucht 50, ja 100 Jahre, um sich zu entwickeln. Wie sah es denn bei uns vor 60 Jahren aus? Wo war unsere westlich-ethische Ueberlegenheit 1914, 1939, dann Stalin, dann Yugoslawien, heute die gefangenen Iraker in amerikanischen Gefaengnissen? "Eine grenzenlose Klage wohnt in mir. Ich weiss Dinge, mit denen ich mich nicht abfinden kann. Welcher Daemon hat mich nach Afrika getrieben? Was habe ich in diesem Erdteil gesucht? Vorher lebte ich gelassen. Aber jetzt weiss ich und muss sprechen." Andre Gide: "Yoyage au Congo" Aber zurueck zur Eisenbahn, den schoenen Lokomotiven und Wagons, die hier draussen stehen. Da ist ein grauer Zug, von dessen Trittbrettern 1900 ein englischer Bahningenieur von einem Loewen heruntergeholt und gefressen und der dunkelrote Zug, der fuer die Filmarbeiten von "Out of Arfica" verwendet wurde. Wir machen ein paar Aufnahmen. Die Abteile der Jahrhundertwende waren holzgetaefelt, man mietete ein ganzes Abteil mit Klapptischen, Polstersitzen, Betten und eigenem Bad. Man trug Weiss, Tropenhelme und Handschuhe, Sonnenschirme und ein ueberhebliches Gehabe zur Schau. Meine Generation kennt ja noch den Begriff "Eingeborene" und "Neger" und in der Bundeswehr waren bei meiner Einheit 1979 bei der Militaerpolizei Judenwitze an der Tagesordnung. In meinem ersten Geschichtsbuch am Gymnasium hiessen die Indianer 1969 noch "blutruenstig" und ich war der einzige Schueler, der dies monierte. Aber troztdem: schoene Zuege sind das, eine imponierende Technik, erkennbare Dynamik laesst sich besser erklaeren als versteckte. Ich kann Merayon und Job, mangels irgendwelcher museumseigener Erklaerungen, zumindest zeigen, wie eine Dampflok funktioniert ("Watt issene Dampfmaschien? Stelle mer uns ma janz doof." War das nicht Heinz Rhuemann in die "Feuerzangenbowle"?). Dann gehen wir in einem Gartenlokal zusammen essen, spaeter ins Kino. Der gute alte Voltaire hatte sich fuer die Rechtfertigung eigenen Gewinns aus dem Sklavenhandel den Kokolores zurechtgelegt, dass "zwischen dem Weissen und dem Neger ein ebenso grosser Unterschied bestehe, wie zwischen dem Schwarzen und dem Affen." geschrieben am 13.10. in Arusha
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