9/30/2004 Kenia / Nairobi
Sail on
Ist der wahre Ernst des Lebens nicht heiter?
(Harald) Donnerstag. Ich bin in Nairobi. In Nairobi bluehen die Jacarandabaeume auf der Tom Mboya Street und der Kenyatta Avenue, die lichten Kronen der Baeume sind voller violetter Blueten. Ich trete auf die herabgefallenen Blueten. Die Schoenheit erreicht mein Auge, nicht meine Seele. Irgendwann am Tag stelle ich fest, dass ich einsam bin. Die Einsamkeit war schon lange da, sie hat sich eingeschlichen, aufgebaut. Verborgen unter Gesellschaft, Aufgaben und maennlicher Disziplin, hat sie ihre Kraft gesteigert, ihre Truppen gesammelt und jetzt schlaegt sie ihre Schlacht gegen mich und ich stelle fest, dass ich verloren habe. Die Einsamkeit klumpt mich zusammen. Ich bin irgendwo in Down Town, beileibe nicht alleine, Menschenmassen umfluten mich, rempeln mich an. Ich gehe wie betaeubt, stehe irgendwo. Der Ton ist abgeschaltet. Panik durchfliesst mich, Angst, dass ich diesen Zustand nicht ohne Hilfe ueberwinden koennte. Ich will weglaufen, hinlaufen - nur: wohin. Warum bin ich hierher gegangen, an diese Stelle, wo wollte ich hin. Ich bin ziellos. Die Gefuehle sind an jedem Platz gleich, wohin soll ich fliehen. Hochhaeuser. Meine Sonnenbrille ist beschlagen. Ich greife danach, aber da ist nichts, es ist mein Blick. Ich gehe weiter, mit steifen Beinen wie Stoecke, einen Bogen, einen Kreis, wozu. Mein Magen revoltiert, mein Gedaerm krampft, ich fuehle mich wie ein Delinquent, ich halte das nicht mehr aus. Wenn es noch ein bisschen schlimmer wird, geben meine Beine nach, denke ich. Hinsetzen. Worte. Worte tropfen, faedeln sich durch meine Angst, die jedes Denken blockiert. Mails: Du schaffst das Harald! Klar, ich habe es ja auch bis hierher geschafft. Da ich keinen Ausweg hier, jetzt sehe, irren meine Gedanken in die Vergangenheit, wollen das Zeitrad zurueckdrehen, es gibt keinen Halt und wieder finde ich mich hier, zitternd. Die Treppe erscheint unueberwindlich, ich drehe um. Nach Hause fliegen, alles hinschmeissen...Nebel, Watte. Ich ertappe mich vor dem Hilton Hotel: Du stehst hier rum wie ein Betrunkener! Dann wache ich im Chicken Inn auf, ein weisses Softeis in der Hand (Erdbeersosse ist heute keine zu bekommen). Ich will lesen. (Gruener Tisch, da bin ich mir sicher). Lese. Gedanken, Erinnerungen- das hier habe ich schon mal gelesen. Wo habe ich angefangen. Es geht um Nomaden, aber das ist mir im Moment scheissegal. Wieder Fragen. Warum, was waere wenn, wann war das- und dann. Lauter bloedes, ueberfluessiges Zeug, ich versuche mich aufzuraffen. Schluss jetzt! Aber gegen diese Gewichte an meinen Schultern, gegen diese Droge in meinem Blut bin ich machtlos. Was nuetzt Verstehen eigentlich, all das Ansammeln von Informationen, das Eintauchen. Es nuetzt nichts, oder. Oder wenig. Ich bin versteinert. Warum loesen sich meine Gefuehle nicht in Regen auf, warum schwimmen sie nicht leicht wie ein Kanu dahin. Wozu all die Beherrschung, Vernunft, Ratio. Scheiss drauf. Ich presse Gedankenwolken, aber der Regen faellt nicht. Schwarze Abgase, brennende Augen. Busse trompeten, brutal, der Bus nach Mombasa. Wann war das. Ich war in Tagtraeumen so oft da, besser ich fahre gar nicht hin. Diskomusik wabert: Sail on, sugar, sail on honey, sail on silver bird. Ich jedenfalls segle jetzt hier raus! Raffe mich auf, ich kann gehen. Hupen. Ich stehe mitten auf der Fahrbahn wie der Rain Man. Hupen. Raser! Helft Rasern, spendet Hirn. Wer hat mir ein Schlafmittel in den Tee geschuettet. Wie soll ich das durchstehen. Meine Zaehne knirschen, meine Schultern sind hart wie Holz, hochgezogen, jedes Kopfdrehen schmerzt, ich muss den Oberkoerper drehen, um mich umzublicken. Ich finde mich im Kino wieder: "I, Robot". Wie passend. Ich bin so muede. Ins Hotel, das Tuerenschlagen, Geschrei, Tuckern von Moppeln, kein Strom, Kerzen im Flur, kein Wasser, alles egal, in einer anderen Dimension. Vier Uhr aufgewacht. Los! Sofort! Aber wohin? An Schlaf nicht zu denken. Wer sagt, dass man das Leben nur lieben kann, wenn es heiter ist? Ist der wahre Ernst des Lebens nicht heiter? Lionel Ritchie sei Dank: Sail on...would you please just go awayyyy, yeah, yeah. So Ill be on my way, I wont be back to stay, I guess I move alone, Im lookin for a good time, gooood tiii-iiiime- sail on... geschrieben und noch mal durchlebt am 15.10. in Arusha
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