10/21/2004 Tansania / Mombo
Petro Luebben
18 Jahre unterwegs
(Harald) In der Nacht, irgendwann gegen 2, 3 Uhr, ein Trommeln und Floeten- ach ja, Ramadan, Wecken zum Essen. Heiligs Blechle, Leute, ich bin bestimmt nicht der einzige Nichtmuslim oder Muslim, der schlafen will! Aber dann denke ich an die Kirchenglocken, die in Deutschland auch die Muslime wecken. Und ich denke an Fetiye in der Tuerkei, wo nachts ein Trommler durch die Gassen zog. Dann, um 5.30 Uhr neuerliches Wecken, der Muezzin ruft zum Morgengebet, die ganze Predigt wird wieder eine Stunde lang ueber Megaphon schallend verbreitet. Nach einem kurzen Morgenmahl fahre ich um 7.45 Uhr ab. Wie in Moshi, so habe ich auch hier nicht das Gefuehl, dass man von mir eine Gegenleistung erwartet. Es ist stark bewoelkt, sieht wieder nach Regen aus. Ich sehe am Strassenrand einen jungen, ueberfahrenen Honigdachs und eine tote Meerkatze mit einem Jungen. Ueberall haengen zylinderfoermige Bienenkoerbe in den Baeumen. In der Ebene erstrecken sich kilometerweit Sisalplantagen, kleine Herden ziehen umher, die Busch- und Baumsavanne wird gruener, dichter, das Klima feuchter. Schon um 9.15 Uhr habe ich ein Drittel der Tagesstrecke geschafft. Es gibt Mandasi und Cola und eine christliche Predigt im Radio. In der Naehe von Hedaru kommt mir ein Japaner entgegen, faehrt aber durch. Dann ein zweiter Fernradler, wie sich heraustellt, ein Deutscher aus Bremen. Sein Rad ist unglaublich beladen, sowas habe ich noch nie gesehen. 80 kg wiegen Rad und Gepaeck, wie auf einem Schild im Rahmen des Rades geschrieben steht, dass auch seinen Weg durch die Welt und 34 Laender, vorallem in Afrika illustriert, sowie die Zahl der Pannen, die er hatte: 305. Der Mann um die 40 heisst Petro Luebben, ein Kerl wie ein Baum, 185 gross, muskuloes, blond, mit wehenden, langen Haaren, kurzer, schwarzer Lederhose, einem duennen T-shirt ohne Aermel, wildem Schmuck mit Haifischzaehnen ("...die denken bestimmt manchmal, ich sei ein Zauberer!"), einem Klappmesser, dass er seit 20 Jahren am Guertel traegt. Er spricht mit ruhiger, nachdenklicher Stimme, ein freundlicher Kerl mit verschmitzten Augen. Petro ist seit 1986 unterwegs- 18 Jahre ohne Zuhause. Im Schatten einer Akazie erzaehlt er mir von seinem Radfahrerleben, von seinem Unfall 1992 in Suedafrika, von den vielen Abschieden. Da stehen wir voreinander, als kennten wir uns seit Jahren, weil wir spueren, wir verstehen uns sofort, wir wissen, wovon wir reden. Ich erzaehle ihm von meinem Lebenstraum, der so gaenzlich anders verlaeuft, als gedacht. An seinen vorderen Low-Rider-Taschen stecken in durchsichtigen Plastikfolien Zeitungsartikel ueber ihn, sein Leben ist einen Artikel fuerwahr wert. Alles erzaehlt er gaenzlich unaufgeregt, dass hat er so oft getan, immer die selben Fragen beantwortet. Aber bald werden die Daten unwichtig, wir sprechen ueber Gefuehle und er erzaehlr mir vom Tod seiner Eltern, die kurz nacheinander starben, als er in Suedafrika war. Sein Blick geht in die Berge, seine Augen sind umwoelkt, wir schweigen. Dann holt er tief Luft: "Ja." So war das. Ich schreibe einen Brief an Leudschi, um Petro in Lokologo Gastfreundschaft zu verschaffen, und auch, um Leudschi zu versichern, dass ich sein Zelt nicht vergessen habe. Es wird wohl mein Doppelzelt sein, dass ich ihm nach Marsabit schicken werde, wenn ich in Kapstadt bin. Petro ist schon so lange unterwegs, dass er die ganze Internetentwicklung verpasst und erst seit kurzem eine Mailadresse hat.(velo_trotamundos_petro@yahho.com) In all den Jahren hatte er nur 2x fuer ein paar Wochen einen Mitfahrer, dass sei auch interessant, sagt er. Ich fuehle, er denkt das Gleiche wie ich: Ich wuerde mit dir fahren, mein Lieber, wirklich, aber ich muss hin, wo du herkommst. Wir nehmen Abschied, kurz, nicht umdrehen, ich strample gegen den Wind, Petro hat den Wind im Ruecken: "Gute Reise!" schreie ich noch nach hinten. Die Pare Mountains enden aprupt, ein breites Tal trennt sie von den steilen Umsambara-Bergen, den Namensgebern der beruehmten Veilchen. Jetzt gleicht die Natur fast einem Dschungel, da wo sie noch weitgehend intakt ist. Massen von Vogelstimmen erklingen, die Erde ist dunkel und fett. Die Berghaenge sind fast kahl, in ein paar Jahren steht hier nichts mehr und woher wird man dann Feuer- und Bauholz bekommen? Aufforstungen mit schnellwachsendem Eukalyptus, wie in Aethiopien sehe ich nirgends. Rechter Hand breitet sich eine trockenere Ebene aus, die Massai-Steppe, die Heimat der Nomaden. Am Abend radelt ein Wasserholer neben mir. Er traegt ein Piratenkopftuch und versucht mit seinen sechs leeren Kanistern mitzuhalten. Diese Jungs arbeiten wirklich hart fuer ihren Lebensunterhalt, 80 kg Wasser zu treten, tagein, tagaus... Wir fahren ein paar Kilometer nebeneinander her, dann halte ich an, um ein Kuriosum zu fotografieren, einen ueber 20 cm langen, fingerdicken, braun-roten Tausendfuessler. Er mag zwar tatsaechlich nur 100 Beinpaare haben, aber seine roten Beisszangen sind giftig, wenn auch nicht gefaehrlich. Wenn ich ihn halte, versucht er langsam den Kopf zu drehen und oeffnet die Zangen und gibt mir so Zeit, ihn wieder abzusetzen. In den Ortschaften sehe ich immer wieder Massai, die Berge sind die natuerliche Grenze fuer ihr Terretorium. Auf der Strasse dann ein gut 2 m langes Exemplar einer Wuergeschlange, kurz vor Mombo. Nach 110 km und starkem Gegenwind bin ich ziemlich groggy. ie Adresse, die ich von Valentine bekommen habe, erweist sich als nutzlos. Der Mann ist seit Jahren tot, sein Restaurant geschlossen, sein Sohn, den ich auf dem Markt in seiner kleinen Duka finde, weiss mit mir nichts anzufangen. Das Telefonnetz ist wieder mal zusammengebrochen und so kann ihm niemand sagen, was er mit mir machen soll. Ehrlich gesagt, macht er mir auch einen reichlich beschraenkten Eindruck, amuesant waere es wohl eh nicht bei ihm Zuhause. Alles fragt er zweimal, jeder Gedanke sickert langsam bei ihm durch. Ob ich aus Hong Kong komme. Sein Freund sagt, dass sei Japans Hauptstadt. Eindeutig: die sehen zuviele Karatefilme und koennen einen Asiaten nicht von einem Europaeer unterscheiden. Und er fragt mich um 20 Uhr abends allen Ernstes, ob ich denn jetzt weiterfuehre? Er begleitet mich mit jemandem der Englisch spricht zum "Sandali Inn", einem Guesthouse fuer 2 EU die Nacht. Ohne Moskitonetz waere man hier verloren, ich werde staendig gestochen. Nebenan sitze ich draussen, schaue CNN-Nachrichten und esse Huehnchen mit Pommes de frites und bitterem Gemuese, bevor ich um 21.30 Uhr in wohlverdienten Schlaf versinke. geschrieben am 27.10. in Daressalam
|